Kitabı oku: «Seelische Erkrankungen bei Menschen mit Behinderung», sayfa 6
Ängste als Teil eines gesunden Seelenlebens
Angst als Schutzmechanismus
»Gesunde« Angst beschreibt einen sehr notwendigen, Sicherheit gebenden Schutzmechanismus. Angst können wir in diesem Sinne als sinnvoll und lebensnotwendig, ja, wie ein Alarmsystem verstehen. Wir werden gewissermaßen durch einen »automatischen« Schutzmechanismus in die Lage versetzt, eine Gefahr schnell zu erkennen und darauf zu reagieren. So kann diese Alarmreaktion in plötzlichen Gefahrensituationen – im Straßenverkehr, in der Begegnung mit einem wilden Tier, in Naturkatastrophen, bei Feuer oder Ähnlichem – unser Leben retten. Wir müssen es sogar als pathologisch ansehen, wenn diese Angstreaktion nur begrenzt möglich ist, wie beispielsweise bei manchen Formen des ADHS. Bei der sogenannten Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung fehlt Kindern, durchaus auch betroffenen Erwachsenen, oft ein hinreichendes Gefühl für reale Gefahren.
Angst als Helfer, Kräfte zu aktivieren
Angst kann auch helfen, herausfordernde Situationen zu bewältigen. Wir können dabei vor der Angst stehen bleiben und vor ihr zurückweichen oder durch die Angst hindurchgehen – und daran wachsen. Ein charakteristisches Beispiel ist das »Lampenfieber«: die Angst vor einem Konzert, einem Vortrag, einem Referat oder Ähnlichem. Hier kann Angst helfen, Kräfte zu aktivieren. Unterstützend kann dann sein, wenn ich mir sage: »Ich weiß, dass ich das kann«, wenn ich mich also auf die eigene Befähigung besinne, die gestellte Aufgabe zu bewältigen. Es kann hier auch helfen, sich bewusst zu machen: »Es geht nicht um mich, sondern um die Sache, und die Sache ist gut«, wenn es sich um eine Herausforderung handelt, die nicht nur dem persönlichen Interesse dient. Eine vertiefte Motivation kann dazu beitragen, Angst auszuhalten. Ich kann mir auch sagen: »Hier bin ich, und ich werde tun, was ich kann und was in meinen Kräften steht.« Dieses Aufrufen einer inneren Haltung, die Anspannung der eigenen Kräfte trägt häufig dazu bei, dass Unruhe und Angst nachlassen und der Fokus zielstrebig auf die anstehende Aufgabe gerichtet werden kann.
Vertiefung der Persönlichkeit
Wenn man sich einer solchen Aufgabe gestellt und sie bewältigt hat, ist dies anschließend oft mit einem tiefen Glücksgefühl, dem Gefühl eines persönlichen Reifeschrittes und damit einer Vertiefung der Persönlichkeit verbunden.
Fritz Riemann beschreibt die Angst in dem Zitat am Anfang dieses Kapitels auch als einen wesentlichen Aspekt persönlicher Reifung. Jeder Mensch durchläuft diese Schritte. Ein Mensch mit Unterstützungsbedarf benötigt hier unsere Wahrnehmung, wo für ihn möglicherweise angstbesetzte Reifungsschritte anstehen. Er fragt uns gewissermaßen nach Strategien, diesen jeweiligen angstauslösenden Herausforderungen zu begegnen. Gerade auch im Umgang mit Angst wird der Begriff des »Assistenzbedarfs« sehr konkret.
Grundtendenzen psychosozialer Entwicklung
Im weiteren Verlauf seines Buches schildert Fritz Riemann unterschiedliche Angsttendenzen, die wir als Menschen in uns tragen. Er beschreibt damit das Spannungsfeld zwischen Individuation und sozialer Integration, in das jeder Mensch sich auf die ihm gemäße Weise eingliedern kann und muss. Riemann unterscheidet vier Grundtendenzen individueller psychosozialer Entwicklung: Die Fähigkeit, sich einem Größeren eingliedern zu können, steht der Fähigkeit gegenüber, im Sinne einer Individuation die eigenen Bedürfnisse wahrnehmen und verfolgen zu können. Und die Fähigkeit, Dauer und Beständigkeit im eigenen Leben zu entwickeln, steht in einem Spannungsverhältnis zu der Fähigkeit, sich zu verändern und zu wandeln.
Letztlich sind es gerade diese scheinbaren Widersprüche, deren jeweilige Integration Entwicklung ermöglicht: Die Angst vor Selbsthingabe, die Angst vor Selbstwerdung, die Angst vor Notwendigkeit und Endgültigkeit und die Angst vor Wandlung entwickelt und beschreibt Fritz Riemann als die »Grundformen der Angst«. Jeder Mensch trägt diese Ängste in unterschiedlicher Gewichtung in sich.
Die Lösung und damit die Voraussetzung zur persönlichen Freiheit sieht er in der Akzeptanz unserer menschlichen Begrenztheit, in der Annahme von Abhängigkeit in unserem Leben, anders ausgedrückt: darin, sich vertrauensvoll dem Fremden zu öffnen. Weitere Aspekte sind die Annahme von Einsamkeit, also die Akzeptanz, dass ein Verlust an Geborgenheit Teil der persönlichen Entwicklung sein kann, sowie die Akzeptanz eigener Schwächen. Und letztlich ist auch die Annahme von Vergänglichkeit von Bedeutung, also den Tod als Teil des Lebens, die Notwendigkeit von Abschied zu akzeptieren.33
Diese grundlegenden Aspekte von Angst können als wesentliche Bestandteile einer gesunden persönlichen Entwicklung gesehen werden.
altersgebundene Ängste von Kindern und Jugendlichen
Einen weiteren Bereich von Ängsten, die Teil einer normalen Entwicklung sind, stellen die altersgebundenen Ängste des Kindes und der Jugendlichen dar. So zeigen Kinder in unterschiedlichen Entwicklungsstufen Angst vor Gewitter, Gespensterangst und Dunkelangst. Fremdenangst, Trennungsangst, Angst vor Einbrechern oder ein »Pavor nocturnus«, die Angst vor Nacht und Dunkelheit, sollten nicht generell als pathologisch erachtet werden, sondern als naturgegebener Aspekt biografischer Entwicklung.
Eine charakteristische Angst von Jugendlichen in der Pubertät ist das angstvolle Betrachten des sich verändernden Körpers und die Frage nach Normalität. Dies sind keine pathologischen Ängste, sie begleiten vielmehr die Entwicklung. Es gilt hier darauf zu achten, dass diese Ängste nicht über ein im Sinne der Angst adäquates Alter hinausgehen bzw. dass das Maß dieser Ängste andere Entwicklungsschritte nicht überschattet.
Es kann vielleicht verallgemeinernd gesagt werden: Ob und wieweit eine seelische Situation als Krankheit angesehen werden muss, liegt immer auch daran, wie die Angst individuell bewältigt werden kann, und letztlich auch, ob ein Mensch daran leidet. Hier sind die Grenzen sehr fließend: Was der eine Mensch verarbeiten kann oder vielleicht sogar als positive Herausforderung erlebt, kann für den anderen unerträglich sein.
Fähigkeit zur Individuation fördern
Die Unterstützung von Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung bzw. Assistenzbedarf in diesen Fragen gehört zu herausragenden Aufgaben einer heilpädagogischen bzw. sozialtherapeutischen Begleitung. Diese unsere Begleitung muss der Fähigkeit zur Individuation jedes Einzelnen dienen, also auf dem Bemühen gründen, einem anvertrauten Menschen ein selbstbestimmtes, d. h. ein auf Selbstfindung aufgebautes Leben zu ermöglichen. So können gerade die hier geschilderten Aspekte der Angst als einer möglichen Hemmung vor anstehenden Entwicklungsschritten entweder der persönlichen Reifung dienen – oder Ausgangspunkt einer die Entwicklung beeinträchtigenden Angstsymptomatik darstellen.
Selbstbestimmungsrecht achten
Aber auch dies: Wir haben kein Recht, von außen einem Menschen abzuverlangen, einen Schritt zur Bewältigung von Angst zu gehen. Immer müssen wir die individuelle Freiheit und das damit einhergehende Selbstbestimmungsrecht achten.
In der Begleitung von Menschen mit Unterstützungsbedarf obliegt es dem Begleiter, gerade dafür ein Gefühl zu entwickeln und gegebenenfalls Hilfen bzw. Bewältigungsstrategien (sogenannte Coping-Strategien) anzubieten.
Angst ist eine Herausforderung – deshalb sollten immer, wirklich immer in der Begleitung eines Menschen unsere Fragen sein: »Willst du da herangehen?« – »Willst du, dass ich dir dabei helfe?« – »Kann ich dir helfen, an diese Angst heranzugehen?« – »Meinst du, wir können zusammen da herangehen?« usw. Da gibt es viele möglichen Formen, immer getragen von der Achtung der Freiheit des anderen. Aber niemals dürfen wir vermitteln: »Du musst da durch!«
Dann kann – wie für jeden Menschen – die Bewältigung bzw. Überwindung einer Angst ein tiefes Entwicklungspotenzial bedeuten.
frei gewählte innere Entwicklung
Neben dieser »not-wendigen« Angst beschreibt Jakob Böhme (1575–1624), der in Görlitz als Philosoph und Mystiker lebte, eine ganz andere Form. Hier wird Angst in einen ganz anderen Zusammenhang gestellt. Es geht ihm um Angst als Begleitung einer frei gewählten inneren Entwicklung. Er sagt: »Es wird kein Leben, es zerbreche denn dasjenige, daraus das Leben gehen soll. Es muss alles in die Angstkammer ins Centrum eingehen, und muss den Feuerblitz in der Angst erreichen, sonst ist keine Anzündung, wiewohl das Feuer mancherlei ist, also auch das Leben; aber aus der größten Angst urständet auch das größeste Leben, als aus einem rechten Feuer.«34
In dieser uns heute fremd anmutenden Sprache weist Jakob Böhme auf Bedingungen der inneren Entwicklung und der Meditation. Gemeint ist, dass Menschen auf einem inneren Weg durchaus vor Situationen der Angst vor der Tiefe des Erlebten stehen können. Das Durchgehen durch diese Angst ermöglicht dann eine vertiefte innere Entwicklung: »… aus der größesten Angst urständet auch das größeste Leben …«.
Angst als begleitendes Symptom seelischer Erkrankungen
Angst begleitet fast alle wesentlichen seelischen Erkrankungen und stellt dabei oft ein zentrales Symptom dieser jeweiligen Erkrankung dar. Angst tritt aber auch bei körperlichen Erkrankungen auf und als Teil von Syndromen von Menschen mit einer intellektuellen Einschränkung.
umfassendes Symptom bei jeder seelischen Erkrankung
Im Einzelnen wird dies bei den jeweiligen Krankheitsbildern beschrieben und vertieft abgehandelt. Hier soll nur kursorisch und mit entsprechenden Hinweisen angeführt werden, dass Angst ein umfassendes Symptom ist, das bei jeder seelischen Erkrankung eine wichtige Rolle spielt.
Psychose
So kann ein Mensch im psychotischen Erleben schwere wahnhafte Ängste erleiden, insbesondere paranoide, also Verfolgungsängste. Eine solche Angst kann Teil der erlebten »Grenzauflösung« sein. Dies bedingt dann einen zunehmenden und letztlich umfassenden Verlust an Schutz durch Abgrenzung.
Das für unsere Sicherheit so grundlegende Wissen »Hier bin ich und dort ist der andere, hier bin ich und dort ist die Welt« kann für den Betroffenen verloren gehen. Ein psychotisch erlebender Mensch kann sich ungeschützt und elementarsten Kräften ausgeliefert erleben. In der akuten Psychose können schwerste Ängste auftreten, bis hin zu einer Todesangst und tiefster Isolation: ein letztlich absolutes Bedroht-Sein. »Der Mensch, das Selbst, die Person, der andere, die Welt haben keine Grenzen mehr bzw. die Grenzen verschwimmen.«35
Depression
In der Depression kann ein Mensch mit den Urängsten menschlichen Erlebens konfrontiert sein. Mit der Angst, Schuld auf sich geladen oder sich »versündigt« zu haben, mit der Angst vor Verarmung oder schwerer unerkannter Erkrankung. Mit der Angst, ausgestoßen zu sein und damit vereinsamen zu müssen, und letztlich der Angst, nicht geliebt zu werden.
Die Angst ist stark mit der Depression verbunden – sie kann so im Vordergrund stehen, dass die Depression dahinter nicht gesehen werden kann.
Neurotische Angst setzt gewissermaßen bei dem an, was Fritz Riemann ausgeführt hat: Diese Angst kann entstehen, wenn Entwicklungsschritte nicht angegangen oder bewältigt werden und ein Mensch vor den Herausforderungen stehen bleibt, die sein Leben ihm stellt. Ein englisches Wort mag dies erläutern: »A ship in a harbour is safe – but this is not what ships are built for« (Ein Schiff im Hafen ist sicher – aber dafür ist es nicht gebaut!). Stehen zu bleiben kann vielleicht vordergründig Sicherheit bedeuten, letztlich aber führt das Verharren, der mangelnde Mut, Schritte im eigenen Leben zu gehen, zu einem ausgeprägten Leiden.
Letztlich ist der Kern dieser Angst ein Zurückschrecken vor der eigenen Entwicklung, die Angst vor der »Individuation« (nach C. G. Jung).36
Borderline-Syndrom
Das Borderline-Syndrom kann von schweren Ängsten begleitet werden, die im Grunde diese Erkrankung prägen. Die Ängste kreisen hierbei um ein chronisches Gefühl der Leere und Langeweile und ein oft unerträgliches Empfinden innerer Orientierungslosigkeit. Dies bedingt die affektive Instabilität mit sowie das verzweifelte Bemühen, ein tatsächliches oder vermutetes Verlassen-Werden zu verhindern. Darin besteht vor allem der Kern dieser tiefen Angst. Der Versuch, dieser oft als gänzlich unerträglich empfundenen Angst auszuweichen, kann hinter den meisten der vielfältigen Symptome dieses Syndroms erkannt werden.
Demenz
Gerade am Beginn einer Demenz erlebt der Mensch seine nachlassende Orientierungsfähigkeit. Der damit einhergehende Verlust und die zunehmend erzwungene Aufgabe von Autonomie kann zunächst eine Quelle tiefer Angst sein. Im weiteren Verlauf der Erkrankung wird letztlich alles immer wieder neu und unüberschaubar für die Betroffenen. Sie können nicht auf Erfahrungen und erworbene Bewältigungsstrategien von Aufgaben und Herausforderungen zurückgreifen. Dies verunsichert einen Menschen zutiefst und führt zu extremster Angst. Das damit einhergehende Ausgeliefertsein verstärkt diese Angst.
Posttraumatische Belastungsstörung
Auch die Symptomatik der Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) oder auch Traumafolgestörung ist geprägt durch Angst. Hintergrund dieser wesentlichen seelischen Erkrankung ist eine massive Überforderung, ein Ausgeliefertsein, erlittene Gewalt oder Ähnliches. Ursache ist ein einmal oder anhaltend erlittener Einbruch in schützende Hüllen – seien dies Hüllen der umgebenden Personen, seien es eigene seelische Hüllen. Die PTBS ist gekennzeichnet durch fehlende Hilfe, vermissten Schutz, Ohnmacht, Ausgeliefertsein und Entgrenzung.
Angst ist ein zentrales begleitendes Symptom der Posttraumatischen Belastungsstörung. Eine frühe schwere Traumatisierung kann die Ausbildung und Funktion von Gehirnstrukturen beeinträchtigen, die mit Angstentstehung, Angstwahrnehmung und Angstbewältigung grundlegend verbunden sind (siehe das Kapitel über die PTBS, Seite 80 ff.).
Anorexie
Ess-Störungen werden geprägt und verursacht durch Angstphänomene. So verbirgt sich hinter der Anorexie, insbesondere der Pubertätsmagersucht, die Angst vor der Selbstwerdung, vor der eigenen Persönlichkeitsreifung, insbesondere auch der Ausbildung einer sexuellen Identität. All dies steht hinter der Angst vor einer Gewichtszunahme – die in der Selbstwahrnehmung äußerer Ausdruck dieser »Selbstwerdung« ist.
Bulimie
Bei Menschen, die eine Bulimie entwickeln, zeigt sich oft hinter einer äußeren »Fassade« eine tiefe Selbstunsicherheit: die Angst, als der Mensch »entdeckt zu werden«, der man eigentlich ist – und tiefe Scham gerade auch gegenüber dem eigenen Essverhalten. Eine Scham, die auch den Zugang zum anderen oft sehr erschwert.
Angst als begleitendes Symptom körperlicher Erkrankungen
Ehe die eigentlichen und zentralen Angstkrankheiten angesprochen werden, ist es auch in diesem Zusammenhang zwingend erforderlich, noch einmal zu betonen, dass einer psychiatrischen Diagnose immer eine gründliche Abklärung möglicher körperlicher Ursachen vorausgehen muss. Dies gilt insbesondere für Menschen, die sich verbal nicht ausdrücken können.
internistische Erkrankungen
Mögliche internistische Erkrankungen, die mit Ängsten auftreten können, sind zum Beispiel Hypoglykämien (Unterzuckerung) bei Blutzuckererkrankungen, Eisenmangel, generell Formen einer Anämie, Schilddrüsenstoffwechselstörungen, Elektrolytstörungen sowie Lungenerkrankungen. Außerdem werden vor allem Zustände und Erkrankungen, die mit dem Herzen zusammenhängen, oft als ängstigend erlebt: Ohnmachtssituationen bzw. Synkopen (zum Beispiel verursacht durch plötzlich aufgetretenen erniedrigten Blutdruck) sowie auch schwerere Erkrankungen wie Angina pectoris, Herzschlagunregelmäßigkeiten (kardiale Arrhythmie) und natürlich die schwerste hier mögliche Erkrankung, der Herzinfarkt.
neurologische Erkrankungen
Auch im Bereich der Neurologie gibt es Erkrankungen, die mit Ängsten einhergehen können, wie Formen der Epilepsie (vor allem die Temporallappenepilepsie), multiple Sklerose, neuro-degenerative Erkrankungen sowie die Parkinson-Erkrankung (insbesondere im Hinblick auf die damit einhergehenden Bewegungseinschränkungen).
Diese Erkrankungen sollen hier nur als wenige Beispiele einer großen Anzahl internistischer oder neurologischer Erkrankungen aufgeführt werden, die zu einer Angstsymptomatik führen können.
Angst als begleitendes Symptom von frühkindlichen Hirnschäden sowie von chromosomal bedingten Syndromen
Reaktion auf Überforderung
Im Bereich von Heilpädagogik und Sozialtherapie ist Angst ein sehr häufig anzutreffendes Symptom. Fast immer tritt es als Reaktion auf eine individuelle oder spezifische Überforderung auf.
Im besonderen Maße bedürfen Menschen mit einem Fragilen X-Syndrom, aber auch Menschen mit einem Williams-Beuren-Syndrom hier unserer schützenden Aufmerksamkeit. Aber auch das Gebaren von Menschen mit einem Angelman-Syndrom muss hier genannt sein: Allzu häufig wird deren offenes, scheinbar lächelnd-zugewandtes Verhalten verkannt, dem diese Personen ausgeliefert sind.
Herauszuheben sind unter diesem Aspekt auch Menschen mit einer autistischen Veranlagung, einer Autismus-Spektrum-Störung (ASS). Bedingt durch deren alles dominierende Sinnesverarbeitungsstörung können auch scheinbar alltägliche Sinneseindrücke überwältigend und dadurch angstauslösend wirken (Weiteres hierzu siehe in den Kapiteln über die »Psychiatrischen Aspekte heilpädagogischer Bilder« und die »Autismus-Spektrum-Störung«, Seite 277 ff. und 317 ff.).
der eigenen Angst nicht ausweichen
Das gilt es voranzustellen: Angst ist unabdingbar, Angst begleitet die gesunde Entwicklung, ja: fördert sie im immer neuen Aushalten und Bewältigen. Angst geht mit den unterschiedlichen Formen seelischer Erkrankungen einher. Das heißt aber auch: Wenn ich mich auf die Begleitung eines Menschen mit Assistenzbedarf einlasse, werde ich Angst begegnen. Und wenn ich der Angst des anderen begegne, werde auch ich mit meiner eigenen Angst konfrontiert. Und ich werde dem anderen umso mehr ermutigende Unterstützung sein, wie ich meiner eigenen Angst, meinen eigenen Ängsten nicht ausweiche.
Die Akzeptanz, selber Ängste zu haben, und ein offener und wachsend freier Umgang mit meinen eigenen Ängsten eröffnen dem anderen den Weg, sich seinen Ängsten anzunähern. Die vertrauensvolle Akzeptanz, das bewusste Einlassen auf meine Ängste ist eine wesentliche Grundlage, das Entwicklungspotenzial des anderen wahrnehmen zu können.
Auf dieser Haltung baut Therapie auf – auf der Akzeptanz, dass Angst Teil jeder Entwicklung ist, und zwar ein »not-wendiger« Teil. Und auf der Akzeptanz, dass auch ich als Begleiter nicht ohne Angst bin – sondern dass ich, wenn ich mich um Offenheit bemühe, auch meiner eigenen Angst begegne.
Fähigkeit der Dankbarkeit
Wenn wir solchermaßen mit Angst umgehen, können wir erleben, dass auf der einen Seite der Mut der Angst gegenübersteht, dass Mut helfen kann, Angst auszugleichen. Darunter liegt aber noch ein weiteres »Geheimnis«: Letztlich ist es vor allem die Fähigkeit der Dankbarkeit, die helfen kann, an der Angst zu wachsen. Dankbarkeit, die sich auf Bereiche bezieht, die außerhalb der jeweiligen Ängste liegen. Und Dankbarkeit ist lernbar!
Angst als eigenständige Erkrankung wird in dem Kapitel »Angststörungen« beschrieben, siehe Seite 199 ff.