Kitabı oku: «Sie senden den Wandel», sayfa 4

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2.1 (Community)-Radios – ein kurzer Überblick über eine realexistierende Gegenhegemonie

»Anfang 1987 wurden ca. 60 Radiostationen gezählt, 1988 waren sie auf so um die 1000 gestiegen und im Jahr 1989 sprach selbst der erste Direktor der Rundfunkanstalt in der Zeit der Regierung Menem schon von 2155 anerkannten Radiostationen«12, 13 (Rodriguez Esperón, C. 2000: 210)

Von Europa aus nur von Insider*innen der freien Radioszene bemerkt und von der politischen Wissenschaft, der Medienwissenschaft und den Sozialwissenschaften weitgehend übersehen, vollzog sich in Argentinien (und in anderen lateinamerikanischen Ländern) ab Mitte der 80er Jahre des letzten Jahrhunderts eine mediale Revolution.

Selten legal14, meist halblegal15 und oft illegal16 wurden überall im Lande und mit wachsender Geschwindigkeit neue Radiostationen (nicht alle von ihnen Community-Radios17) eröffnet, die sich weder als private Radios noch als staatliche Sender qualifizieren lassen. Sie wurden oft von sozialen Gruppen gemeinschaftlich aufgebaut und betrieben, sendeten meist gegen den Mainstream an, erfanden nicht selten völlige neue Sendeformate, bezogen häufig die immer zahlreicher werdenden Hörer*innen in ihre Berichterstattung und Inhaltsgestaltung ein und woben ein dichtes Netz aus Gesellschaftskritik in den Äther hinein.

Die Erforschung (der Geschichte) dieser Radios der dritten Art ist auch in Argentinien erst in den letzten Jahren vertieft vorangetrieben worden und längst nicht abgeschlossen. Sicher scheint, dass die Zahl der Stationen zunächst stark anstieg und dann ab 1989 gleichsam durch einen genetischen Flaschenhals18 ging. Einem Text von Rodriguez Esperón sind dazu folgende Überlegungen zu entnehmen: Ohne Zweifel spielte die Demokratisierungsphase im bürgerlich-demokratischen Sinne eine nicht zu unterschätzende Rolle in der Geschichte der Radios. Auch wenn einige Radiosender wenige Jahre zuvor und viele andere nach dieser Periode des Umbruchs aus der Diktatur in die Demokratie entstanden, ist die Zahl derjenigen gering, die sich über einen langen Zeitraum hinaus halten und weiterentwickeln konnten. Einige haben die Hyperinflation der 1990er Jahre nicht überstanden, andere fielen ihrem ungenügenden Partizipationscharakter zum Opfer. Denn auch, wenn die Notwendigkeit zu partizipieren bei den Stationen Mode war, ist Partizipation im eigentlichen, inneren Sinne schwer zu erlernen, ist etwas, was nicht von oben diktiert, nicht einmal empfohlen werden kann. Sie muss im Alltäglichen geübt werden, und wer übt, kann scheitern.

Rodriguez Esperón hebt einige Merkmale hervor, die uns helfen können, die anfängliche Explosion der Stationszahlen nachzuvollziehen (Rodríguez Esperón, C. 2000: 210):

1 Die Befreiung der (angestauten) Ausdrucksmöglichkeit nach vielen Jahren des Militärregimes.

2 Die relativ schnelle Erschöpfung des bürgerlichen Parlamentarismus19.

3 Die stetige Senkung der Kosten für die Einrichtung und den Betrieb der Sender.

4 Eine starke Zunahme der Einschreibungen an den medienwissenschaftlichen Fakultäten.

5 Und natürlich der kreative Geist der Menschen im Lande, ihr Sich-Ausdrücken-Wollen.

Eine Studie, die La Crujia bereits im Jahr 1984 veröffentlichte, liefert einen weiteren Anhaltspunkt. Von Anfang an kamen viele der neuen Radiostationen aus der Mitte der sozialen Bewegungen, Gewerkschaftsstrukturen, Gemeindezentren, Stiftungen, Clubs in den jeweiligen Vierteln etc. (Busso, M. C. 2003: 36). Wir können schlussfolgern: Gesellschaftlichen Gruppen, denen eine gewisse Art von Organisationsstruktur ohnehin nicht fremd war, übertrugen ihre Erfahrungen und Ideen auf den Prozess der Bildung einer eigenen (Radio-)Stimme.

All diese Faktoren sind wohl bis heute systemrelevant. Ein siebter Faktor kommt etwa ab den späten neunziger Jahren hinzu: die Digitalisierung. Zum Ersten wirkt sie weiter senkend auf die Kosten des Sendeequipments. Zum Zweiten ermöglichte sie die erleichterte Verwaltung des Audiomaterials (mp3). Zum Dritten und wohl am Entscheidendsten: Das Internet vereinfachte und verbreiterte den Zugang und den Austausch zu/von Informationen, die für die Stationen relevant sind, sowohl in inhaltlich-politischer als auch in technischer Hinsicht.

Diese erleichterten technischen Rahmenbedingungen haben zu einem erneuten Anwachsen der Stationen (hinter dem Flaschenhals) ganz sicher beigetragen. Auch das neue Mediengesetz hat den Prozess beflügelt. Noch entscheidender war aber ebenso sicher der Lernprozess. Die meisten heutigen Stationen vermeiden die Fehler der ersten Generation; sie arbeiten – was dargestellt werden wird – als emanzipatorische Projekte nach dem Prinzip des Empowerments, in dem die Partizipation gar konstitutiv ist.

Bis zum Jahr 2014 war die Anzahl von Radios der dritten Art wieder stark angestiegen und hatte das Hoch des Jahres 1989 bereits weit überflügelt. Allein die Anzahl der legalen Stationen betrug 3199. Dazu kamen 6520 Stationen ohne einen anerkannten Rechtsstatus. (Ballesteros, T. 2014: 35f) Auch die Anzahl der Community-Radios stieg wieder stark an und liegt zwischen 3000 bis 4000 Stationen20. Schon etwa ab dem Jahr 2005 begannen einige Forscher aus anderen Blickwinkeln andere Spuren dieser Radiogeschichte aufzunehmen und zu verfolgen. Spuren, die z.T. viel weiter zurückreichten als nur bis zum Jahr 1985 und auch zunächst nicht viel mit Kommunikation(swissenschaft) zu tun hatten: Spuren des Widerstandes21, der Klassenkämpfe, des Empowerments und des Prinzips der Poder Popular22. Ohne diese gesellschaftskritischen und -transformativen Spuren aufzunehmen, lassen sich m.E. weder das Phänomen der Community-Radios selbst noch der Sinn und Zweck ihres Sendens wirklich erhellen.

1 Matallana, A. (2006): »Locos por la radio«. Una historia social de la radiofonía en la Argentina, 1923–1947, Buenos Aires. Ulanovsky, C., Merkin, M., Panno, J. J. und Tijma, G. (2004): Días de radio I (1920–1959), Buenos Aires. Ulanovsky, C., Merkin, M., Panno, J. J. und Tijma, G. (2004): Días de radio II (1960–1995), Buenos Aires. Ulanovsky, C. 2007: »Siempre los escucho« Retratos de la radio argentina en el siglo XXI, Buenos Aires.

2 Das vor allem in Filmen oder Serien gezeichnete Bild zeigt meist die Küche einer Mittelstandsfamilie, in der ohne Unterlass die »Glotze« läuft. Dieses Bild stimmt nicht mit der breiten Realität überein, schon deshalb nicht, weil Millionen Lateinamerikaner*innen nicht dem Mittelstand zurechenbar sind. Das Radio hat auf dem Kontinent für die meisten Menschen eine viel größere Bedeutung als das Fernsehgerät.

3 Auf Deutsch: »Die Verrückten der Dächer.« So werden vier junge Männer in Erinnerung gehalten, die am 27. August 1922 vom Dach des damaligen Theater Coliseo die erste »Radiosendung« durchführten: der Arzt Enrique Telémaco Susini (25 Jahre alt) und die Medizinstudenten Miguel Mujica (18), César Guerrico und Luis Romero Carranza (22). Um 21 Uhr sendeten sie live die Oper Parzival von Wagner. Zu dieser Zeit gab es in der Stadt nicht mehr als 20 Radiogeräte, also nicht mehr als ca. 50 Zuhörer*innen, die sich um diese Geräte versammelten.

4 Der Begriff ist nicht gänzlich befriedigend und dennoch m.E. am geeignetsten, um eine Vielzahl verschiedener »Radios der dritten Art« zwar nicht unter einen Hut, aber unter eine Bezeichnung zu bekommen, während andere Radios der dritten Art bewusst nicht erfasst werden sollen. Das III. Kapitel gibt zu diesen Differenzierungen Auskunft.

5 Der Begriff der sozialen Bewegung ist für mich keine Hülle für einen beliebigen (politischen) Inhalt, sondern beschreibt in dieser Arbeit ausschließlich linke und progressive Gruppen. Es existiert eine Tendenz der antimodernen Umwidmung von Begriffen, auch in der Politikwissenschaft. Die Eigenbezeichnung von rechten oder konservativen Gruppen als »soziale Bewegung« darf nicht unkritisch reproduziert werden – dies aus denselben Gründen, wie etwa ein undemokratisches Konzept keine »Neue Demokratie«, ein Abbau von sozialen Standards keine »Reform« und im Ergebnis keine »Neue soziale Marktwirtschaft« ist. Es wäre eine große Hilfe für die humane Entwicklung nicht nur innerhalb der Konzepte der Wissenschaft, sondern innerhalb der Gesellschaft, wenn Wissenschaftler*innen sich darüber im Klaren wären, welche Verantwortung sie allein durch ihren Sprachgebrauch persönlich tragen – ganz nach Bourdieu durch die (Neu)Prägung von Begriffen und Diskursen.

(vgl.: Bourdieu, Pierre (2002): »Für eine engagierte Wissenschaft«, in: Le Monde Diplomatique [deutsche Ausgabe] vom 15. Februar 2002 oder auch hier zu finden: http://www.engagiertewissenschaft.de/de/inhalt/Fuer_eine_engagierte_Wissenschaft_Die_letzte_Rede_von_Pierre_Bourdieu. Letzter Zugriff am 29. Juli 2016.

6 Im Laufe dieser Studie werden die distanzierenden Anführungsstriche ersetzt werden durch eine kritische Inhaltsbestimmung des Begriffs.

7 radikal = von der Wurzel her.

8 In der Bundesrepublik Deutschland wird (nicht ganz ohne Grund) viel Wert darauf gelegt, dass es sich bei den öffentlich-rechtlichen Sendern nicht um staatliche Sender handele. Dies stimmt insofern, als dass sie (anders als lange Zeit in Lateinamerika üblich) nicht von der jeweiligen Mehrheitspolitik betrieben werden, sondern alle relevanten politischen Kräfte in ihren jeweiligen Kräfteverhältnissen abzubilden haben. Es stimmt insofern aber auch nicht, als dass das Spektrum der berücksichtigten politischen Ansichten den bürgerlichen Staat als solchen bejaht und systemüberwindende Kräfte fast nie positiv zu Wort kommen. So betrachtet handelt es sich bei den öffentlich-rechtlichen Medien um Medien des bürgerlichen Staates, mithin um Staatsmedien. Und um die Sache noch komplizierter zu machen: Auch in Argentinien und anderen lateinamerikanischen Ländern haben die Staatssender in den letzten Jahren tiefgreifende Veränderungen durchlaufen; die vorher üblichen Interventoren der Exekutive wurden abgewertet oder abgeschafft und es wurden Senderräte eingerichtet, die die Vielzahl der gesellschaftlichen Stimmen für die Inhaltsgestaltung berücksichtigen. Wenn sich somit die Begriffe »öffentlich-rechtliche Sender« und »Staatssender« sinnvoll abgrenzen lassen, so ist die zu bestimmende Grenze jedenfalls eine fließende.

9 Das Gesetz meint den Begriff des Privaten nicht in der Bedeutung von »persönlich«, sondern grenzt staatliches Eigentum von Privateigentum ab. Eine Gruppe von Radiomacher*innen eines Community-Radios hat (u.U. samt ihrer Community) insoweit privates Eigentum an ihrem Sender (und eine der Beleihung ähnliche Zuordnung der Frequenz) und nutzt dieses Eigentum gleichwohl als kollektives Eigentum.

10 Das Neue Audiovisuelle Mediengesetz (Ley de Servicios de Comunicación Audiovisual Nº 26.522 LSCA) umfasst nicht die Printmedien.

11 In Anlehnung an das bekannte Zitat: »Die Menschen machen ihre eigene Geschichte, aber sie machen sie nicht aus freien Stücken, nicht unter selbstgewählten, sondern unter unmittelbar vorgefundenen, gegebenen und überlieferten Umständen. Die Tradition aller toten Geschlechter lastet wie ein Alb auf dem Gehirne der Lebenden. Und wenn sie eben damit beschäftigt scheinen, sich und die Dinge umzuwälzen, noch nicht Dagewesenes zu schaffen, gerade in solchen Epochen revolutionärer Krise beschwören sie ängstlich die Geister der Vergangenheit zu ihrem Dienste herauf, entlehnen ihnen Namen, Schlachtparole, Kostüm, um in dieser altehrwürdigen Verkleidung und mit dieser erborgten Sprache die neuen Weltgeschichtsszene aufzuführen.« (Marx, K. und Engels, F. 1972: 115–123)

12 »A principios de 1987 se calculaba la existencia aproximada de 60 emisoras, en 1988 el número se acercaba a 1000 y para 1989 el primer director de Radio y Televisión del gobierno menemista habalaba de 2155 emisoras reconocidas.«

13 Alle für diese Arbeit aus dem Spanischen übertragenden Teile sind von der Autorin übersetzt worden und werden mit Rücksicht auf die Lesbarkeit im Folgenden nur dann hinsichtlich der Übersetzung kommentiert, wenn dies wegen etwaiger Mehrdeutigkeit des Textes erforderlich ist.

14 Betrieben mit Genehmigung.

15 Betrieben ohne Genehmigung, aber geduldet.

16 Trotz Untersagung betrieben.

17 Die Begriffsbestimmung und Begriffsabgrenzung ist Gegenstand des folgenden Abschnitts.

18 Ein genetischer Flaschenhals ist die Reduktion der genetischen Variationsbreite innerhalb einer Art. Die Anzahl der Mitglieder dieser Art wird durch ein oder mehrere Ereignisse stark dezimiert. Hinter dem Flaschenhals kommen also nur wenige Mitglieder der Art wieder heraus, deren Gene fortan die verringerte Variationsbreite ausmachen. Das biologische Bild wurde hier gewählt, um den Lernprozess, also die kulturelle Genese der Radio-Stationen, zu verdeutlichen. Die Stationen, die das große »Radiosterben« überlebten, gaben die Erkenntnisse über die Gründe ihres Überlebens an die dann wieder erfolgreich wachsende »Population« weiter.

19 Gemeint ist die Enttäuschung über das System.

20 Die genaue Zahl hängt von der Enge oder Weite der Definition »Community-Radio« ab.

21 * ATRAPADOS EN LIBERTAD: Radio Patria Libre (Comando 17 de Octubre – UTURUNCOS): http://atrapadosenradio.blogspot.com.ar/2012/07/radio-patria-libre-comando-17-de.html. Letzter Zugriff am 26. Oktober 2016.

* Radio Liberación TV

* Bustos, E., Rodrigo, F., Romero, G., Sager, F. und Varela J. (2011): »Comunicación y praxis militante en Argentina (1955–1976). Elementos para una genealogía en torno al eje comunicación/política.« Facultad de Periodismo y Comunicación Social (UNLP) Cátedra Comunicación y Teorías (I) – 2011. Diskussions- und Arbeitspapier der Fakultät für Journalismus und soziale Kommunikation der Nationalen Universität La Plata.

Esquivada, G. (2004): El diario Noticias: los Montoneros en la prensa argentina, Buenos Aires.

22 Der Begriff wird in Kapitel III ausführlich erläutert.

3. Methodologie (Genese)

Zu Beginn meiner Forschung (2008) und in Anbetracht der damaligen Informationslage standen zunächst die inneren Phänomene der Radios im Fokus (Finanzierung, Gruppenprozesse, Partizipationserfahrungen, Technik usw.).1 Im Laufe der Untersuchungen leiteten mich aber deren Zwischenergebnisse, vor allem die Menschen, denen ich diese Ergebnisse verdankte, zu einem weiteren Blickwinkel, der den inneren Aufbau der Stationen zwar berücksichtigt, aber zugleich den äußeren gesellschaftlichen Rahmen untersucht, in den hinein die Stationen gleichsam senden und der ihnen dazu auch die Anlässe und Gründe gibt. Ähnlich wie bei einem beobachtenden Dokumentarfilm2 wollte ich nicht die Wirklichkeit auf der Basis zuvor unverrückbar beschlossener Maßstäbe untersuchen, sondern vielmehr die Maßstäbe meiner Beobachtung der zu entdeckenden Wirklichkeit abgewinnen. Dazu sind (neben dem Studium der einschlägigen Literatur und der analytischen Werkzeuge) hauptsächlich folgende Forschungsmethoden im engeren Sinne eingesetzt worden: Expert*inneninterviews und themenzentrierte Interviews3.

Diese Methoden waren zum einen mit Blick auf den Forschungsgegenstand geeignet, zum anderen entsprachen sie meiner wissenschaftlichen Erfahrung u.a. bei der Erarbeitung meiner Diplomarbeit. Als passende Instrumente für die Untersuchung sind qualitative Methoden der Sozialforschung gewählt worden. Im Vergleich zur quantitativen Forschung erlauben diese die Integration von Beobachtungs- und Befragungstechniken der Anthropologie und der Ethnologie und die Berücksichtigung von subjektiven Sichtweisen und des Handelns der Subjekte im Alltag. (Flick, U. 1999)

Es bot sich an, die empirische Forschung in zwei Teile zu gliedern:

Erstens: die Befragung von so genannten Expert*innen, d.h. von direkt Beteiligten der Radioprojekte und insbesondere solcher Beteiligten, die wechselseitig innerhalb sozialer Bewegungen und dem Radio partizipieren. (Flick, U. 1999: 109–110)

Zweitens: die Erfassung konkreter Erfahrungen von Aktivist*innen aus den sozialen Bewegungen. Die Mehrheit dieser Akteur*innen überschneiden sich in ihren Rollen. Sie sollten aus jeder Rolle heraus frei und nur mäßig gelenkt über Abläufe, Konzepte und Ziele, die sie selbst für relevant hielten, reden können.

Für die Expert*inneninterviews sind Leitfäden erarbeitet bzw. halbstandardisierte Interviews durchgeführt worden. Dies erschien mir notwendig, um die von mir im Vorfeld konzeptionell berücksichtigten Inhalte einiger Begriffe, wie der der Partizipation, des Empowerments und der Autonomie, zu erfassen, zu klären und zu hinterfragen. Auch konnte ich auf diese Weise viele relevante Informationen erhalten, die ich im Vorfeld nicht (vorrangig) konzeptionell berücksichtigt hatte. Teilweise bot es sich auch an, mit den Akteur*innen eine dem Forschungsgegenstand angepasste Version des themenzentrierten Interviews zu führen. Der Ansatz dreier zentraler Kriterien – Problemzentrierung, Gegenstands- und Prozessorientierung (Flick, U. 1999: 105f.) – wurde herangezogen. In den themenzentrierten Interviews sind Auffassungen zu verschiedenen Punkten erfragt worden, um die Bedürfnisse der Befragten nach alternativer Berichterstattung zu untersuchen. Die von mir zunächst festgelegten Schwerpunkte waren u.a. interne Organisation, Partizipation und Finanzierung. Weitere Schwerpunkte haben sich bei den ersten Interviews erst herausgebildet und blieben aber als Bestandteil der Interviewfragen bestehen, z. B. Identität und (Suche nach) Wahrheit(en).

Die Untersuchung konzentrierte sich darauf, so viele Erkenntnisse wie möglich aus dem erhobenen Material zu gewinnen. Von daher war es frühzeitig klar, dass die Instrumente der qualitativen Forschungsanalyse im Allgemeinen und die der Grounded Theory im Besonderen heranzuziehen waren. Mit diesen richtungsweisenden Methoden und Theorien führte ich die Auswertung mit einem computergestützten Programm (ATLAS. ti) durch. Grundsätzlich ging es mir darum, nicht nur Antworten auf Fragen zu erhalten, sondern eher Erkenntnisse zu sozialen Zusammenhängen durch Gespräche zu gewinnen.

Da das Hauptziel der Grounded Theory die Gewinnung von Theorien ist, wurden Fragestellungen benötigt, die die notwendige Flexibilität und Freiheit gaben, Phänomene in ihrer Tiefe zu erforschen. (Strauss, A. und Corbin, J. 1996: 22) Selbstverständlich fand sowohl während der Erstellung der Fragen über die Durchführung der Interviews bis hin zur Auswertung der Daten eine Fokussierung statt. (Strauss, A. und Corbin, J. 1996: 23)

Der Prozess der aus dem Datenmaterial betriebenen Theoriebildungen ist im Grunde zeitlich offen. So er an ein Ende gebracht wird, liegt dennoch kein endgültiges Ergebnis, sondern gleichsam ein festgelegtes Standbild in einem an sich endlos weiterlaufenden Film vor. In diesem Sinne ist der »Grounded Theory [...] kein perfektes Produkt [abzuringen], sondern nur ein Ausschnitt [aus einer permanenten Entwicklung] [...]«. (Glaser B. G. und Strauss, J. 1998: 41) Diese Entwicklung wiederum wird nicht nur durch die Umstände (Ort, Zeit, politische und soziale Rahmenbedingungen etc.) begleitet, sondern wird ja auch durch die Brille eines Menschen analysiert, unterliegt insofern subjektiven Unschärfen.

Von Anfang an motivierte mich zu dieser Arbeit die Absicht, Diskussionen im deutschsprachigen Raum anzustoßen. Selbstverständlich wirkt auch diese Absicht als subjektive Unschärfe im oben genannten Sinne.

Die »entdeckten« Theorien finden sich in Kapitel IV. dieser Arbeit.

3.1 Methodologische Herangehensweisen
3.1.1 Eigene Verortung und äußere Rahmenbedingungen

Meine jahrelangen Erfahrungen in der Interviewführung (als Radiomacherin) und meine autodidaktische Weiterbildung in diesem Bereich bewahrten mich vermutlich vor denen von Hopf beschriebenen typischen »Anfänger*innenfehlern«.4 (Hopf, Ch. 2006: 357–360) Ich nahm eine Haltung ganz im Sinne des ethnografischen Interviews ein: Das heißt, ich zielte darauf, die Bedeutung des »Fremden« und die in ihm verwandte Handlungspraxis zu verstehen und nachzuvollziehen.

Ich nehme (dennoch) an, dass meine Interviewpartner*innen mich gleichzeitig als Teil ihres Zusammenhanges und als Fremde zu diesem Zusammenhang wahrgenommen haben: Einerseits wurde mir z.B. viel Nähe und Freundlichkeit und auch Hilfe bei der Auffindung geeigneter (weiterer) Projekte und Interviewpartner*innen zuteil, andererseits spürte ich eine sanfte bis deutliche Zurückhaltung, wenn ich nach Interna fragte, die mich als Außenstehende nun einmal nichts angehen sollten. Einerseits wurde ich als Medienaktivistin und Radiomacherin, mithin als »eine von ihnen« wahrgenommen; andererseits war überdeutlich, dass ich die Gruppen in meiner Eigenschaft als Politik- bzw. Medienwissenschaftlerin aus dem europäischen Raum besuchte, was mich zu »einer von außen« machte. Eine Thematisierung dieser Wahrnehmungen vermied ich allerdings, weil ihre Erörterung auf der Metaebene m.E. die Struktur des ethnografischen Interviews gerade gestört hätte.

Die Interviews wurden, außer in zwei Fällen5, vor Ort in den Community-Radios durchgeführt. Die jeweiligen Interviewpartner*innen wurden zuvor gebeten, einen für sie geeigneten Raum und eine für sie angenehme Atmosphäre zu suchen bzw. zu schaffen. Die Interviewpartner*innen wurden im Vorfeld des Interviews über den Grund des Interviews, mein Forschungsvorhaben und die Tatsache informiert, dass die Interviews anonymisiert werden würden. Sie gaben dann ihr Einverständnis für die Durchführung und die Nutzung der auf Audio aufgenommenen Gespräche.6

Für die vorliegende Untersuchung waren zwei Forschungsaufenthalte in Argentinien notwendig, die der Recherche, dem Studium der nur vor Ort zugänglichen Publikationen und natürlich der Interviewführung dienten.

1 2009 (6 Monate)

2 2010 (6 Monate)

Die Auswahl der Interviewpartner*innen erfolgte nach zwei sehr einfachen Kriterien, die zugleich eine Art Zufallsprinzip in das Kaleidoskop (ein sampling aus 20 Interviews) brachte. Ich sprach mit Menschen, die erstens in den Radioprojekten fest involviert waren und zweitens mit mir reden wollten. Es ist m.E. das Weglassen weiterer Kriterien oder Bedingungen, die für eine wahrnehmbare gleichmäßige Mischung aus Geschlecht, Alter, Herkunft etc. sorgten.

Die so gewonnenen Interviews wurden durch ein zweites sampling ergänzt, dass jedoch nach anderen Methoden als den soeben geschilderten zustande kam. Dieses sampling entstand als Transkription der für den partizipativen Dokumentarfilm7 Sachamanta in Gruppenarbeit geführten Interviews.

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