Kitabı oku: «Seelische Erkrankungen bei Menschen mit Behinderung», sayfa 7
Psychiatrische Erkrankungen
Wer, wenn nicht diejenigen unter ihnen, die ein schweres Los getroffen hat, könnte besser bezeugen, dass unsere Kraft weiter reicht als unser Unglück, dass man, um vieles beraubt, sich zu erheben weiß, dass man enttäuscht, und das heißt ohne Täuschung, zu leben vermag.
Ingeborg Bachmann
Wie in der Einleitung erwähnt, sind es die gleichen seelischen (psychischen) Erkrankungen, an denen Menschen mit und Menschen ohne Intelligenzminderung erkranken. Die eingeschränkte Kommunikationsmöglichkeit vieler Betroffener »verschleiert« oft das eigentliche Geschehen.
Hinsichtlich der einzelnen Krankheitsbilder möchte ich zunächst einen allgemeinen Überblick über diese jeweilige Erkrankung geben: Erscheinungsformen, Grundsymptome – ein Basiswissen. Da die Symptomatik des jeweiligen Krankheitsbildes nicht immer unmittelbar erkennbar ist, gilt es darüber hinaus, die besonderen Erscheinungsformen jeder bekannten seelischen Erkrankung bei Menschen mit intellektuellen Beeinträchtigungen herauszuarbeiten, und dies beinhaltet insbesondere auch, die erforderlichen spezifischen diagnostischen Zugänge darzustellen.
»Blick von außen« und »Blick von innen«
Meine Schilderung folgt dabei einem Weg, den ich auch in der jeweiligen Beratung von Betroffenen zu verfolgen versuche. So gilt es zunächst, zwei unterschiedliche Blickwinkel zusammenzuführen – den Blick »von außen« und den Blick »von innen«. Der Blick »von außen« meint: Was sehe ich – als Angehöriger, als Heilpädagoge oder Sozialtherapeut, als Arzt oder Therapeut? Was zeigt mir der andere durch sein Verhalten ebenso wie durch seine Äußerungen?
Dies ist aber nur ein Blickwinkel. Bliebe er allein, würde das Wesentliche übersehen. Deshalb auch ein Blick »von innen«. Die Indianer benennen es so: »Wenn du den anderen verstehen willst, musst du in seinen Mokassins gehen.« In einem Brief aus dem Jahre 1915 drückt Rudolf Steiner es so aus: »Man kann kaum einem Menschen seelisch etwas sein, in dessen Innenlage man sich nicht versetzen kann.«37 Søren Kierkegaard sagt einmal: »Habe ich verstanden, was der andere verstanden hat?«38 Nur dies kann sinnvoller Ausgangspunkt meines Handelns sein. Dieser zweite und letztlich entscheidende Blickwinkel ist also der Versuch, sich in den Betroffenen hineinzuversetzen, zu versuchen, die Dinge mit seinen Augen zu sehen, aus seiner Seele her nachzuempfinden. Es ist selbstverständlich, dass dieser vorrangig empathische Zugang immer nur eine Annäherung sein kann, ein Versuch.
reflexive Distanz
So wird es immer wieder die Frage sein, ob ich mich wirklich dem anderen nähere oder ob ich in einer Interpretation, einem Vorurteil, befangen bin. Kritische Distanz zu mir, reflexive Distanz, ist da erforderlich.
eigene Erlebens- und Sehfähigkeit
In eindrucksvoller Weise hat der Psychiater und Philosoph Karl Jaspers den Zusammenhang dieser beiden Blickrichtungen »von innen« und »von außen« 1965 dargestellt: »Das Eigentümlichste, das der Psychopathologe [hier ersetzt durch: »der / die Heilpädagoge/in« bzw. »Sozialtherapeut/in«, d. V.] erkennt, erwächst ihm im Umgang mit Menschen. Was er hier erfährt, ist abhängig davon, wie er in der Situation sich dem Menschen gibt und wie er therapeutisch mitwirkt an dem Geschehen, in dem er zugleich sich selbst und den anderen erhellt. Er vollzieht nicht nur ein indifferentes Wahrnehmen, wie beim Ablesen eines Maßes, sondern das ergreifende Verstehen im Erblicken der Seele. Der Psychopathologe [»der / die Heilpädagoge/in« … d. V.] ist abhängig von seiner Erlebens- und Sehfähigkeit, ihrer Weite, ihrer Offenheit und Fülle. Es ist ein großer Unterschied zwischen den Menschen, die blind trotz offener Augen durch die Welt der Kranken gehen, und der Entschiedenheit klaren Wahrnehmens aus einer Sensibilität der Teilnahme. Das Miterzittern der eigenen Seele mit den Ereignissen im anderen fordert dann vom Forscher [von »dem / der Heilpädagogen/in … d. V.] das denkende Vergegenständlichen solcher Erfahrung. Ergriffenheit ist noch keine Erkenntnis, sondern Quelle der Anschauungen, die für die Erkenntnis das unerlässliche Material bringen. Kühle und Ergriffenheit gehören zusammen und sind nicht gegeneinander auszuspielen. Kühle Beobachtung allein sieht nichts Wesentliches. Nur beides in Wechselwirkung kann zu Erkenntnis führen. Der Psychopathologe [»der / die Heilpädagoge/in bzw. der / die Sozialtherapeut/in«, d. V.], welcher wirklich sieht, ist eine vibrierende Seele, die ständig das Erfahrene bewältigt, in dem sie es in rationale Fassung bringt.«39
Diesen Zusammenklang – den jeweiligen Blick von außen und von innen – möchte ich bei den unterschiedlichen Phänomenen und Krankheitsbildern versuchen, im Wissen, dass dies immer nur eine Annäherung sein kann.
Erweiterung des Blickwinkels
Ergänzen möchte ich dies mit »Reflexionen«. Damit meine ich ein Einordnen der jeweiligen Bilder in einen medizinischen, neurobiologischen und auch gesellschaftlichen Kontext. Dies auch im Sinne einer »Erweiterung« des Blickwinkels in einen anthroposophisch-menschenkundlichen Zugang.
All das möchte dann hinführen zur Therapie, also zu spezifischen heilpädagogisch-sozialtherapeutischen Maßnahmen, angemessenen Strukturen, erweiterten Therapien oder auch medikamentösen Maßnahmen.
Das Wort »Therapie« meint von der Bedeutung des griechischen Wortes her: »dienen«. Das verlangt von den angesprochenen Maßnahmen, dass sie dem Betroffenen konkrete Unterstützung sein können. Es liegt im Wesen von psychiatrischen Erkrankungen, dass die hilfreiche Unterstützung Betroffener oft auch Hilfe für Begleiter bedeutet.
Beispiele von Entwicklungen und Verläufen sollen helfen, das Geschilderte zu konkretisieren und zu illustrieren.
bildhafte Darstellung für Betroffene
Als ich zum wiederholten Male in einer Einrichtung zur Mitarbeiterfortbildung war, stellte sich unvermittelt ein Bewohner vor mich hin und sagte: »Sie haben mit den Mitarbeitern über Autismus-Spektrum-Störungen gesprochen. Warum nicht mit uns? Wir sind doch die Betroffenen!« Dies leuchtete mir unmittelbar ein, und ich erweiterte dahingehend mein Fortbildungsangebot. So schließt sich hier in ausgewählten Kapiteln der Versuch an, die Inhalte in bildhafter Weise auch den eigentlich Betroffenen zu vermitteln. Es liegt im Wesen der Sache, dass dies immer nur beispielhaft sein kann. Die jeweilige Vermittlung des Geschehens, das Übersetzen in die individuellen kognitiven und emotionalen Auffassungsmöglichkeiten der Betroffenen kann nur immer wieder neu formuliert werden.
Herausforderndes Verhalten bringt auch die Mitarbeiter an Grenzen. An ihre eigenen Grenzen, an die Grenzen der Strukturen und der Teams. Dies gilt es zu achten, und dem widmet sich auch das Kapitel über die Selbstfürsorge.
unsere Haltung als Zugang zum anderen
Eingebettet sollen diese Schilderungen in das eigentlich Entscheidende sein, das wir den Betroffenen entgegenbringen möchten – unsere Haltung. Dahinter steht die Prämisse, dass unsere Haltung – unser inneres, authentisches Stehen vor dem anderen – einen eigenen und unmittelbar wirksamen Zugang zum anderen darstellen kann.
Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS)
der Begriff »Trauma«
Der Begriff »Trauma« kommt aus dem Griechischen und bedeutet »Wunde«. Er wird von jeher in der Medizin gebraucht, um eine erhebliche Verletzung, wie durch einen starken Schlag oder Stoß gegen einen Körperteil, zu bezeichnen. In der Psychologie und Psychiatrie beschreiben wir mit diesem Begriff eine starke seelische Erschütterung.
Der Begriff der Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) oder auch Traumafolgestörung bezeichnet eine umfassende und vielschichtige Symptomatik, die durch ein solches seelisches Trauma ausgelöst wird und in der Folge das Erleben und Verhalten von betroffenen Menschen in einer ausgeprägten Weise beeinflusst.
Immer deutlicher wird durch ein gewachsenes Bewusstsein hinsichtlich möglicher Traumatisierungen, wie viele Menschen davon betroffen sind. Im Nachhinein kann es tief erstaunen, wie lange die oft schweren Folgen einer Traumatisierung von der Medizin wie der Pädagogik nicht hinreichend erkannt und gewürdigt wurden.
»natürliche Traumaheilung«
In aller Kürze vorangestellt: Auch ein schweres und massiv herausforderndes Geschehen oder Ereignis muss nicht zu einer Traumafolgestörung (PTBS) führen. Solange ein Mensch in der Lage ist, sich genügend zu schützen und in Sicherheit zu bringen, oder solange er in der Lage ist, sich hinreichend zu wehren, muss das Erlebte oder Erlittene nicht in eine Folgeschädigung münden. Auch gibt es – der Möglichkeit nach wie bei jeder Krankheit – prinzipiell auch einen »natürlichen Traumaverlauf« und eine »natürliche Traumaheilung«.
Die Ärztin und bedeutende Traumaforscherin Luise Reddemann formulierte es einmal so: »Nicht alles Belastende ist ein Trauma. Unter einer traumatischen Erfahrung versteht man, dass die Situation überwältigend ist und dazu führt, dass man sich extrem ohnmächtig und hilflos fühlt. Außerdem erlebt man Gefühle von Panik, Todesangst, Ekel.«40
»Konzept der vier F«
In einfachsten Worten ist die Voraussetzung für die Ausbildung einer Traumafolgestörung in dem »Konzept der vier F« zusammengefasst: Menschen wie Lebewesen kämpfen generell, wenn sie belastet, herausgefordert oder bedrängt werden. Oder sie fliehen, wenn sie spüren, dass ihre Kräfte nicht reichen: »Fight and Flight«. Ist beides nicht möglich, führt dies zu einer Erstarrung: »Freeze«. Da Menschen mit Behinderung entwicklungsbedingt bei Kampf und Flucht in ihren Möglichkeiten begrenzt sind, ist die Häufigkeit der Erstarrung, des »Freeze«, besonders hoch. Und eine zentrale Folge des Erstarrens ist die »Fragmentation«, Dissoziation, eine Aufsplitterung insbesondere der seelischen Fähigkeiten, wobei die Beeinträchtigung auch bis ins Körperliche und in zentrale Persönlichkeitsbereiche dringt.
Professionalisierung
Es ist zutiefst wichtig, in Heilpädagogik wie Sozialtherapie eine Professionalisierung sowohl im Erkennen der Symptomatik wie im Wissen um Therapiemöglichkeiten zu entwickeln. Dies umso mehr, da Menschen mit Intelligenzminderung in ihren kognitiven Bewältigungsmöglichkeiten oft überfordert sind, zusätzlich aber auch bei eingeschränkten Kommunikationsmöglichkeiten nur bedingt in der Lage sind, eigenes erlittenes Leid hinreichend auszudrücken. Vor allem aber, weil Traumatisierungen so häufig geschehen!
Blick von außen – Begegnungen mit einem traumatisierten Menschen
scheinbare Widersprüchlichkeit
Die Begegnung mit einem traumatisierten Menschen ist oft in einer starken Weise herausfordernd. Es gibt kein einheitliches Bild, die möglichen Erscheinungsformen können höchst unterschiedlich sein; und sie können sich im Verlauf in Form und Intensität erheblich verändern. Manches an diesem Erscheinungsbild kann auf den Begleiter auch bizarr oder verwirrend wirken. Die scheinbare Widersprüchlichkeit in den oft stark wechselnden Stimmungen und Verhaltensweisen verleitet Begleiter immer wieder zur Verkennung der bestehenden Not.
Blick für dissoziative Zustände
Wichtig ist es, einen Blick für sogenannte dissoziative Zustände zu entwickeln. In diesen Zuständen reagiert der andere oft nicht oder nur eingeschränkt. Er entgleitet dem Betreuer, kann dann wie unnahbar und unerreichbar wirken, eigentümlich »abgezogen«; im Erscheinungsbild kann das fatalerweise als »überheblich« oder »desinteressiert« verkannt werden. Vielleicht wird der andere in diesem Moment eingeholt von Erlittenem, ist wieder in diesem Geschehen festgehalten, also in einem sogenannten Flashback (siehe Seite 91) befangen. Ein Mensch in diesem Zustand wird dann extrem dissoziiert wirken, zusätzlich wie erstarrt, oft mit ausgeprägt kalten Extremitäten, in den Augen tiefe Angst.
Oder er ist Intrusionen ausgesetzt, intensiven Sinneseindrücken, die ihn jäh überwältigen, ebenfalls von der jeweiligen Umgebung abziehen und »entrückt« erscheinen lassen (siehe auch Seite 92).
plötzliche Verhaltensänderungen
Auch können wir plötzliche und unmittelbare Veränderungen im Gebaren und Verhalten des anderen erleben, wie aus dem Nichts aufschießende aggressive Zustände oder ein nicht einfühlbarer Rückzug, eine abrupt entstehende Abwehr – ein befremdliches Verhalten. Wir können Vermeidungsverhalten beobachten, eine große Übervorsichtigkeit.
Vielleicht können wir mit der Zeit Bedingungen erkennen, die solchen Veränderungen vorausgehen, zum Beispiel die Anwesenheit einer bestimmten Person, der Übergang zur Nacht oder Ähnliches. Doch oft bleibt es uns – zunächst – ein Rätsel, was die jeweilige Situation auslöst.
Die Stimmung mag sich verändern und umschlagen von Aggression in eine tiefe Verstimmtheit, Dysphorie, oder auch in eine (scheinbare) Gefühlsabflachung. Eine Schreckhaftigkeit, oft eine Hoffnungslosigkeit mag uns begegnen und immer und unentwegt die Neigung zu einer großen Angst.
Abgrenzung von anderen Erkrankungen
Die unterschiedlichen Bilder können eine erhebliche Dimension annehmen und sehr an eine Psychose erinnern, sie können dem Bild einer Depression ähneln oder auch schwer abgrenzbar sein von der Symptomatik einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung (Borderline-Persönlichkeits-Störung).
Weiterhin können Formen der Verweigerung auftreten, auch ungewöhnliche Kontaktgestaltungen wie ein Anklammern oder umgekehrt ein heftiges abweisendes Verhalten. Regressive Phänomene, die an ein ausgeprägt kindliches Verhalten erinnern, treten auf.
Es können sich anhaltende Ess- und Schlafstörungen zeigen, aber auch körperliche, somatische Phänomene wie nicht einfühlbare und nicht abklärbare Kopfschmerzen, Erbrechen oder Durchfall. Zittern, Schwitzen und Herzrasen treten auf; wir können eine erhöhte Krankheitsanfälligkeit wahrnehmen, eine taktile Über- und Unterempfindlichkeit, ein oft intensives oder auch abgeschwächtes Schmerzempfinden. Oder der andere zeigt uns Nacken- und Körperschmerzen unklarer Genese.
Im Sozialen ergeben sich Bindungsstörungen wie der Abbruch von scheinbar sicher gewähnten Beziehungen, Probleme mit der Affektregulation oder Angst vor fremden Personen, oft auch ein Bedürfnis nach intensiver Rückversicherung, verbunden mit Trennungsängsten oder wiederum auch Kontaktvermeidung.
vielschichtiges Bild
Immer ist es ein sehr vielschichtiges Bild, wobei nur einzelne der geschilderten Symptome auftreten können oder auch mehrere Symptome sich gelegentlich abwechseln und auch in Stärke und Intensität in unterschiedlicher Weise auftreten.
Wir erleben den anderen in seinem Verhalten und Gebaren, in seinen Handlungen und Äußerungen. Gleichzeitig aber erleben wir ihn auch innerlich, wir fühlen mit ihm, oder anders ausgedrückt: Der andere spiegelt sich in unserer Seele. Hier liegt der wesentliche Schlüssel zum Erkennen des Zustandes des anderen – als Grundlage und unabdingbare Voraussetzung unseres adäquaten Verhaltens. Unser wichtigstes diagnostisches wie therapeutisches »Werkzeug« in der Begleitung von Menschen, insbesondere in der Begleitung von Menschen mit herausforderndem Verhalten, ist also unsere eigene Seele. Die aufmerksame Selbstbeobachtung kann eine ganz wesentliche Erweiterung unserer Wahrnehmung und damit ein wichtiges Korrektiv darstellen. Hier können wir die tiefe Not nachempfinden, in der ein traumatisierter Mensch steht.
Ursachen einer Traumatisierung
Typ-1- und Typ-2-Trauma
Es gibt sehr vielfältige Ursachen einer Traumatisierung. Traumatisierungen können auf ein einmaliges Erlebnis zurückgehen. Wir sprechen dann von einem »Typ-1-Trauma«. Die Entwicklung eines Menschen kann aber auch durch wiederholte Traumatisierungen über lange Jahre geprägt sein. Dies umfasst innerfamiliäre Traumatisierungen (zum Beispiel wiederholten sexuellen Missbrauch oder anhaltende Gewalterfahrungen), aber auch Formen der schweren Verwahrlosung oder Ähnliches. Wir sprechen dann von einem »Typ-2-Trauma«.
Gerade die lang anhaltenden Traumatisierungen in einem Umfeld, das eigentlich Schutz und Sicherheit gewähren sollte (vor allem die Familie, aber auch Institutionen wie Schule oder Heim), wirken sich besonders schwer aus, da hier zusätzlich zur seelischen und gegebenenfalls körperlichen Verletzung der Verlust an Vertrauen entscheidend hinzutritt.
Mitbedingt wird das Ausmaß einer Traumafolgestörung durch die Vorerfahrungen eines Menschen. Es ist ein erheblicher Unterschied, ob ein Mensch schon früh in seiner Entwicklung beeinträchtigt wurde oder ob er eine sogenannte Resilienz entwickeln durfte.
Resilienz
»Resilienz« bedeutet eine seelische Widerstandsfähigkeit, die es einem Menschen ermöglicht, Krisen und Herausforderungen zu bewältigen und – mehr noch – sie durch Rückgriff auf persönliche wie sozial vermittelte Ressourcen als Anlass für Entwicklungen zu nutzen. Resilienz ist eine Fähigkeit, die ein Mensch durch achtsame, fördernde und ermutigende Erziehungsbedingungen in der Kindheit erwirbt oder die er in der weiteren Entwicklung mit Unterstützung in sich entwickelt.
Die Förderung von Resilisienz können wir als eine herausragende Aufgabe in Heilpädagogik und Sozialtherapie verstehen.
Ohnmacht und Hilflosigkeit
Vereinfachend können wir sagen, dass Ohnmacht und Hilflosigkeit wesentlich dazu beitragen, dass ein Geschehen zu einem traumatischen oder traumatisierenden Geschehen wird. Gemeint sind also Erfahrungen, die die Verarbeitungsfähigkeit des Einzelnen überfordern.
Die jeweilige Grenze der Überforderung des Einzelnen, der jeweilige Beginn der Hilflosigkeit kann nicht generell beschrieben oder definiert werden, ebenso wie wir nicht wissen, über welche resilienten Möglichkeiten der andere verfügt. Was uns bleibt, ist die aufmerksame, wache und anteilnehmende Zuwendung zum anderen.
Das Erleiden von Gewalt
Formen körperlicher Gewalt
Ein zentraler Bereich von Traumatisierungen ist das Erleiden von körperlicher Gewalt. Gerade Kinder, auch Menschen mit Intelligenzminderung, erleben sich einer solchen Gewalt gegenüber hilflos und ausgeliefert. Diese kann körperliche Gewalt wie vor allem Schläge umfassen, aber auch Einschließen, Essensentzug, massive körperliche Bedrohungen oder andere Formen von zwingendem Ausgeliefertsein und entsprechender Ohnmacht.
Hinzu kommt das Erleiden von Gewalt und Aggressivität auch außerhalb der Familie. Dazu gehört auch, Folter oder kriegerischen Handlungen schutzlos ausgeliefert zu sein.
Weiterhin müssen in diesem Zusammenhang die Opfer von Raub, Geiselnahme, Entführung, Nötigung und Ähnlichem erwähnt werden. Das Erleiden von Mobbing kann ebenfalls diese Dimension erreichen.
Selbstverständlich ist auch all die Gewalt relevant, die Menschen im Zusammenhang mit Genozid und Holocaust erleiden mussten und müssen.
sexuelle Gewalt
Eine sehr häufig auftretende besondere Form von Gewalt ist die des sexuellen Ausgeliefertseins, der sexuellen Gewalt oder des sexuellen Missbrauchs. Dies müssen Menschen in jedem Lebensalter erleiden. Bedingt durch ihre Schutzlosigkeit und Schutzbedürftigkeit sind Kinder hier – wie bei fast jeder Form einer Traumatisierung – vorrangig betroffen. Aber auch Menschen mit schweren körperlichen Behinderungen können dem ausgeliefert sein.
Letztlich ist hier jede Form einer sexuellen Nötigung gemeint, beginnend bei dem ungewollten oder unsensibel vermittelten Wahrnehmen von Nacktheit, dem ungewollten Miterleben sexueller Handlungen anderer über erlittene ungewollte Berührungen, auch wenn diese nicht primär Intimzonen betreffen, bis hin zu erzwungenen sexuellen Handlungen und schweren Formen des sexuellen Übergriffs, vor allem Formen der Vergewaltigung.
Nicht ausschließlich, aber ganz überwiegend sind Mädchen und Frauen Opfer einer solchen Traumatisierung. Allerdings werden zunehmend auch Fälle sexueller Gewalt gegenüber männlichen Kindern und Jugendlichen bekannt, oft von Vertrauenspersonen wie beispielsweise Geistlichen, Lehrern, Erziehern oder Sporttrainern ausgeübt.
Primärfamilie oder unbekannter Täter
In Bezug auf das Erleiden von Gewalt, auch von sexueller Gewalt, ist es generell von großer Bedeutung, ob diese innerhalb der Primärfamilie oder durch dem Opfer unbekannte Menschen erlitten wurde. Die Familie ist der Ort, an dem ein heranwachsender Mensch die primären Beziehungserfahrungen macht. Hier wird der Grund für die Erfahrung von Sicherheit und Geborgenheit gelegt. Die Förderung von »Resilienz« hängt stark mit den hier gemachten Primärerfahrungen zusammen.
Bedeutung von Vertrauen, Geborgenheit und Sicherheit
Erlebt ein Mensch in diesem Zusammenhang das beschriebene ohnmächtige und hilflose Ausgeliefertsein, dann erleidet er nicht »nur« die Traumatisierung durch die entsprechende Tat oder Handlung, einem solchen Menschen wird gleichermaßen der Boden für die Entwicklung von Vertrauen, Geborgenheit und Sicherheit entzogen. Das hat zur Folge, dass diese Formen von Traumatisierung sich oft sehr tief und schwer auswirken und therapeutische Möglichkeiten begrenzter sind bzw. dass oft ein deutlich längerer therapeutischer Weg gegangen werden muss. Vielleicht ein Leben lang.