Kitabı oku: «Die falsch gestellten Weichen», sayfa 13

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17. DAS PROBLEM ITALIEN

Was geschah in Italien im vorigen Jahrhundert? Dort sehen wir bald die nationaldemokratische Idee des Risorgimento mit betontem Linksdrall entstehen, doch fehlte in Italien anders als in Deutschland die Reichsidee. Die Vertreter des Risorgimento träumten nicht von einem italienischen Staatenbund (nach dem Muster des Deutschen Bundes), sondern von einer zentralistischen italienischen Gesamtmonarchie – wenn nicht von einer demokratischen Republik. Diese Sehnsucht nach einem liberal-progressiv-laizistischen Einheitsstaat, von der Französischen Revolution und der Freimaurerei inspiriert, war in den verschiedenen Teilen des Landes und den Klassen unterschiedlich vertreten. Zwei der reichsten und wirtschaftlich entwickeltsten Regionen, die Lombardei mit Mailand und Venetien, gehörten zu Österreich und wurden vorzüglich verwaltet.1) Das nicht minder fortschrittliche Königreich Sardinien, aus Savoyen, Piemont, der früheren Republik Genua und Sardinien bestehend, war einer französischen Dynastie untertan, von der sich aber die gemäßigten Elemente des Risorgimento die Einigung Italiens erwarteten. Zwischen Österreich, Sardinien und dem Kirchenstaat gab es eine Reihe von kleinen Fürstentümern, von denen das Großherzogtum Toskana (mit der Hauptstadt Florenz), von einer Nebenlinie des Hauses Habsburg-Lothringen regiert, das größte war. Auch hier war die Verwaltung ausgezeichnet und seit den Tagen Leopolds II., des späteren Kaisers, höchst „progressiv“.2) Weniger erfolgreich war die Verwaltung des Kirchenstaats, der sich in einer schwachen S–Kurve vom Po bis zum Tyrrhenischen Meer herunterzog. Das tägliche Leben in diesem Land war für die meisten Bewohner keineswegs schlecht; es hatte sogar einige ausgezeichnete Institutionen, wie zum Beispiel die Spitäler,3) und das Justizwesen war ausgesprochen mild. Zerfahren und zerrüttelt war eher das Königreich der Beiden Sizilien mit der Hauptstadt Neapel, damals die größte Stadt Italiens (Rom stand bis 1900 an dritter Stelle). Eine große Agrarreform hatte unter Joachim Murat, König von Neapel und Schwager Napoleons, stattgefunden, aber die reichen Grundbesitzer kauften die Parzellen fauler Bauern fleißig wieder auf. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg kam eine eher radikale Agrarreform. Doch schon damals rührte sich die Mafia in Sizilien und die Camorra am Festland.4) Dazu gab es noch eine Reihe von politischen Geheimbünden, wie zum Beispiel die Carbonari, die sich über ganz Italien ausbreiteten.

Es muß aber gesagt werden, daß diese lokalen Regierungen bei der Masse der Bevölkerung nicht unbeliebt waren. Die von der Idee des Risorgimento Begeisterten gehörten eher den gehobeneren Schichten an, dem großen und dem kleineren Bürgertum, wie auch einem Teil des Adels und nicht zuletzt des Klerus. Der Welschtiroler Graf Antonio Rosmini-Serbati, Gründer des Rosminianer-Ordens, war ein glühender italienischer ‚Patriot‘ und das war auch der sehr katholische Manzoni. Deshalb war es nicht völlig überraschend, als sich 1846 die Hoffnungen der Liberalen auf den neuen Papst, Pius IX., konzentrierten, der schließlich in Rom, im Herzen Italiens, residierte und durch seine durchgreifenden Reformen im Kirchenstaat unter den Anhängern des Risorgimento sich zahlreiche Freunde geschaffen hatte. Ja, ein päpstliches Korps, verstärkt durch Freiwillige, war 1848 nach Norditalien gezogen, um gegen die Österreicher zu kämpfen, aber die Niederlage der Sardinier führte auch zu dessen Rückberufung. Doch Pius IX. fühlte sich dann durch die Ermordung seines Ministers Rossi (ein Opfer der Radikalen) so tief getroffen, daß er den Liberalen jeden Zuspruch verweigerte. Dies führte zu einem Aufstand in Rom, worauf der Papst in die Festung von Gaeta flüchtete. Französische Truppen befreiten ihn aus diesem Exil erst zwei Jahre später. (Auch glaubte Louis Napoleon, damals noch Präsident, durch diese Aktion einen Stein im Brett der Kirche zu bekommen.) Es war aber somit auch offenbar, daß die päpstliche Herrschaft nur mehr durch ausländische Intervention gehalten werden konnte.

Es war erst die Intervention Napoleons III. auf der Seite Sardiniens und des Risorgimento, die 1859–1860 zur Gründung des Königreichs Italien und zur Aussöhnung des sardinischen Königs mit dem Revolutionär Garibaldi und seinen Rothemden führte: Dadurch erhielt die gemäßigte den Vorrang über die extreme Linke. Nur mehr Venedig und der stark verkleinerte Kirchenstaat blieben noch außerhalb des geeinten Italiens. Das siegreiche Preußen legte Venetien 1866 den Italienern zu Füßen, und nach dem Abzug der französischen Truppen bekam Italien dann auch 1870 die Ewige Stadt. Dieser Abzug war das Resultat des deutschen Sieges in Frankreich. 1939 wollte Hitler diese deutschen Geschenke an Italien noch mit dem Südtirol–Abkommen krönen: Die Deutschen Tirols, durch Italiener ersetzt, sollten schließlich in die Krim verpflanzt werden. Freilich gab es nach 1870 immer noch im Sinne der Nationaldemokratie ein „Unerlöstes Italien“, eine Italia Irredenta: Welschtirol und Triest mit Teilen des Küstenlands und das westliche Istrien, wie auch Korsika, Nizza (die Geburtsstadt Garibaldis) und aus historischen Gründen Savoyen, das französischsprachige Stammland der Dynastie. Auch schmerzte es die Italiener, daß die Franzosen Tunis annektiert hatten, denn das war das italienische „Gegenufer“ mit zahlreichen italienischen Immigranten und ländlichen Siedlern.

Doch muß man sich fragen, ob die Einigung Italiens ein Erfolg war. Genau so wie in deutschen Landen vor der Errichtung des Zweiten Reichs, gab es in Italien eine Reihe von Staaten mit eigenen Hauptstädten, Höfen und einer Vielfalt von Gesellschaften mit verschiedenen Sitten und Gebräuchen. Oft wurde selbst in den höchsten Kreisen (wie zum Beispiel in Venedig) der lokale Dialekt gesprochen. Die Kultur Piemonts war weitgehend französisch. Mailand hatte ein ganz anderes Lebensgefühl als Neapel. Rom und Florenz waren Welten für sich. Nun aber sollte Italien in einen Einheitsbrei verwandelt werden, was glücklicherweise trotz aller Anstrengungen nicht völlig gelingen sollte. Auch noch im Ersten Weltkrieg hatten Sizilianer nicht das geringste Interesse an einer „Erlösung“ von Triest oder Trient. Man denke da einmal an die Höhlenbewohner der Sassi von Matera in der Basilicata, die aber auf ihre Art mit ihrem Los keineswegs unzufrieden waren.5) Doch in Bologna, in Udine und in Turin verlief das Leben in ähnlichen Bahnen wie weiter im Norden. Zweifellos waren hier die ethnisch-kulturellen Unterschiede bedeutend mehr markiert als im Deutschen Reich. Cavour, der eigentliche Gründer des italienischen Einheitsstaates, hatte nicht umsonst einen französischen Namen und eine hugenottische Mutter; auch liebte er die Stadt Genf über alle Maßen. Er war ein „Nordeuropäer“, ein liberaler und fortschrittlicher Graf, der ein mediterranes Land bedachtsam zusammengeklebt hatte…

Doch das Verhältnis dieses neuen, im Vergleich zum Zweiten Deutschen Reich unhistorischen Landes zur Kirche war schwer getrübt. Die Könige Italiens waren von 1870 bis Anfang 1929 als Usurpatoren Roms automatisch exkommuniziert, also von den Sakramenten ausgeschlossen und wurden immer wieder nur auf dem Totenbett in die Kirche aufgenommen. Katholiken wurden anfänglich von der Kirche aufgefordert, am politischen Leben überhaupt nicht teilzunehmen (taten es aber natürlich doch); ein führender jüdischer Freimaurer und Kirchenfeind, Signor Nathan, wurde Bürgermeister Roms; man baute ein riesiges Finanzministerium in der Nähe des Vatikans, um diesen in den Schatten zu stellen und errichtete ein Denkmal für Giordano Bruno: Der Abgrund zwischen Staat und Kirche war durch die Besetzung des Kirchenstaates total. Natürlich wurde den Italienern auch die Zwangszivilehe aufoktroyiert, die Bismarck im Zweiten Reich und das Dritte Reich in Österreich noch viel später dauernd(!) eingeführt hatten. Der Papst betrachtete sich als Gefangener im Vatikan, und als Italien schließlich im Ersten Weltkrieg sich auf die Seite der Westmächte stellte, mußten die Alliierten in den Londoner Protokollen die Zusicherung geben, daß der Vatikan zu Friedensverhandlungen nicht eingeladen werden durfte.

Das geeinte Italien war also in jeglicher Beziehung – territorial, psychologisch, weltanschaulich – nicht wirklich geeint, und das einfache Volk trauerte eine zeitlang den entschwundenen Lokaldynastien nach. Italien wurde von gemäßigt linken Kräften regiert, während auf der äußersten Linken der Sozialismus steigend Anhänger gewann. Auch der Anarchismus als zugespitzter, staatsfeindlicher Individualismus, der italienischen Volksseele sehr gut angepaßt, entfaltete sich recht bedenklich. (Es fragt sich, wie viele kommunistische Wähler Italiens heute in Wirklichkeit Anarchisten sind, die sich in die PCI oder auch in die Brigate Rosse verirrt haben!) Der Antiklerikalismus, sowohl mit dem Sozialismus und Nationalismus als auch mit dem Liberalismus innigst verbunden, färbte die politische und kulturelle Szene. Das technisch, materiell-organisatorisch-disziplinär „zurückgebliebene“ Land wollte mit seinen Führern um jeden Preis „fortschrittlich“ sein und mit der Mitte und dem Norden Europas erfolgreich konkurrieren. Die Kirche zu beschuldigen, am „Rückstand“ die Hauptschuld zu tragen, war ein beliebtes Alibi für viele Schwächen, ein naheliegender Kampfschrei. War man doch im angebeteten Norden davon überzeugt, daß die Kirche den Analphabetismus fördere, das Obskurantentum anfeuere und den „Konservatismus“ auf ihre Fahnen geschrieben hatte.6)

Unter allen diesen Umständen war es sehr natürlich, daß das Verhältnis Italiens zum Dreierbund (Österreich-Ungarn, Deutsches Reich, Italien), der eigentlich nur dank der Verstimmung Italiens durch die französische Annexion von Tunesien entstanden war, nicht sehr haltbar sein konnte. Deutschland wurde zwar bewundert, aber nicht geliebt, denn als Tourist war der milord anglais bedeutend freigebiger, wenn nicht auch manierlicher. Österreich–Ungarn hingegen war national der Erbfeind und historisch der Hort des katholischen Glaubens. Dazu kam das magische Bild der Italia Irredenta von Trient bis zur Bocche di Cattaro! Doch gab es in Italien auch Kreise, die in der Minderheit waren, aber am Dreierbund festhielten. Ich kannte italienische Offiziere, die im Sommer 1914 von einer Mobilisierung gegen Frankreich träumten und auch später den italienischen Kriegseintritt nicht nur als Verrat, sondern auch als politischen Unsinn allerersten Ranges betrachteten – was er auch tatsächlich war.

Das savoyische Königtum war nicht stark, und Italien war eine eher parlamentarische als konstitutionelle Monarchie. Die Politik wurde nicht vom König, sondern fast ausschließlich von Politikern gemacht. Die republikanischen Traditionen in Italien waren stark, stärker als anderswo in Europa mit Ausnahme der Schweiz und Frankreichs: Da waren das Beispiel der antiken römischen Republik, die verschiedenen Versuche einer römischen Republik in neuerer Zeit (die letzte mit der Beteiligung Garibaldis 1848–1849), die venezianische und die genuesische Republik, die republikanischen Perioden von Florenz. Und schließlich war der Kirchenstaat nur eine Wahlmonarchie. Auch vergesse man nicht, daß gerade weil Italien eine republikanische Tradition hatte, es dort auch eine solche der Diktatur mit antiken Wutzeln gab, ist doch die Diktatur eine republikanische Institution. Und die Tradition einer Duarchie? Auch eine solche hatte es im alten Rom mit den beiden Konsuln gegeben. (Und in Notzeiten den Dictator.)

Mit all diesen Problemen beschwert trat Italien in den Ersten Weltkrieg ein, nachdem die Versuche, von der mit Rußland auf Leben und Tod kämpfenden Donaumonarchie Gebietsabtretungen zu erpressen, gescheitert waren.

18. UNRUHIGES IBERIEN

Spanien und Portugal waren im 19. Jahrhundert noch viel einschneidenderen Krisen ausgesetzt als Italien. Nach 1813 kämpften keine ausländischen Truppen mehr auf der iberischen Halbinsel, dafür aber blühten die Bürgerkriege. Das Régime Joseph Bonapartes, wie auch der Einbruch der Ideen der Französischen Revolution ließen hier tiefe Spuren. Man spricht gerne über die „Romanen“ oder den „lateinischen Charakter“, aber die Portugiesen sind von den Spaniern grundverschieden, die Kastilier unterscheiden sich von den Katalanen, und die Basken sind natürlich ein Sonderfall.1) Alle diese Völker sind härter und stolzer als die Italiener: „una piccola combinazione“ gefällt den Iberern nicht. Kompromisse werden scharf abgelehnt.2)

Die Spanier – das sind die Kastilier, Katalanen, Galizier und gewissermaßen auch die Basken – hatten am Anfang des 18. Jahrhunderts das Pech, daß dank des Patt im Spanischen Erbfolgekrieg die Habsburger durch die Bourbonen ersetzt wurden. Mit Ausnahme von Karl III. (der schon früher König in Neapel war) hat diese Dynastie in Spanien keinen hervorragenden Monarchen hervorgebracht. Die Habsburger, wie vor ihnen Ferdinand und Isabella, los reyes católicos, waren die Glorie Spaniens gewesen – bis allerdings auf den Zweiten Karl, el rey hechizado, der verrückt war und kinderlos starb. Karl IV. aus dem Hause Bourbon wurde ein Gefangener Napoleons, der seinen Bruder Joseph als König einsetzte. Das aber war den Spaniern zu viel: Das Volk erhob sich in einer grimmigen Revolte, die von England aus militärisch unterstützt wurde. Ein „modernes“ Volk erträgt eine Fremdherrschaft, ein urwüchsiges tut dies nicht. Die spanische Erhebung zehrte an den Armeen Napoleons bis zum bitteren Ende und inspirierte sicherlich auch die Erhebung eines anderen „rückständigen“ Volkes, das Rückgrat hatte, der Tiroler. Doch der Tiroler Aufstand war von einem Mann von hoher Qualität geleitet, der spanische Aufstand hingegen war spontan und kopflos. Im Gegensatz zu den Südamerikanern kennen die Spanier den Personenkult eigentlich nicht. Auch Franco war nie allgemein beliebt.

Doch war Spanien immer auch der Empfänger ausländischer Ideen. Im Jahre 1812, als schon der Süden befreit war, traten in Cádiz die Cortes zusammen, nicht als „ständische“ Vertretung,3) sondern als Parlament modernen Stils, und gaben dem Land eine Verfassung – die einer konstitutionellen Monarchie. Die Befürworter dieser Verfassung waren die „Freiheitlichen“, los liberales.4) Diese Verfassung wurde nach dem Abzug der Franzosen und der Rückkehr der Bourbonen von Ferdinand VII., dem Sohn Karls IV. anerkannt, dann aber wieder abgelehnt. Ein neuer Aufstand brachte die Intervention der Heiligen Allianz, doch schließlich wandte sich der wankelmütige Ferdinand wieder den Liberalen zu. Seine Witwe (die vierte Frau!) schloß sich fest an das liberale Lager an und wurde die Regentin ihrer Tochter, der Königin Isabel II. Diese „altkastilische“ Erbfolge war jedoch dem inzwischen von Spanien übernommenen salischen Erbrecht, das der männlichen Thronfolge den absoluten Vorrang gibt, entgegengesetzt. Karl, der Bruder Ferdinands, beanspruchte den Thron. Ihn unterstützten die katholisch-konservativen Apostólicos, und dieser Erbfolgestreit, der bis auf unsere Tage angedauert hat, leitete die Serie der Karlistenkriege ein, in denen das konservative und katholische Spanien der Carlistas und das liberale Spanien der Isabelinos sich mörderische Schlachten lieferten. Nach dem Tode Ferdinands erhoben sich die Karlisten im Norden des Landes und wurden erst 1838 besiegt. Ein karlistischer Putsch mißlang im Jahre 1860. Doch die Kriege flammten wieder in voller Stärke im Jahre 1872 auf, als Amadeus von Savoyen auf die spanische Krone verzichtete und das Land herrenlos war. Sie dauerten bis 1876.5) Sind das bloß historische Reminiszenzen? Keine Spur. Ohne die Hilfe der Karlisten, die am tapfersten kämpften, wäre die Militärrevolution, die im Juli 1936 ausbrach, nie gewonnen worden.

Die ganze Geschichte Spaniens von 1808 an ist blutig; mit dem Gift der Französischen Revolution in seinen Eingeweiden sollte das Land nie zur Ruhe kommen: eine Revolution, eine Krise, eine Rebellion, ein Bürgerkrieg, ein Umsturz folgte nach dem anderen. General Franco gab im Mai 1946 in den Cortes einen Abriß der spanischen Geschichte seit jenen Tagen bis zum Juli 1936 als der große Bürgerkrieg ausbrach, in dem es nur der Zufall wollte, daß Franco eine so gewichtige Rolle spielte. Ferdinand VII., sagte er, kehrte nach einem grauenhaften Krieg und Bürgerkrieg, der mit der Niederlage der Franzosen endete, im März 1814 nach Spanien zurück. 19 Jahre hindurch dauerte der Kampf zwischen Absolutismus und Liberalismus – sechs Jahre des Absolutismus mit der Unterdrückung der Liberalen, drei Jahre liberaler Herrschaft mit blutiger Verfolgung der Absolutisten, zehn Jahre eines milden Absolutismus bis zur Herrschaft von Isabel II., mit fortwährenden Revolten und Aufständen, einem Bürgerkrieg, der zu einer ausländischen Intervention führte, dem fast totalen Verlust des Kolonialreichs und der steigenden Gefahr der Karlistenkriege. Vom Tode Ferdinands VII. bis zum Sturz der Königin Isabel, vom September 1833 bis zum September 1868, sah Spanien 41 Regierungen und zwei Bürgerkriege, von denen der erste sechs Jahre dauerte. Es gab zwei Regentschaften und den Sturz der Monarchie, drei neue Verfassungen, 15 Militärrevolten, zahlreiche lokale Unruhen, häufige Priestermorde, Brandlegungen, Verhaftungen, Meutereien, einen Attentatsversuch auf die Königin und zwei Aufstände in Kuba.

Vom Fall der Monarchie im Jahre 1868 bis zur Regierung Alfons XIII., etwas weniger als 34 Jahre, gab es 27 Regierungen, einen ausländischen König (Amadeus von Savoyen), der nur zwei Jahre regierte, eine Republik, die vier Präsidenten in elf Monaten hatte, einen Bürgerkrieg, der sieben Jahre dauerte, verschiedene republikanische Aufstände und fast dauernde Rebellionen; dazu kam ein Krieg mit den Vereinigten Staaten, der dem Land beinahe den Rest der Kolonien kostete. Zwei Präsidenten der Republik wurden umgebracht, und es gab zwei neue Verfassungen.

Von der Thronbesteigung Alfons XIII. bis zum 4. April 1931, als die zweite Republik ausgerufen wurde, gab es in den ersten 28 Jahren 29 Regierungen. Drei Attentate richteten sich gegen das Leben des Königs. Es gab verschiedene revolutionäre Bewegungen, militärische Revolten und die Errichtung einer Diktatur. Diese dauerte sieben Jahre, das einzige Zwischenspiel, das Frieden, Ordnung und Fortschritt brachte. Das Jahr darauf sah zwei verschiedene Regierungen und den Fall der Monarchie. Die Republik, die vom April 1931 bis zum Juli 1936 bestand, war eine Synthese aller Unruhen, Revolutionen und Rebellionen der spanischen Vergangenheit. In etwas mehr als fünf Jahren gab es zwei Präsidenten, 22 Regierungswechsel, eine Verfassung die fortwährend aufgehoben werden mußte, zahllorse Einäscherungen von Klöstern und Kirchen sowie religiöse Verfolgungen. Es gab sieben schwere Unruhen, eine kommunistisch-anarchistische Revolution (in Asturien), Sezessionsbewegungen in zwei Gebieten und die Ermordung von Oppositionsführern, die von Regierungskräften durchgeführt wurde.6)

Die Richtigkeit dieser Behauptungen kann nicht angezweifelt werden. Sie ist feststellbar. Nur fragt man sich unwillkürlich, ob diese eher doch betrübliche ‚Leistung‘ rein aus dem spanischen Charakter heraus erklärt werden kann oder ob da auch andere Gründe mitspielen. Sicherlich ist der Absolutismus des Denkens, die Verachtung für den Kompromiß, die Begeisterung für alles Extreme sehr spanisch. Man erinnere sich da an das spanische Revolutionslied der Exaltados aus dem Jahre 1821:

Muera quien quiere moderación

A viva siempre, y siempre viva

Y viva siempre la exaltación.7)

Auch wäre es verfehlt, in den Spaniern ein Volk von Neurotikern und Hysterikern zu sehen. Es gibt neben dem Extremismus auch eine spanische Nüchternheit und Klarheit, ja selbst eine spanische Selbstdisziplin, 1968 hatte Spanien die niedrigste Mord- und Totschlagsziffer der Welt.8) Die Schilderungen des spanischen Charakters, die wir von George A. Ticknor, dem „Bostoner Brahmanen“,9) bekamen, der das Land im Jahre 1817 bereiste, berichten von Spanien als von einem für das Reisen sehr beschwerlichen Land, das aber zugleich das „freiheitlichste Land der Welt“ für diesen Amerikaner war. Ticknor war von den Spaniern begeistert: „Hier ist größere Kraft ohne Barbarei, Zivilisation ohne Korruption als irgendwo anders. Kannst du das glauben?“ fragt er seinen Vater Elisha Ticknor in einem Brief. Und später sagt er: „Ein stilleres, anständigeres, die Gesetze befolgendes und loyaleres Volk habe ich nirgends in Europa gesehen.“ Doch mußte er auch erwähnen, daß die Regierung sehr schwach war, und die königlichen Gesetze ganz einfach ignoriert wurden.10) Von der Inquisition aber berichtete Ticknor, daß man sie allgemein verachte und sie nur noch Priester und Lehrer manchmal beeindrucke. Als sie nicht viel später ganz abgeschafft und durch die Polizei ersetzt wurde, gab es wütende Demonstranten, die in den Ruf ausbrachen: „Viva la Inquisición! Muera la policia!“11) Das katholische, anarchische Lebensgefühl war in diesem Volk immer präsent: Vergessen wir da auch nicht, daß weder die Spanier noch die Portugiesen je die Leibeigenschaft gekannt hatten!

Der einzige Faktor, der das historische Spanien einte, war der Glaube, denn politisch, sprachlich, regional, sozial sind die Spanier zutiefst gespalten, aber der gemeinsame Glaube hält sie noch irgendwie zusammen. Nun aber wurde durch die Aufklärung der Glaube unterhöhlt, und der Spanier wandte sich in seinem kompromißlosen Absolutismus nur zu oft anderen „Glaubensformen“ zu. Die Worte Dostojewskijs: „Wenn es Gott nicht gibt, dann ist alles erlaubt!“ fielen auch beim Spanier auf einen fruchtbaren Boden. Wenn es Gott nicht gibt, dann ist die Kirche nicht vielleicht (wie das ein nordeuropäischer Agnostiker gerne formulieren würde) eine Einrichtung von „volkspädagogischem Wert“, sondern ein ganz ungeheurer Schwindel. Dann aber gehören Priester wie Schweine abgestochen, Nonnen öffentlich geschändet und Klöster kurzerhand eingeäschert. Man erinnere sich an den Wahlspruch der Heiligen Therese von Avila: „Dios o nada – Gott oder Nichts!“ Man bedenke da wieder, daß die Völker der alten Kirche, also der katholischen und der östlichen, revolutionär, die des verweltlichten „Nachprotestantismus“ aber evolutionär sind. Nicht so ganz zufällig war Charles Darwin ein Engländer, und dem Engländer ist heute jeder Bruch mit der Vergangenheit, jeder Absolutismus, jeder Extremismus, jede Kompromißlosigkeit ganz und gar zuwider. Man erinnere sich an die Worte Herzens, die er in einem Brief an einen englischen Adressaten schrieb : „Rußland wird nie juste milieu, Rußland wird nie protestantisch werden!“12)

Diese Erschütterung der ganzen spanischen Gesellschaft (die doch ähnlich der russischen einen sehr demotischen Charakter trägt) darf nicht unterschätzt werden. Dazu kam allerdings noch ein Element, das auch in Italien und Portugal eine nicht geringe Rolle spielte: das Gefühl dem Norden an ‚Modernität‘ und Fortschrittlichkeit unterlegen zu sein. Dort hatte die technische Zivilisation im Rahmen einer ‚Leistungsgesellschaft‘ eine große Disziplin und Konformität produziert, dadurch auch Reichtum gebracht, der auf den Süden beschämend wirkte. Das Resultat war ein Minderwertigkeitskomplex, der durch die Anwesenheit von Touristen (die natürlicherweise13) von Norden nach Süden zogen) noch virulenter gestaltet wurde. Dazu versagte der Parlamentarismus völlig; wenn man es dem Norden – und besonders den Engländern – gleichtun wollte, war das Resultat zugleich tragisch und lächerlich.

Sicherlich funktionierte im Süden die demokratische Republik ebensowenig wie die konstitutionelle Monarchie, denn die Parteien waren und sind auch heute noch im Süden streng ideologisch ausgerichtet und nicht gerade ins and outs wie zum Beispiel in England und in den Vereinigten Staaten. Mit ideologischen Parteien und dem fanatischen Party Spirit konnte zwar eine absolute Monarchie, nicht aber eine Republik und schon gar nicht eine demokratische Republik bestehen. Soviel ahnten auch die Amerikaner, wie ja selbst George Washington in seiner Farewell Address14) dies sehr genau feststellte, denn ein starker Monarch genügt als einigendes Band. Die Ideologisierung im katholischen Bereich kommt aber wiederum vom katholischen Intellektualismus, den schon Luther mit seinem starken Fideismus und seiner Abneigung gegen die Scholastik angeprangert hatte. Deshalb hat im ‚protestantischen‘ Raum die Intellektualität (wie auch die Kunst) nicht den Stellenwert wie in der Welt der alten Kirche. Der britische oder gar der amerikanische Professor hat nicht denselben Status wie sein Kollege in Frankreich, in Mitteleuropa, Südeuropa oder im Osten, wobei hier bemerkt werden muß, daß die deutschen Lande phänotypisch viel eher zum Orbis Catholicus als zum Mundus Reformatus gehören.15)

Portugal war zu dieser Zeit auch nicht viel besser daran als Spanien, denn was die Karlistenkriege für Spanien, waren die Miguelistenkriege für Portugal; auch dort war ein männlicher Erbe, der gegen eine liberale Königin und ihren Anhang Krieg führte – Dom Miguel gegen Maria da Glôria. Auch in Portugal unterlag der konservative Prätendent, und bis zum Ende des Königreichs (1910) regierte dort nicht das Haus Bragança (obwohl es sich so nannte), sondern wie in England, Belgien und Bulgarien das Haus Sachsen-Coburg. Die Nachfolger Dom Miguels lebten zumeist in Österreich,16) doch inzwischen sind die portugiesischen Sachsen-Coburgs ausgestorben, sodaß der jetzige Prätendent von Dom Miguel abstammt.17)

Portugal war trotz seines immerhin noch ausgedehnten Kolonialreichs – Angola, Moçambique, Guinea, São Tomé, Macau, die Kapverdischen Inseln und das halbe Timor – wirtschaftlich und politisch so schwach, daß es praktisch eine Kolonie seines „ältesten Verbündeten“, also Großbritanniens, wurde. Die gewaltige finanzielle und militärische Überlegenheit des Nordens lastete auch auf Portugal schwer. In Spanien kam es nach der Niederlage durch die Amerikaner im Jahre 1898 zu einem intellektuell-literarischen Erwachen: Die „Generation von 98‘“ umfaßte Leute wie Unamuno, Pio Baroja, die beiden Brüder José und Eduardo Ortega y Gasset. Man empfand dort sein Land als „problematisch“ – España como problema; José Ortega schrieb nicht viel später auch sein España invertebrada. Doch Ähnliches ereignete sich auch in Portugal. Dort hatte ein britisches Ultimatum, als Folge des kolonialen Vorstoßes eines portugiesischen Forschungsreisenden in Afrika (Serpa Pinto), einen psychologischen nationalen Notstand hervorgerufen. Auf die Spitze getrieben wurde diese Krise durch eine britische Flottendemonstration an der Tejo-Mündung. Man darf da nicht vergessen, daß Portugal im 16. Jahrhundert das größte Kolonialreich der Welt von Brasilien bis Macau besessen und praktisch alle Ozeane regiert hatte, während England zu dieser Zeit noch ein rechter Seeräuberstaat war.18) Der große portugiesische Dichter Tarquinio Anthero de Quental verübte bald daraufhin Selbstmord und schrieb zum Abschied:

„Ein englischer Staatsmann des letzten Jahrhunderts, der zweifellos auch ein kluger Beobachter und Philosoph gewesen war, Horace Walpole, hatte gesagt, daß für jene, die fühlen, das Leben eine Tragödie, für die aber, die denken, eine Komödie ist. Gut, wenn wir Portugiesen, die fühlen, tragisch zugrunde gehen müssen, so ist das ein edles Schicksal verglichen mit dem, das in vielleicht nicht allzu ferner Zukunft England beschieden sein wird, das elend und komödienhaft untergehen wird.“19)

Man muß allerdings bezweifeln, daß die Engländer berechnende Intellektualisten sind, aber Anthero de Quental hatte da etwas gesagt, was im Süden Europas sehr allgemein empfunden wurde.

Die Geschichte Portugals bis zum Sturz der Monarchie ist eine Spanien ähnliche: Revolten und Revolutionen, politische Morde, schwerste Finanzkrisen, alles getragen von der portugiesischen saudade, einer Mischung von Traurigkeit und unerklärlichem Heimweh. Portugal ist allerdings auch ein Land wuchtigster Schicksalsschläge, wie die spanische Herrschaft von 1580 bis 1640, die die Holländer weidlich ausnützten,20) das fürchterliche Erdbeben von 1755, dem nicht nur das alte Lissabon zum Opfer fiel, sondern das auch eine tiefe Glaubenskrise hervorrief und das Régime des kirchenfeindlichen Marquis Pombal psychologisch erst möglich machte. Er war der große „aufgeklärte“ Verfolger der Jesuiten, die er einsperren ließ und die in nassen Gefängnissen elend zugrunde gingen. Auch die Zerstörung der jesuitischen Reducciones in Paraguay (von Brasilien aus) war sein Werk. Am Anfang des 19. Jahrhunderts kamen die Kriege zwischen den Briten unter Wellington und den Franzosen dazu, die von Spanien unter Napoleons Bruder Joseph ins Land eingedrungen waren. Wie auch anderswo zeichneten sich die französischen Truppen als tüchtige Plünderer aus. Auch Gotteshäuser verschonten sie nicht. Dann kamen die Kriege zwischen den Miguelisten und den Liberalen, schließlich die große Stagnation, die zu einer völligen Vernachlässigung der Kolonien führte. 1908 kam der Doppelmord an König und Kronprinz in der besten demo-linken Tradition, worauf der zweite Sohn des Königs, Manoel, ein halbes Kind, bis 1910 regierte. Es war dies die erste Gründung einer Republik am ganzen Erdball seit 1870. Doch wie überall folgte dem Ende der Monarchie eine endlose Kette von Pronunciamentos, Staatsbankrotten, Aufständen in einem nun vollends chaotischen Land. Die „europäischen“ Ideen wirkten sich in diesem einfachen, fleißigen, etwas melancholischen und skeptischen Volk ebenso fatal aus wie in Spanien.