Kitabı oku: «Sie senden den Wandel», sayfa 2

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2.1.3 Interviewführung und Wahl der Interviewpartner*innen

Für die Durchführung der Interviews bediente ich mich der Haltung der ethnografischen Interviewerin. (Spradley, J. 197911) Damit war gewährleistet, dass die Bedeutung des »Fremden«, des von »außen Kommens« gewahrt blieb, obwohl ich sowohl eine argentinische Herkunft als auch einen Radiohintergrund habe.12 Selbstverständlich kann mein subjektives Vorverständnis aber nicht völlig ausgeblendet werden. Es hatte sicher Einfluss auf die Entscheidungen zu spezifischen Nachfragen oder Vertiefungen. Die interviewten Personen sind als »Teil des Handlungsfeldes« ganz im Sinne von Meuser und Nagel zu verstehen. (Meuser, M; Nagel, U. 2005: 73)13

2.1.4 Gütekriterien und kritische Haltung zur Methode

Schließlich sah ich mich bei der Forschung zu dieser Arbeit an grundsätzliche Parameter (Gütekriterien) gebunden, deren Wichtigkeit oft im Zusammenhang mit der Grounded Theory betont werden. Diese sind:

 die Pflicht zur Auswahl und zum Erfassen des Untersuchungsgegenstands in der bestmöglichen Art und Weise,

 die Nachvollziehbarkeit des Forschungsprozesses, indem dieser transparent und intersubjektiv vorgelegt wird,

 und schließlich das Ermöglichen der Nachvollziehbarkeit der Reflexion sowohl dieses Forschungsprozesses als auch seiner Ergebnisse. (Strauss, A. und Corbin, J. 1996: 214f.; Lampert, C. 2005: 522)

Darüber hinaus waren die Texte von Strübing (u.a. 2006) und Hildebrand (u.a. 2004) für mich aufschlussreich, um die Entwicklung und Auseinandersetzung der zwei Richtungen der Grounded Theory zu durchdringen14 und eine kritische Auseinandersetzung mit der Methode zu finden. Denn die Grounded Theory ist nicht nur eine Methode zur Generierung von Theorien. Sie ist eben auch eine Methode zur Hinterfragung von Methoden und das schließt sie selbst ein.

Ich finde es schwer vorstellbar, dass im Datenmaterial selbst bereits Erkenntnisse »schlummern«, die dort sozusagen objektiv bestehen und von jedem Forschenden gleichermaßen nur aufgefunden werden müssen, solange die Methode beachtet wird. Ich denke, im Datenmaterial schlummern vielmehr solche Erkenntnisse, die nach den ideellen Maßstäben, der sozialen Verortung, der Klassenzugehörigkeit und der Vorbildung des Suchenden dort spezifisch erkennbar werden. In diesem Punkt folge ich eher Strauss, der die Haltung vertrat, dass theoretisches Vorwissen in die Analyse der Daten notwendig einfließen müsse, wobei ich anmerken möchte, dass bereits das theoretische Vorwissen nicht allein gleichsam in der Summe des Gelesenen und Behaltenen besteht, sondern immer zugleich das »für richtig« und »für relevant« Gehaltene beinhaltet, das wiederum ohne Hinzuziehung der sozial-ökonomischen Verortung des Forschenden nicht sinnvoll bestimmt werden kann.

Ähnlich Strauss gemeinsam mit Corbin:

»Theory is not the formulation of some discovered aspect of a pre-existing reality ›out there‹ [...] Theories are interpretations made from perspectives as adopted or researched by researchers« (Strauss, A. und Corbin, J. 1994: 279)

Dazu schreibt Strübing aufschlussreich:

»Aus Daten allein ›emergiert‹ gar nichts, erst recht keine Konzepte. Zwar rekonstruiert der Kodierprozess in der Grounded Theory in der von Strauss und Corbin vertretenen Variante durchaus, doch ist der Prozess kein durchweg logischer, denn er kommt nicht ohne das kreative Zutun der Forschenden aus: Wir ›machen‹ Sinn aus den Daten, sie sprechen nicht zu uns. Auch wenn wir den Sinn der Interaktionen von Handelnden zu rekonstruieren versuchen, so ist der dabei zu leistende analytisch-interpretative Prozess doch kein logisch zwingender, sondern ein tentativ-experimenteller. Zwischen Daten und Konzepten liegen mühevolle Explikationen, die Aktivierung von alltags- und wissenschaftlichem Vorwissen und Heuristiken, Abduktionen, riskante, weil probabilistische Schlüsse und die fortgesetzte experimentelle Überprüfung vorläufiger Konzepte (Ad-hoc-Hypothesen) an systematisch ausgewähltem Datenmaterial.« (Strübing, J. 2006: 150)

Während der Analyse der Interviews sprachen die Daten also deutlich zu mir, während sie anderen Personen durchaus auch Anderes zu erzählen gehabt hätten. Die Daten gaben mir schon beim offenen Kodieren oft eine deutliche Richtung an, die ich dann durch das Heranziehen anderer Vergleiche und in zyklischer Form nicht selten validieren konnte (»Radio und sozialer Wandel«). Viele andere Codes (»Radio und Familie«), die bereits von Anfang an nicht relevant für die Analyse waren, validierten sich auch in ihrer Relevanzlosigkeit.

Diese notwendige Subjektivität besteht m.E. auch im Bereich der (zyklischen) Theoriebildung unter Berücksichtigung spezifischer Literatur. Für diese Arbeit habe ich eine Vielzahl von Literatur herangezogen, die vor allem im lateinamerikanischen Raum als relevant erachtet wird und im deutschsprachigen Raum bislang kaum bis gar nicht in der Sozialwissenschaft rezipiert wurde.

»People construct texts for specific purposes and they do so within social, economic, historical, cultural and situational contexts. Texts draw on particular discourses and provide accounts that record, explore, explain, justify, or foretell actions, whether the specific texts are elicited or extant.« (Charmaz, K. 2006: 35)

Viele der herangezogenen Texte lateinamerikanischer Autoren entstammen dem Feld eines kritischen dialektischen Materialismus. Es dürfte auf der Hand liegen, dass dessen Einbeziehung in die Theoriebildung deutlich andere Ergebnisse hervorbrachte, als es etwa im Falle der ausschließlichen Einbeziehung idealistischer (deutscher) Philosophie der Fall gewesen wäre.

»Es geht bei der Datenanalyse um die Dialektik von Daten und Theorie ebenso, wie von Feld und Forschenden.« (Strübing, J. 2006: 150)

Dimension sowie auch Relevanz des dialektischen materialistischen Aspekts werden in der vorliegenden Studie später vertieft (Kapitel 4: Quellenanalyse und Theoriebildung). Als ich meine Forschungen begann, kannte ich den ganz überwiegenden Teil der nun verwandten lateinamerikanischen Literatur selbst nicht. Ich las diese Literatur vielmehr erstmals entlang der Codierungen der Interviews. In weiten Teilen schien mir diese Literatur auch wesentlich geeigneter zur Theorienbildung als die (zum Teil) innerlich als untauglich verworfene europäische Literatur. In Teilen entsprach ich damit einer von Strauss und Corbin geforderten Haltung, wonach die Forschenden bereit sein müssten, vorhandenes Vorwissen auszublenden bzw. zu revidieren. (Corbin, J. und Strauss, A. 2008: 37-38)

2.2 Hinterfragung der gewählten Methode (Warum nicht Aktionsforschung?)

Intention der Aktionsforschung ist es (u.a.), praxisnahe Hypothesen aufzustellen, die zu Veränderungen im Sinne einer Problemlösung führen. Diese Studie sieht in der Hegemonie der klassischen Medien ein Problem, zu dessen Lösung sie beitragen möchte. Es wäre also zunächst nicht fernliegend, bei der Wahl der Methoden statt oder neben der Grounded Theory auch die Aktionsforschung15 einzubeziehen, zumal beide Methoden von einem starken Praxisbezug ausgehen. Beide Methoden können grundsätzlich ergänzend, also nebeneinander angewandt werden bzw. in einen befruchtenden Zusammenhang gebracht werden, wie unter anderem Dick feststellt.16 Dazu müssten dann m.E. aber auch für beide Ansätze die Minimalvoraussetzungen vorliegen. Dazu sogleich.

2.2.1 Darstellung der Aktionsforschung

Die Aktionsforschung versteht sich als eine problemlösende Forschungsstrategie, die die Akteur*innen und Forscher*innen gleichermaßen einbezieht. (Pieper, R. 1972)17 Von Anfang bis zum Ende eines Prozesses sollen Forscher*innen und Akteure Probleme feststellen und Lösungsansätze ausarbeiten, die entlang des realen Erlebens geschehen bzw. evident werden. Durch die zyklische Form des realen Prozesses (welche nicht zu verwechseln ist mit dem von der Grounded Theory angeratenen ideellen, zyklischen Durchlaufen abduktiver Logikkreisläufe) sollen Ergebnisse oder Lösungsansätze im konkreten Umfeld getestet bzw. ausprobiert werden.

»The research needed for social practice can best be characterized as research for social management or social engineering. It is a type of action-research, a comparative research on the conditions and effects of various forms of social action, and research leading to social action. Research that produces nothing but books will not suffice.«18 (Lewin, K. 1946: 202-203)

Bezüglich des Zyklischen benennt schon Moser im Jahr 1977 als Minimalkriterium, dass

»[...] ein Datenfeedback stattfinde[t]n soll, ein problematisierender Diskurs mit den Betroffenen.« (Moser, H. 1977a: 58)

Nach Moser ist die Aktionsforschung darauf ausgerichtet, auch die sozialwissenschaftlichen Erkenntnisse der Forschenden dem Feedback der Akteure zu unterziehen. (Moser, H. 1977a: 59) Und tatsächlich ist dem Ansatz wohlwollend entgegenzubringen, dass die Sozialwissenschaft ein merkwürdiges Verständnis von sich selbst hätte, wenn sie an ihrem Echo in der (sozialen) Realität kein Interesse hätte. Doch der Imperativ der Aktionsforschung geht noch weiter:

»Aktionsforschung […] erfordert die zielbezogene Diskussion konkreter Forschungsmethoden, wobei insbesondere mitzureflektieren ist, auf welche Weise die sozialen Beziehungen durch die betreffende Methode mitbestimmt bzw. verändert wird [sic!].« (Moser, H. 1977a: 60)

Sogar die Methodenwahl der Forschenden kann gemeinsam kritisch evaluiert werden, bis hin zu deren Abwahl und der Neuausrichtung der Forschung. (Moser, H. 1977a: 61)

Seit Lewin und über Moser hinweg hat sich die Aktionsforschung stetig weiterentwickelt und sie ist heute als Methode (als Werkzeug) in bestimmten Forschungszusammenhängen stabil verankert. Die große Zahl an Dissertationsschriften, Forschungsarbeiten im Bereich Erziehung und Bildung (z. B. Altrichter, H. 1998) und Arbeiten im Bereich der Psychologie, die die Aktionsforschung zugrunde legen, zeigen nicht nur ihre Aktualität, sondern auch ihre Wertschätzung als Methode.

Ich schätze den kritischen Ansatz der Aktionsforschung wegen der durch sie angeordneten großen Nähe zwischen Forschenden und den Menschen, zu denen geforscht wird, und dies nicht nur deshalb, weil damit die künstlichen (Macht)Grenzen zwischen Beurteilenden und Beurteilten aufgehoben werden, sondern auch, weil die in der Methode angelegte inhärente Überprüfung wissenschaftlicher Ergebnisse die Sozialwissenschaft insgesamt bereichern dürfte.

Dennoch kam die Aktionsforschung als Methode für diese Arbeit nicht in Frage, und zwar weil mein Forschungsvorhaben den von Moser benannten »Minimalkonsens«19 für die Aktionsforschung in zwei Bereichen nicht erfüllte. Erstens bin ich kein gleichberechtigtes Teil der von mir untersuchten Bewegungen und musste mich auch nicht zu einem Teil machen. Dies wäre zweitens auch ganz sinnlos gewesen, denn in den untersuchten Gruppen bestand kein (gemeinsames) Problem, das wir hätten lösen können oder wollen. Die Untersuchten schilderten auch kein solches Problem, zu deren Lösung sie meine Mithilfe erfragt hätten.

Der Ausgangspunkt der Untersuchung lag nicht in einem Problem, sondern in der Suche nach den Ursachen eines »Nichtproblems«, nämlich der Suche nach den Gründen des Erfolges der Community-Radios, repräsentiert in ihrer großen Anzahl, ihrer großen Zuhörer*innenzahl und ihrer enormen sozialen Wirkung. Das zu lösende Problem bestand und besteht nicht in Argentinien. Es besteht in Deutschland und Europa.

3. Theoretische Rahmung

Durch das Herausarbeiten von Aussagen mit höheren Dichte (density20), welche in sich einen analytischen bzw. der Analyse zugänglichen Charakter trugen, entstand entlang der Auswertung der geführten Interviews (in zyklischer Form) die theoretische Rahmung dieser Studie. Mir war von Anfang an klar, dass ich mich auf die Suche nach prägender lateinamerikanischer Literatur machen musste. Diese Literatur beeinflusst bis heute maßgeblich Diskussionen um das Selbstverständnis der argentinischen (Medien-)Aktivist*innenszene. Darüber hinaus verfügt die untersuchte Szene über Kenntnisse und Durchdringungen der europäischen Literatur zum Thema. Diese Literatur wurde hier selbstverständlich auch herangezogen.

3.1 Begriff von Theorien und Theorie der Begriffe

Es ist natürlich unmöglich, beide Literaturkreise in inhaltlicher Hinsicht präzise voneinander abzugrenzen. Gleichwohl gibt es zwischen ihnen markante Unterschiede. Tendenziell pflegt die lateinamerikanische Literatur einen praktischen Umgang mit den von ihr behandelten medienpolitischen Themen. Sie ist agitativer, auf ihre Wirkung in der Medienwelt orientiert und legt weit weniger Wert auf begriffliche Diskussionen als in der europäischen Literatur üblich. Der Grund liegt wohl darin, dass sich die herangezogenen Autoren mit ihren Schriften sich auf eine lebendige Szene der gegenhegemonialen Praktiken stützen und abzielen können und ihre Werke daher zuerst für die Praxis und dann erst für die Universitätsbibliotheken schreiben. In dieser Literatur ist etwa die gelehrige Differenzierung zwischen Öffentlichkeit und Scheinöffentlichkeit oder die Abgrenzung von Öffentlichkeit als Zustand und Öffentlichkeit als Gruppe nicht besonders relevant. Dafür fragt sich diese Literatur aber beständig, wie sich die Öffentlichkeit als Menge der in irgendeiner Form erreichbaren und überzeugbaren Personen erreichen und überzeugen lässt oder wie hinsichtlich der Themensetzungen in den ersehnten Bereichen ein Höchstmaß an Öffentlichkeit (als Zustand) erzielt werden kann – ohne zwischen beiden Begriffen überhaupt zu unterscheiden. Es mutet seltsam an, die Qualität dieser Abhandlungen, die eine enorme soziale Wirkkraft haben, an ihrer begrifflichen Disziplin festmachen zu wollen.

Demgegenüber verfügen wir im europäischen Kontext über Arbeiten, die sich mit hoher sprachlicher Präzision seitenreich der Phänomenologie widmen, ohne die Vorstellungskraft oder Phantasie aufzubringen, wie sich die bestehenden Verhältnisse im Bereich der Themensetzungen dieser Arbeiten tatsächlich praktisch ändern ließen. Diese Arbeiten erreichen daher m.E. auch nur Menschen, die sie am Schreibtisch oder in der Bibliothek lesen, weil sie gerade selbst ähnliche Arbeiten verfassen. Diese Haltung des Scientia enim est solum scientia darf man kritisieren.

Für die Fertigstellung dieser Studie wählte ich einen Mittelweg zwischen lateinamerikanischer und europäischer Schule des wissenschaftlichen Schreibens. Ich verdichtete und kritisierte die europäischen Begrifflichkeiten in wiederkehrender Reflexion und im Kontrast zu der lateinamerikanischen Praxis. Feine begriffliche Differenzierungen nehme ich nur dort vor, wo sie zu einer (praktischen) Erkenntnis führen.

4. Kritische Begrifflichkeiten: Kommunikation, Öffentlichkeit und »Kommunikation als Menschenrecht«
4.1 Zum Begriff der Kommunikation

Wenn wir uns dem Begriff der Kommunikation etymologisch annähern, erfahren wir, dass das lateinische communicare »Teilen«, (sich) »Mitteilen« und »Teilnehmen« als eine Sozialhandlung bezeichnet. In dieser Studie gehe ich von der negativen Prämisse aus, dass die menschliche Kommunikation weder zum Selbstzweck geschieht, noch, dass sie gleichsam (Wesen des Menschen) als eine etwaige anthropologische Grundkonstante keiner materiellen Begründung mehr bedürfe. Ich gehe von der positiven Prämisse aus, dass communicare seine volle Bedeutung erst auf der Grundlage eines gemeinsamen Tuns erhält, auf das die Sprache gerichtet ist, ein Tun, das Prozesse vorantreibt und vervollständigt und auf Veränderung zielt. Kommunikation ist demnach für diese Studie ein (soziales) Mittel zur Gestaltung von Realität, ist mithin materiell orientiert und bemisst sich in ihrer Tauglichkeit daran, ob das gesetzte Ziel erreicht werden kann oder nicht.

Unter dem Zugang der Handlungstheorien wird Kommunikation auch (selbst schon) als soziales Handeln verstanden, dies aber selbstverständlich mit Ziele und Zwecken, die ihre Verortungen im Materiellen haben. Das übergeordnete Ziel ist die Entstehung neuer Gedanken, Ideen, Lösungen, welche die Realität (Wirklichkeit) als das Bezugsobjekt der Kommunizierenden betreffen. So schreibt John Dewey:

»communication can alone create a great community«21

Auch die Systemtheorie bringt nur einen sehr veränderten Blickwinkel, jedoch kein abweichendes Ergebnis mit sich. Die Autopoesis eines sozialen Systems erfordert selbstverständlich eine erfolgreiche Kommunikation, also eine Kommunikation der Systemteilnehmer*innen, die in der Folge die Funktionsgrundlagen des Systems betrifft, die eben nicht ideell, sondern materiell fundiert sind.

Weitere Theorien zu Kommunikation werden in die Arbeit einbezogen, die als aktuelle Weiterentwicklung der Chicagoer Schule22 der 1920er Jahre einzuordnen sind. Richtigerweise ordneten sie die Kommunikation in ihren sozialen Kontext ein und betrieben eine kritische Reflexion und Analyse der seinerzeit entstehenden mächtigen Medienmonopole. Diese Arbeiten untersuchen die Beziehungen zwischen Kommunikation, Demokratie und Gemeinschaft vor dem Hintergrund der Verteilung gesellschaftlicher materieller Ressourcen.

Im Rahmen des materiell eingefassten Verständnisses von Kommunikation, das dieser Studie zugrunde liegt, ließe sich freilich endlos differenzieren, wenn dazu nur die passenden Fragen gestellt werden: Sind Selbstgespräche Kommunikation oder braucht es mindestens zwei Teilnehmer*innen?23 Inwieweit ist ein Roman ein kommunikativer Akt, wenn ihn niemand liest?24 Kann Schweigen Kommunikation sein?25

Die für diese Arbeit entscheidenden Fragen sind aber ganz andere. Sie lauten etwa, unter welchen sozialökonomischen Bedingungen sich der an sich geklärte Inhalt des Kommunikationsbegriffes entfaltet oder nicht entfaltet. Wo wird Kommunikation behindert? Wo wird sie beherrscht und wo kann sie befreit werden (sogleich dazu: Kommunikation als Menschenrecht)? Woran liegt es, dass die Kommunikation einer gesellschaftlichen Klasse so viel wirksamer die gesellschaftliche Realität gestaltet (bzw.) reproduziert als es die Kommunikation einer anderen gesellschaftlichen Klasse vermag, diese Realität zu ändern?

Diese Fragen lassen sich selbst durch ein Höchstmaß an Differenzierungen innerhalb des Kommunikationsbegriff weder besser noch schlechter beantworten, weswegen diese sehr weitgehenden Differenzierungen für diese Arbeit auch unterlassen werden. Diese Fragen lassen sich aber beantworten durch die Hinzunahme von Theorien, die zwar von Kommunikation handeln, aber eben auch von Macht und Gegenmacht, von den Gründen von Ausbeutung und Unterdrückung und von Strategien weltverändernder Praxis, auf die daher allesamt in dieser Studie verstärkt abgehoben wird.

4.2 Zum Begriff der Öffentlichkeit

Bereits Negt und Kluge attestierten dem Begriff der Öffentlichkeit eine »bemerkenswerte Schwammigkeit« (Negt, O. und Kluge, A. 1972). Einige seitdem und zuvor in den Sozialwissenschaften immer wieder besprochenen Probleme im Umgang mit dem Begriff der Öffentlichkeit sind wohl rein sprachlicher Natur und dies insofern, als der Begriff je nach kontextuellem Bezug verschiedene Bedeutungen haben kann, die wir freilich mühelos unterscheiden können.

Beispiel: Wer in aller Öffentlichkeit nackt spazieren geht und keine öffentliche Persönlichkeit ist, muss kaum fürchten, dass die veröffentlichte Meinung darüber die Öffentlichkeit informieren wird, zu deren Existenz, Ansichten und Meinung in der Literatur durchaus verschiedene Meinungen von Sozialwissenschaftler*innen veröffentlicht werden.

Mit dem ersten unterstrichenen Wort ist der offene Raum jenseits von Umfriedung oder häuslicher Sphäre gemeint. Die »öffentliche Persönlichkeit« ist ein lebender Mensch, der eine Bekanntheit bei vielen Menschen erfolgreich sucht oder schlicht erfährt. Mit der »veröffentlichten Meinung« sind große Medien gemeint, deren Gebrauch der Meinungsfreiheit besonders wirksam ist. Das dann folgende Wort »Öffentlichkeit« bezeichnet (im Unterschied zum ersten) eine sehr große Zahl von Medienempfänger*innen, und »veröffentlicht« meint publizieren, also die Zugänglichmachung von perpetuierten Gedanken in medienspezifischer Form an einen nicht individualisierbaren Empfänger*innenkreis.

Allerdings hätte es dieser Definitionsversuche gar nicht bedurft. Der kurze Satz war auch für sozialwissenschaftliche Laien völlig verständlich. Die sozialwissenschaftliche Hoffnung, aus der Kritik von Begriffen Erkenntnisse zu gewinnen, ist groß, ihre Wirkung auf die außeruniversitäre Praxis dagegen gering. Viel weiter trägt dort die inhaltliche Kritik an denen mit den kritisierten Begriffen in Zusammenhang stehenden Medieninstitutionen und deren Rolle in der Gesellschaft. Jürgen Habermas stellte 1962 in seiner Arbeit zum historisch-systematischen Strukturwandel der Öffentlichkeit fest: »Öffentlich« und »Öffentlichkeit« entstammen

»[...]aus verschiedene(n) geschichtliche(n) Phasen und gehen, in ihrer synchronen Anwendung auf Verhältnisse der industriell fortgeschrittenen und sozialstaatlich verfaßten bürgerlichen Gesellschaft, eine trübe Verbindung ein.« (Habermas, J. 1990 [1962]: 54)

Das dem Zeitalter des bürgerlichen Liberalismus entstammende und dort einmal utopisch-kraftvoll gemeinte Verständnis des Begriffs »Öffentlichkeit«26 suggeriert uns heute fälschlich (nach Überwindung des Feudalismus) die Existenz einer Gruppe von untereinander approximativ gleichen Bürger*innen, die Adressat*innen, Interessent*innen und sogar gleichrangige Produzent*innen von Informationen und Meinungen sein könnten. Damit wird ein künstlicher Archetyp eines »Volkes der Öffentlichkeit« konstruiert, das ein »öffentliches Interesse« und eine »öffentliche Meinung« inne hat und auch Ansprüche, z.B. darauf, öffentlich informiert zu werden.

Aber:

»Wenn es gelingt, den Komplex, den wir heute, konfus genug, unter dem Titel ›Öffentlichkeit‹ subsumieren, in seinen Strukturen historisch zu verstehen, dürfen wir deshalb hoffen, über eine soziologische Klärung des Begriffs hinaus, unsere eigene Gesellschaft von einer ihrer zentralen Kategorien her systematisch in den Griff zu bekommen.« (Habermas, J. 1990 [1962]: 58)

Das heißt, diese behauptete Öffentlichkeit (der approximativ Gleichen) existiert real noch nicht. Sie ist Utopie geblieben und die Behauptung der Realität der Utopie behindert deren Umsetzung. Der bürgerliche Liberalismus hat eben nicht die Gesellschaft der Freien und Gleichen hervorgebracht, sondern mit dem Kapitalismus eine Gesellschaft geschaffen, in der die Ungleichheit unter den für alle gleichen Gesetzen perpetuiert wird.

Wir leben in einer Klassengesellschaft. Ihre Öffentlichkeit ist ebenso antagonistisch gespalten wie es die Interessen derjenigen sind, die diese Öffentlichkeit im Wege der Kommunikation beeinflussen wollen. Keine Information und keine Meinung kann separat gedacht werden von dem jeweiligen Nutzen oder Schaden, den sie vor dem Hintergrund entgegengesetzter systemischer materieller Interessenlagen bewirkt.

Die vom Medienbetrieb (Luhmann) beständig reproduzierte Behauptung einer Öffentlichkeit betrifft dessen Funktionserhalt unter den konkreten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. Denn grundsätzlich geht es dabei um die Gestaltung eines gesellschaftlichen und politischen Narrativs im Interesse des Kapitals bzw. zum Zwecke der Erhaltung des kapitalistischen Systems. (Neidhardt, F. 1994: 10)27 Dennoch hat der Begriff auch einen wahren Gehalt. Dort, wo seine Verwender*innen die Klassenverhältnisse innerhalb des Publikums anerkennen oder zumindest erahnen, lässt sich eine Inhaltsverschiebung konstatieren. Öffentlichkeit wäre dann so etwas wie die Summe der Menschen – mit unterschiedlichen Klassen- und Interessenlagen –, die medial erreicht werden kann oder soll. Der Begriff wäre dann ein schiefes Synonym für: uneinheitliches Publikum mit uneinheitlichen Interessen.

Soweit nicht anders erläutert, liegt dieses Verständnis von »Öffentlichkeit« (als uneinheitliches Publikum) dieser Studie zugrunde.

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