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7

»Und diese Person finde ich richtig verdächtig.«

Patrick Ebel

Wir erreichten unsere Zentrale und als wir feststellten, dass Günter noch am Arbeiten war, entschlossen wir uns für eine spontane Besprechung.

Wir gaben Günter eine kurze Zusammenfassung unseres Treffens mit dem Generalbundesanwalt und dem Innenminister. Im Anschluss daran berichtete Günter uns von seiner Suche nach auffälligen Gruppen in den sozialen Medien.

»Habt ihr eine Vorstellung, wie viele Gruppen es alleine bei Facebook gibt, in denen über Dinge gesprochen wird, die den Parametern entsprechen, die wir aufgestellt haben?«

Wir schüttelten alle den Kopf.

»Es sind Zigtausende.«

»Oh …«, sagte ich.

»Ja genau: Oh«, maulte Helmes. »Da wird man wahnsinnig, wenn man sich durch diese ganze zerebrale Diarrhoe durchackert.«

»Durch die was?«

»Geistiger Durchfall«, übersetzte Patrick für mich.

»Aha. Und, hast du in diesem … Durchfall etwas Interessantes gefunden?«

Helmes aktivierte den Beamer, woraufhin die Leinwand zum Leben erwachte.

»Ich habe eine Selektion vorgenommen. Diese achtundachtzig Gruppen sind übrig geblieben und sollten von uns näher durchleuchtet werden.«

Auf der Leinwand erschien eine Liste mit Gruppen. Einige hatten so ungewöhnliche Namen wie Strike Back, oder Politik für’n Arsch. Wirklich kreativ.

»Erklärst du uns bitte, was wir unter näher durchleuchten verstehen sollen?«

»Wir müssen versuchen, uns in das eine oder andere Facebook-Profil zu hacken. Wir brauchen Echt-Namen und alles, was dazugehört.«

Ich war ratlos. »Achtundachtzig Gruppen mit jeweils mehr als einhundert Mitgliedern … wir sollen uns in die Facebook-Profile von fast neuntausend Menschen hacken?«

Helmes bleckte die Zähne. »Hast du eine bessere Idee? Dann her damit.«

»Hab ich nicht.«

»Dann besorg mir Unterstützung. Ich kann analysieren, aber mit dem professionellen Hacken hab ich es nicht so.«

Helen und ich wechselten einen Blick.

Helen seufzte. »Ruf Karoline an.«

Ich rief Karoline an.

Wir plauderten ein paar Minuten, dann erklärte ich ihr, um was es ging.

»Ich werde morgen im Laufe des Tages in Berlin sein«, versprach sie.

Fehlte nur noch Fjodor, dann wäre die Band wieder komplett …

Ich wandte mich an Patrick. »Wir kamen noch gar nicht dazu, über deine Suche nach einem Prominenten zu reden, der das mögliche Sprachrohr der Verschwörer sein könnte.«

»Ist mir aufgefallen. Ich habe jemanden gefunden, der dem Profil entspricht, das der Architekt erstellt hat. Sein Name ist Gisbert Kuhlmann. Ich nehme an, ihr kennt ihn.«

Gisbert Kuhlmann. Wer kannte den populären Moderator eines Privatsenders nicht.

Vor einigen Jahren gab es eine Umfrage, die bewies, dass Kuhlmann, hätte er sich zur Wahl als Bundeskanzler aufstellen lassen, er mit hoher Wahrscheinlichkeit gewählt worden wäre.

Nur hatte er sich nicht zur Wahl gestellt.

Aber er hatte damals öffentlich erklärt, dass er sich sehr geschmeichelt fühlte.

»Was war auffällig an ihm?«, wollte Helen wissen.

»Sein öffentliches Auftreten ist im Gegensatz zu früher viel politischer geworden. Früher hat er sich mit offener Kritik sehr zurückgehalten. Aber seit drei Jahren ist er zu einem massiven Kritiker der Volksparteien geworden, ohne sich für eine der anderen Optionen auszusprechen. Das finden viele eigenartig. Es entspricht nicht dem Bild, das man von ihm hatte. Hart, direkt, aber immer eine Alternative parat. Das finde ich bemerkenswert.«

»Und verdächtig«, ergänzte ich.

»Aber?«, fragte Helen nach.

Ich verstand ihre Frage nicht, da Patrick auf mich nicht unentschlossen gewirkt hatte, als er uns Kuhlmann präsentierte.

Und jetzt das: Grinste Patrick etwa?

»Aber«, sagte er dann tatsächlich, »ich habe auch noch jemanden anderes gefunden. Und diese Person finde ich verdächtig. Und zwar, weil sie so unverdächtig wirkt.«

8

»Wir müssen also einen Haufen von Narzissten retten.«

Patrick Ebel

Hagedorn spürte, dass er an seine Grenzen stieß. Eine vollkommen neue Erfahrung für ihn.

Unter normalen Umständen verfügte er immer über ausreichend Informationen, um einen Plan zu entwerfen. Es war sogar so, dass ihm plötzlich bewusst geworden war, wie simpel seine Arbeit in der Vergangenheit gewesen war.

Das Objekt der Begierde war gleich A. Und es befand sich im Gebäude B. Der Zeitfaktor war Größe C. Menschliche Ressourcen waren Faktor D.

Daraus ließ sich was machen. Immer.

Aber im aktuellen Fall war alles anders.

A gab es nicht. B auch nicht. C war insofern unbekannt, als dass sie nur vermuten konnten, in welcher Phase sich der laufende Prozess befand.

Und D, der Faktor Mensch?

Hier kam es darauf an, welche Informationen Eichborn und seine Leute in der Zwischenzeit gewonnen hatten.

Er entschloss sich, davon auszugehen, dass die Verschwörung sich inmitten von Phase vier befand.

Es galt also, etwas aufzuhalten, das sich in voller Fahrt sozusagen auf der Zielgeraden befand.

Und das, ohne zu wissen, wer am Steuer saß und wohin die Fahrt gehen sollte.

Vor allem die mit hoher Wahrscheinlichkeit geplanten Anschläge machten ihm Sorgen.

Es gab so viele unterschiedliche Ziele und Vorgehensweisen.

Hagedorn versuchte, sich auf das zu beschränken, was sie wussten.

Beziehungsweise mit großer Wahrscheinlichkeit annehmen konnten.

Jemand hatte im großen Stile Waffen und Munition gestohlen.

Das tat man nicht, wenn man nicht auch vorhatte, dies einzusetzen.

Auch wurden große Mengen Notfallrationen entwendet. Es lag nahe, dass auch andere Nahrungsmittel in Konserven gehortet worden sind.

Das wiederum ließ darauf schließen, dass diejenigen, die auch die Waffen gestohlen hatten, davon ausgingen, dass eine Verknappung von Lebensmitteln eintreten würde.

Hagedorn kam ein Gedanke; sie würden auch Treibstoff benötigen. Benzin und Diesel für Fahrzeuge und Diesel für Stromgeneratoren. Eichborn müsste überprüfen lassen, ob auch Treibstoff in größerem Umfang gestohlen worden war.

Er war sich sicher, dass dem so war.

Auch war er sicher, dass sie eine Stimme benutzen würden, der die Bevölkerung vertrauen würde.

Dann war da noch die Tatsache, dass die Verschwörer bestimmte Leute ausschalten müssten.

Es gab keine Möglichkeit, den Prozess aufzuhalten.

Aber er könnte behindert werden. Man könnte die Dynamik herausnehmen und die Verschwörer dazu bringen zu improvisieren. Und dann, so Hagedorns Vermutung, würden sie Fehler machen.

Und da sie nicht wussten, wer genau die Waffen gestohlen hatte und wo sie sich befanden – dasselbe galt für den Treibstoff –, musste Hagedorn sich auf die menschliche Komponente konzentrieren.

Wen würde er auf eine Todesliste setzen, würde er eine solche Verschwörung planen?

Auf jeden Fall den amtierenden Bundeskanzler.

Dann seinen Stellvertreter, also den Außenminister.

Ganz bestimmt den Bundespräsidenten, denn der war sehr beliebt.

Hagedorn führte die Überlegungen fort und schon bald umfasste seine Todesliste mehr als vierzig Namen. Darunter befanden sich Politiker, Wirtschaftsbosse, Journalisten und den einen oder anderen Prominenten, der politisch Gewicht besaß.

Wenn man diese Personen in Sicherheit bringen würde, käme der Plan der Verschwörer ins Stocken. Theoretisch jedenfalls …

Selbstverständlich war es Hagedorn vollkommen klar, dass es schwierig werden würde, all diese Personen in Schutzhaft oder was auch immer zu bringen. Zumal sie sich ausschließlich auf Indizien berufen konnten.

Eindeutige Beweise für die Verschwörung gab es nicht.

Noch nicht.

Ohne sich Gedanken über die Zeitverschiebung zu machen, griff er zum Telefon und rief Patrick Ebel an.

»Ja.«

»Ich bin’s, Hagedorn. Störe ich?«

»Wenn Sie um diese Uhrzeit stören würden, wäre ich nicht ans Telefon gegangen.«

»Äh, gut. Also, ich habe eine Idee, weiß aber nicht, ob sie umsetzbar sein wird.«

»Schießen Sie los. Verrückter als die Sachen, die wir vorhaben, kann es nicht werden.«

»Sie müssen eine ganze Reihe von Leuten in Sicherheit bringen, da die mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit auf einer Todesliste stehen.«

»Und das wird schwierig, weil …?«, fragte Ebel nach.

»Weil sie nur deshalb so erfolgreich sind, weil sie in der Öffentlichkeit stehen.«

»Ah, verstehe. Wir müssen also einen Haufen von Narzissten retten.«

»So kann man es auch ausdrücken«, bestätigte Hagedorn.

»Wie können wir sicherstellen, dass sich unter den Personen, die wir schützen sollen, keiner befindet, der zu den Verschwörern gehört?«

Hagedorn nickte, obwohl Patrick das nicht sehen konnte. »Können wir nicht.«

»Okay. Schicken Sie mir die Liste, ich melde mich dann wieder.«

»Sind Sie mit ihren Ermittlungen weitergekommen?«

»Ja. Ich denke, wir haben die Person gefunden, die von den Verschwörern als Stimme benutzt werden soll.«

»Das ist gut, oder?«, wollte Hagedorn wissen.

»Das kann ich noch nicht sagen …«

»Warum? Was ist los?«

Hagedorn lauschte der Erklärung Ebels und als der geendet hatte, musste er anerkennen, dass die Verschwörer wirklich wussten, was sie taten.

Aber irgendetwas störte ihn an der Wahl …

Ebel ging es wohl genauso, anders konnte sich Hagedorn dessen zurückhaltende Euphorie nicht erklären.

»Was stört Sie an der Wahl?«, fragte Hagedorn nach.

»Dass es eine Frau sein könnte, hatten wir von vornherein gesagt. Aber was uns stutzig macht, ist die Tatsache, dass Sybille Thaler keine gebürtige Deutsche ist.«

»Ja, das kann ich nachvollziehen. Auch mich störte etwas an ihr. Kann sein, dass es genau das war. Aber lassen Sie uns kurz über die Frau sprechen. Sie ist in der Schweiz geboren, richtig?«

»Ja, genau.«

»Sie war Model und hat dann später diesen Sportler geheiratet«, las Hagedorn, der die Wikipedia-Seite der Frau geöffnet hatte. »Dann der in aller Öffentlichkeit ausgetragene Rosenkrieg, danach die Scheidung – zu dem Zeitpunkt lebte sie schon in Deutschland. Der Typ hat versucht, sie fertigzumachen, sie aber blieb ruhig und hat zu keinem Zeitpunkt schmutzige Wäsche gewaschen. Das hat ihr in der breiten Öffentlichkeit ungemeine Sympathien gebracht. Und ihre Karriere angekurbelt.«

»Richtig.«

»Ah, hier steht es. Thaler setzt sich schon sehr lange für Soldaten ein, die im Ausland gedient haben und traumatisiert zurückgekehrt sind. Allerdings hielten sich ihre politischen Aktivitäten in einem sehr überschaubaren Rahmen. Aber dann hat sie plötzlich angefangen, sich politisch zu engagieren. Hat sogar Demonstrationen organisiert, in denen die schlechte Ausrüstung der Soldaten angeprangert wurde. Sehr interessant.«

»Ja, fanden wir auch. Dann haben wir ihre politischen Aktivitäten genauer untersucht. Und dabei kam heraus, dass sie eine der großen Volksparteien immer schon unterstützt hat«, sagte Ebel.

»Ich verstehe. Sie haben noch jemanden gefunden, der passen könnte?«

»Ja. Er heißt Gisbert Kuhlmann.«

Hagedorn öffnete auch dessen Wikipedia-Seite.

Kuhlmann war ein sehr populärer und beliebter Moderator. Angefangen bei Kindersendungen in den siebziger Jahren, dann folgte das aktuelle Sportstudio, später moderierte er eine Talkshow bei einem privaten TV-Sender.

Anders als Thaler hatte Kuhlmann schon immer seine politische Meinung geäußert. Richtig aktiv wurde er aber erst vor etwa drei Jahren. Gerade kleinere Parteien hatten es ihm scheinbar angetan.

Hagedorns Gedanken rasten. »Was wäre, wenn …« Er verstummte und dachte den Gedanken zu Ende.

»Was wollten Sie sagen?«, wollte Patrick mit Dringlichkeit in der Stimme wissen.

»Was wäre, wenn es beide sind? Wenn die Verschwörer beide benutzen?«

»Um was zu erreichen? Ein Streitgespräch? Oder etwa … Moment mal, Sie könnten recht haben. Stellen wir uns vor, es kommt zu den ersten Demonstrationen gegen die Regierungsparteien. Der Grund für die Demo ist erst einmal sekundär. Hier taucht auch schon der neue Hoffnungsträger auf. Wahrscheinlich kein Politiker der etablierten Parteien. Die Leute sind hin- und hergerissen, wissen nicht, wem oder was sie glauben sollen. Und dann kommt es bei einer öffentlichen Veranstaltung zu einem Zusammentreffen zwischen Thaler und Kuhlmann. Beide vertreten unterschiedliche Meinungen. Thaler ist für den Hoffnungsträger, Kuhlmann eher nicht. Und hier …«

»… wird er von ihr bekehrt und bekennt sich zu dem aufsteigenden Stern«, vollendete Hagedorn Patricks Gedanken.

»Das wäre eine hollywoodreife Inszenierung«, sagte Patrick tonlos.

»Ich denke, so werden sie es machen.«

9

»Das ist die aktuelle Liste. Die bleibt so.«

Innenminister Schranz

Am nächsten Morgen setzten wir uns zu einem Meeting zusammen, um uns alle auf den neusten Stand zu bringen. Helen, Patrick und ich würden später in die Zentrale des Amtes für Innere Sicherheit fahren, um dann Kernberger und Schranz zu informieren.

Den Anfang machte Patrick. Er teilte uns mit, was Hagedorn herausgefunden hatte und kam dann auf ihren Verdacht zu sprechen, dass Sybille Thaler und Gisbert Kuhlmann ein Duo infernale bilden könnten.

Diese These fand allgemeine Zustimmung.

Helmes berichtete, dass seine Suche nach Gruppen, sowohl im Dark Net als auch im Internet, durch die Unterstützung von Karoline nun sehr viel schneller voranging.

Sobald sie die verdächtigen Gruppen in einer Rangliste geordnet hatten, würde Karoline den Versuch starten, sich in diese reinzuhacken.

Die Todesliste mit den vermutlichen Zielpersonen wurde zuletzt besprochen, dann machten wir uns auf den Weg zu Kerni.

Auch hier gaben wir eine Zusammenfassung der neusten Ereignisse.

Schranz schien sehr zufrieden mit dem zu sein, was wir bislang herausgefunden hatten.

Er streckte mir die Hand entgegen. »Lass mich mal diese Liste sehen.«

Ich reichte ihm das Blatt und gab Kerni eine Kopie. »Ihr zwei steht auch drauf.«

Beide vertieften sich in die Liste. Hin und wieder stieß einer der beiden ein ungläubiges Schnaufen aus oder schüttelte den Kopf.

Als sie mit der Lektüre fertig waren, sah Schranz mich an. »Den Verteidigungsminister müssen wir von der Liste streichen.«

Das hatten wir uns schon gedacht. »Wir sind für die Erstellung zuständig. Das Streichen müsst ihr übernehmen.«

Schranz nickte. »Natürlich. Du hast recht.« Er vertiefte sich wieder in die Liste und zückte einen Stift. Wenig später waren drei Namen durchgestrichen.

Der des Verteidigungsministers, des Verfassungsschutzpräsidenten und des Präsidenten des BAMAD, des ehemaligen militärischen Abschirmdienstes.

Er sah mich an. »Bei diesen drei Personen besteht der dringende Verdacht, an der Verschwörung beteiligt zu sein.«

Ich zuckte mit den Schultern. »Deine Entscheidung.«

Ein kurzer prüfender Blick, dann nickte Schranz. »Das ist die aktuelle Liste. Die bleibt so.«

»Wie wollt ihr es machen?«, wollte ich wissen.

Schranz runzelte die Stirn. »Wegsperren können wir sie nicht. Das würden die niemals zulassen. Ich selbst würde es ja ablehnen. Darüber hinaus wäre das auch zu auffällig. Aber wir verstärken den Personenschutz und werden alle anderen Sicherheitsmaßnahmen erweitern. Öffentliche Auftritte werden auf ein Minimum beschränkt. Jedenfalls da, wo es machbar ist.«

»Und wie begründet ihr das?«

»Wir werden die aktuelle Terrorwarnstufe erhöhen.«

Wir redeten noch eine Weile weiter, dann war es an der Zeit zu gehen.

Zwei Wochen nach diesem Treffen wurde der Verteidigungsminister der Bundesrepublik Deutschland während eines Truppenbesuches in Afghanistan erschossen. Die Täter wurden wenig später von einer Einheit des KSK gestellt und bei einem heftigen Schusswechsel getötet.

Ganz offensichtlich hatten wir uns geirrt. Der Minister gehörte nicht zu den Verschwörern.

Zweiter Teil

10

»Herr Minister, wir werden hier alleine gelassen.«

Gunnar Abel

1994 wurden im durch einen Völkermord geplagten Ruanda deutsche Staatsbürger von Hutu-Rebellen entführt. Die Bundesrepublik Deutschland sah sich nicht dazu in der Lage, die Entführten selbst zu befreien. Die für Einsätze dieser Art eigentlich vorgesehenen Bravo-Kompanien waren nicht auf Guerillakriegssituationen vorbereitet.

Dementsprechend entsprach auch ihre technische Ausrüstung nicht den Anforderungen für Einsätze dieser Art.

Also mussten belgische Spezialkräfte einspringen.

Sie verloren bei der Befreiung der Geiseln zwölf Männer.

Für Deutschland eine mehr als peinliche Situation.

Daraufhin, und weil die Nato-Verbündeten Druck auf Deutschland ausübten, entschied der amtierende Verteidigungsminister Volker Rühe, eine eigene Spezialeinheit aufzustellen. Sie sollte in der Lage sein, deutsche Staatsbürger, aber auch andere Personen, zu retten und zu evakuieren. Hinzu kamen Aufgaben wie Gewinnung von Schlüsselinformationen in Krisen- und Konfliktgebieten, der Schutz von Personen in besonderen Positionen und Kampfeinsätze im gegnerischen Gebiet.

Nachdem die bürokratischen Hürden in erstaunlich kurzer Zeit aus dem Weg geschafft wurden, konnte das Kommando Spezialkräfte ins Leben gerufen werden.

Die Soldaten rekrutierten sich in erster Linie aus den ehemaligen »Bravo-Kompanien« der einzelnen Luftlandebrigaden, die für Geiselbefreiungen und Kommandooperationen bereits ausgebildet waren und im Zuge dieser Umstrukturierung nun im KSK aufgingen.

Zusätzlich kamen viele Soldaten aus den Einheiten der Fernspähkompanien, den Fallschirmjägern, Gebirgsjägern und Jägern zum KSK.

Im April 1997 war das KSK einsatzbereit. Der Kommandostruktur, aber auch der Öffentlichkeit konnte das KSK zum ersten Mal seine Fähigkeiten bei der groß angelegten Übung Schneller Adler 97 beweisen.

1998 wurde das KSK aufgestockt und die Mannschaftsstärke auf zweitausend verdoppelt.

Als im damaligen Jugoslawien 1998 ein Krieg ausbrach, kam auch für das KSK der Ernstfall. Mehrere verdeckte Einsätze der Spezialeinheit wurden erfolgreich durchgeführt. In den Reihen der Nato-Verbündeten erkämpfte sich das KSK einen ausgezeichneten Ruf.

Der 11. September 2001 bedeutete auch für das KSK einen Paradigmenwechsel.

Einhundert Mann der Einheit wurden zusammen mit britischen und französischen Soldaten nach Afghanistan geschickt.

Allerdings dachten die alliierten Kräfte im Traum nicht daran, das KSK an Spezialaufträgen zu beteiligen. Diese gefährlichen Einsätze überließen sie lieber den erfahrenen Soldaten der Special Forces oder des SAS. Stattdessen schickte man die deutschen Elitekämpfer zu deren Unmut auf weniger brisante Überwachungsmissionen.

In Afghanistan kamen die Soldaten des KSK natürlich auch in Kontakt mit anderen dort stationierten Soldaten der Bundeswehr. Sie erfuhren von den teilweise katastrophalen Mängeln an der Ausrüstung der Soldaten. Pioniere, die zerstörte Brücken wieder aufbauen sollten, deren Fahrzeuge aber nicht gepanzert waren. Hubschrauberpiloten, die zur Unterstützung verbündeter Kampftruppen eingesetzt worden waren, und die ebenfalls ohne schützende Panzerung auskommen mussten.

Aber was noch viel schlimmer war; die US-Streitkräfte waren bereit gewesen, den deutschen Pionieren ihre gepanzerten Fahrzeuge zu leihen.

Dies wurde jedoch vom Verteidigungsministerium mit der Begründung abgelehnt, die Fahrzeuge der Amerikaner besäßen keine ordnungsgemäße Zulassung laut der geltenden Straßenverkehrsordnung.

Es lag in der Natur der Sache, dass Soldaten kein allzu großes Vertrauen in Politiker setzten. Jemand, der noch niemals selbst durch Scheiße gekrochen war, während ihm Kugeln des Feindes um die Ohren flogen, jemand, der noch niemals mitansehen musste, wie ein Kamerad von einer Mine in Stücke gerissen wurde, so jemand sollte keine Entscheidungen treffen, die über Leben oder Tod bestimmten.

Also war es vollkommen normal, dass die Soldaten des KSK einen Scheiß auf die Worte der Bürokraten gaben. Problematisch wurde es, als sie spürten, dass viele ihrer Offiziere ebenfalls mehr Politiker als Soldaten waren. Wenn Kampftruppen kein Vertrauen in Politiker hatten, hatte das keine unmittelbaren Konsequenzen. Wenn sie jedoch kein Vertrauen in ihre direkten Vorgesetzten mehr setzten, hatte das sehr wohl unmittelbare Folgen.

Die Frustration der Elitesoldaten wurde im Laufe der Einsätze in Afghanistan und später im Tschad und in Libyen immer größer. Mangelhafte Informationen, schlechte Ausrüstung und die Unfähigkeit der Kommandostruktur, die richtigen Entscheidungen zu treffen, führten dazu, dass ein Teil des KSK damit begann, mehr oder weniger autark zu agieren.

Immer die Erfüllung der Mission im Fokus, aber mit eigenen Mitteln.

Hauptfeldwebel Gunnar Abel war Anführer eines Kommandotrupps des KSK. Seine vier untergebenen Soldaten folgten ihm schon seit ihrem ersten Einsatz 2004 in Afghanistan.

Abel war von den Fernspähern zur KSK gekommen.

Hauptfeldwebel Torsten Seifert, ebenfalls Anführer eines Kommandotrupps, hatte seinen ersten Einsatz in Afghanistan nur wenige Wochen später als Abel.

Seifert wechselte vom Jägerbataillon zur KSK.

Beide freundeten sich an.

Beide waren gleichermaßen frustriert und zornig.

Sie hatten es schon längst aufgegeben, ihre Vorgesetzten darum zu bitten, endlich etwas gegen die schlechten Bedingungen zu unternehmen. Spätestens nach ihrem Schlüsselerlebnis war ihnen klar geworden, dass sie auf sich selbst gestellt waren.

Vor etwas mehr als einem Jahr hatte der damals amtierende deutsche Verteidigungsminister im Rahmen eines langfristig geplanten Truppenbesuches auch ihren Stützpunkt aufgesucht.

Der übergewichtige kleine Mann hatte sich in einen Kampfanzug gezwängt, trug einen Helm, der ihm ständig ins Gesicht gerutscht war und hatte die ganze Zeit über geschwitzt wie ein Schwein.

Als er die Baracke von Abel und Seifert erreichte, waren die mit ihren Männern gerade von einem Einsatz zurückgekehrt. Der Minister heuchelte Interesse an ihrer Mission und am Ende hatte er sie gefragt, ob sie irgendwelche Wünsche an ihn hätten.

Abel und Seifert hatten einen kurzen Blick gewechselt und geschwiegen.

Dem Minister, ganz Vollblut-Politiker, war das natürlich nicht entgangen. Er forderte den vorgesetzten Offizier der beiden Kommandosoldaten auf, sie alleine zu lassen. Als der Oberleutnant fort war, hatten sich Abel und Seifert kurz zugenickt.

Dann hatte Abel das Wort ergriffen. »Herr Minister, wir werden hier alleine gelassen. Unsere Ausrüstung entspricht nicht den Anforderungen unserer Missionen.«

Dann zählte er die Missstände auf. Je länger er gesprochen hatte, desto unruhiger wurde der Minister.

Aber er machte sich auch Notizen.

Und er versprach, sich um diese Angelegenheit zu kümmern.

Das hätte für ihn Priorität.

Er verließ Afghanistan und sie hörten nie wieder etwas von ihm.

Geändert wurde nichts.

Was folgte, waren Jahre der Sinnlosigkeit. Sie mussten mit ansehen, wie die Wehrpflicht ausgesetzt wurde, was zur Folge hatte, dass die Bundeswehr keinen Nachwuchs mehr erhielt. Sie erlebten, wie schwer traumatisierte Soldaten nach Hause zurückkehrten, nur um dort alleine gelassen zu werden.

Viele Kameraden nahmen sich das Leben.

Sie registrierten, dass die Politiker sich mit Händen und Füßen dagegen wehrten, ihren Einsatz im Ausland als Krieg zu bezeichnen. Später, als sie erfuhren, warum das so war, konnten sie nur müde mit den Köpfen schütteln. Sollte die Bundesregierung nämlich tatsächlich entscheiden, dass sich die Truppe juristisch im Krieg befindet, änderte sich dadurch die Grundlage des Einsatzes. Der Bundestag müsste in diesem Fall über ein neues Mandat abstimmen.

Das Grundgesetz verbietet aber jede Form von Angriffskrieg.

Rechtlich müsste die Nato deshalb erklären, weshalb sie knapp neun Jahre nach Beginn des Einsatzes am Hindukusch nun plötzlich von »Krieg« sprach.

Totaler Wahnsinn.

Politik halt.

Sie waren seit einem Jahr in Afghanistan, als sie zum ersten Mal von Major Castrop hörten.

Was man über ihn und seine Einheit hörte, konnte nicht stimmen.

Sie taten es als dummes Geschwätz ab.

Ein Offizier der Bundeswehr, seit Anfang des Krieges in Afghanistan, der tat, was er wollte, und von den US-Streitkräften geschützt wurde.

Wo gab es denn so etwas?

Den Gerüchten nach hatten sich dem Major rund zwanzig Männer angeschlossen. Hartgesottene Kämpfer aus unterschiedlichen Verbänden. Killerkommando nannten sie einige.

Angeblich rückten sie nachts aus, um gezielte Tötungen vorzunehmen.

Den Soldaten der alliierten Streitkräfte war das selbstverständlich verboten.

Ein Verstoß gegen diese Vorschriften wurde bei der Bundeswehr ohne Ansehen von Rang und Namen verfolgt und strengstens bestraft.

Was die Amis und Briten mit einem ironischen Kopfschütteln quittierten.

Soldaten sollten kämpfen und nicht Schulen oder Brunnen bauen.

Wenn die Gerüchte stimmten, ignorierte Castrop diese Vorschriften und man ließ ihn gewähren.

Fast so, als hielte jemand Mächtiges eine schützende Hand über ihn …

Sein Ansehen in der Truppe war enorm. Auch die Amis und Briten nannten seinen Namen voller Hochachtung. Und sie fanden das, was er tat, gut.

Abel und Seifert sahen das auch so.

Aber diese Geschichten vom Major … die konnten doch nicht stimmen …

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