Kitabı oku: «Kunst des Lebens, Kunst des Sterbens», sayfa 4

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Die unkörperliche Klarheit des Geistes

Es ist ein gut bekanntes Faktum, dass Menschen mit einem religiösen oder spirituellen Hintergrund und Ausblick ein leichteres Sterben haben als solche ohne eine derart tröstliche Perspektive. Vor dem Tod tritt aber für die meisten Menschen auch eine Art von terminaler Luzidität ein, und das erstaunlicherweise sogar bei Alzheimer im letzten Stadium, also mit einem stark aufgelösten Gehirn. Die Betroffenen können dann ihre Angehörigen wieder erkennen und klar mit ihnen sprechen. Auch übersinnliches Vorauswissen und Telepathie sind hier möglich.

Es ist offensichtlich die ursprüngliche, unkörperliche Klarheit des Geistes, jenes klare Licht der Weisheit, von dem die Reanimierten erzählen, das auch hier an der Schwelle schon herüberleuchtet, wobei es natürlich auch am Einzelnen liegt, wie er darauf reagiert. Man kann sich dem öffnen oder bis zuletzt versuchen, jede Einsicht zu verdrängen.

Mit diesem Licht kommt auch eine spontane Einsicht, dass es keinen Tod gibt. So ergeht es auch Menschen, die sich selbst töten, im Augenblick des irreversiblen Sterbens, und sie erkennen schmerzlich die Absurdität und Falschheit ihrer Handlung. Für Menschen, die, von der Annahme ausgehend, dass mit dem Tod alles aus ist oder dass dieser Eingriff sie dann nicht mehr negativ affizieren kann, einer Organentnahme zugestimmt haben, mag dies ähnlich sein. Vitale Organe können nur dann verpflanzt werden, wenn der schwerverletzte »Spender« noch lebend auf dem Operationstisch liegt. Der tibetische Buddhismus rät, den Körper eines Verstorbenen für drei Tage nicht einmal zu berühren. Er sollte in der beim Sterben eingenommenen Position belassen werden, um den Todesprozess nicht zu stören und um eine möglich tiefe geistige Ruhe im Sterben und damit seine Erlösung oder eine positive Wiedergeburt nicht zu vereiteln.

Jemand, der eine materialistische Sichtweise verinnerlicht hat, seinen Lebenssinn ganz in dieser Welt sieht und sich völlig mit dem Körper identifiziert, stirbt im Glauben, dass der Tod das Ende von allem sei. Aber dem ist natürlich nicht so. Diese Seelen sind nach dem Exitus selbstverständlich überzeugt davon, noch zu leben. Sie verstehen lange nicht, dass sie gestorben sind, und bleiben deshalb länger erdgebunden und versuchen, sich bemerkbar zu machen. Es gibt immer mehr Fälle dieser Art – besonders wenn die Menschen durch einen Unfall, also plötzlich, aus dem Leben gerissen wurden.

Die spirituelle Praxis des Chöd Praktizierende haben sich darin geübt, ihren Körper zu verlassen, von oben herab der Zerstückelung ihres Körpers durch imaginierte Opferungsgöttinnen zuzuschauen und wie diese ihr Fleisch und Blut dann allen Wesen zu opfern. Sie mögen deshalb zu einem solchen Opfer ihrer Organe, von großem Mitgefühl motiviert, fähig sein.

Für andere aber kann die Szene der chirurgischen Organentnahme aus ihrem noch lebendigen und fühlenden Körper, der sie im Operationssaal beiwohnen, zu starken Gefühlen der Irritation, der Abwehr und des Ärgers führen. Negative Gefühle jedoch können leider im ­entscheidenden Augenblick des Todes und des Übergangs eine schlechte Wiedergeburt bewirken, so lehrt es das Totenbuch.

Die wenigsten Menschen wissen, dass Organspender mit den stärksten Schmerzmitteln betäubt und auf dem OP-Tisch festgebunden werden müssen, weil sich ihr Körper immer wieder aufbäumt und gegen den Eingriff wehrt. Der Patient, dessen Hirntod festgestellt wurde, ist nicht tot, sondern stirbt erst durch die Organentnahme. Organe werden sehr teuer gehandelt, die Transplantationschirurgie ist äußerst lukrativ, und die Medikamente, die die immunologische Abstoßung der Spenderorgane unterdrücken sollen, kosten jährlich pro Patient ein Vermögen.

Es gab auch immer wieder Patienten, bei denen »der Hirntod« festgestellt, aber keine Organe entnommen wurden, die nach adäquater Behandlung des verletzten Gehirns und Wochen oder Monaten der richtigen Pflege wieder aufwachten und völlig gesund wurden.

Der Tod wird dem materialistischen Glaubenssystem entsprechend entweder positiv als Erlösung von allem Leid oder negativ als endgültige Auslöschung der eigenen Existenz gesehen, und beides ist falsch. Der Geist stirbt nicht, sondern nur der menschliche Körper, eine seiner vielen möglichen Formen. Er wird mit seinen Gedanken, Emotionen und Wünschen wieder Form annehmen, und deshalb wird sein Zustand beim Sterben als bestimmend für seine künftige Existenz gesehen.


Wird Sterben als Katastrophe und der Tod als Feind des Lebens gesehen, der einem alles entreißt, was einem lieb und wert ist, so muss er unbedingt und um jeden Preis verhindert und hinausgeschoben werden. Das gebräuchliche Vokabular im Umgang mit Krankheit und Tod ist deshalb martialisch. Man muss gegen sie kämpfen und sie endgültig besiegen. Krankheit ist ein Fehler im System, den man beheben muss, der aber keinen Sinn hat, der einen etwas lehren könnte. Die Medizin suggeriert zunehmend, dass man schließlich alle Krankheiten heilen können wird, wenn nur die Freiheit der Forschung nicht mehr durch »ethische Grenzen« behindert wäre. Aber solange die Ursachen von Leid nicht durch innere Arbeit im Geist gereinigt sind, werden lediglich neue Krankheiten anstelle der alten erscheinen.

Wir alle sind natürlich dankbar für eine gut funktionierende moderne Medizin, und wo sie noch dem ärztlichen Eid des Hippokrates folgt, wird sie auch die zu beachtenden heilsamen Grenzen, wie zum Beispiel das Tötungsverbot, achten. Es ist aber zu beobachten, dass in Folge der die akademische Ausbildung und die Wissenschaft seit Längerem dominierenden positivistischen und materialistischen Sichtweise die Neigung besteht, sich über ethische Bedenken hinwegzusetzen und alles zu machen, was man inzwischen machen kann. Hier sind bereits gravierende Fehlentwicklungen eingeleitet worden, und wir sollten deren Natur und die dahinterstehende Mentalität verstehen und ihnen rechtzeitig Einhalt gebieten, wo wir betroffen sind oder Gelegenheit dazu haben.

Es ist erfreulich, dass nun auch vermehrt andere Stimmen in der Ärzteschaft laut werden, die die derzeit gängigen Sicht- und Verfahrensweisen im Medizinbetrieb offen infrage stellen und, etwa wie Dr. Giovanni Maio, die Grenzen der Machbarkeit und des Wachstums aufzeigend, für eine humane Medizin im Sinne des Hippokrates eintreten.

Jeder von uns kann, in seinem persönlichen Umfeld beginnend, helfen, klare ethische Richtlinien zu vertreten und zu bezeugen. Auch in unserer privaten Kommunikation im Internet, in Vorträgen auf Kongressen und in Publikationen können wir unsere Meinung äußern. Was die Ärzte »guten Willens« betrifft, so hoffe ich, dass sie sich miteinander verbinden, um einem deutlichen Trend zur Dehumanisierung entgegenzuwirken, auch wenn dies in den auf finanziellen Profit hin orientierten Kliniken und Anstalten immer schwieriger wird.

Vonseiten der Psychologie können die vitale Wichtigkeit einer ganzheitlichen, das heißt Leiden und Sterben nicht verdrängenden Einstellung und die Möglichkeiten und Vorteile von Entspannungstechniken und Mitgefühlsübungen als Maßnahmen der Psychohygiene für das ­überlastete ­Klinikpersonal und als Unterstützung für die Patienten aufgezeigt und von den positiven Erfahrungen her, die bereits damit gemacht wurden, begründet werden. Es wäre wünschenswert, dass diese psychisch entlastenden und eine von Empathie getragene Motivation stärkenden Methoden häufiger in Kursen für das Pflegepersonal eingeführt und vermehrt in einer Gruppenarbeit mit Patienten angewendet würden, um dehumanisierenden Tendenzen entgegenzuwirken, die durch Überlastung gefördert werden.

Mitgefühlsübungen und Meditation sind eine Quelle der Kraft, weil sie uns öffnen und uns unsere erdachten persönlichen Grenzen vergessen lassen. Einschränkende persönliche Glaubenssätze und Auffassungen, die die Empathiefähigkeit verringern, können durch die bewusste Ausrichtung der Aufmerksamkeit auf heilsame, holistische Sätze wie »Mögen alle Wesen gesegnet sein, denen ich heute begegne« oder »Mögen alle Wesen glücklich sein« ersetzt und erfolgreich transzendiert werden. All das sind Ansätze, die weiter ausgebaut werden können.

Viel Erfreuliches ist ja bereits auf diesem Gebiet geschehen, die Hospiz­bewegung verbreitet sich, und vielerorts werden jetzt Kurse für Sterbebegleitung angeboten. Ich wünsche mir, dass auch die Übungen in diesem Buch dabei eine immer breitere Verwendung finden werden und noch vielen Menschen helfen können.

Wenn man mehr mit gemeinsamen Entspannungs- und Ruheübungen wie dem »alles befreienden Atem des A« und mit Mitgefühlsmeditationen, wie zum Beispiel dem »unzerstörbaren Atem von Segen und Mitgefühl«, arbeitete, die im dritten Teil dieses Buchs beschrieben sind, so könnte man sich viele andere medizinische Maßnahmen sparen. Kombiniert mit einer guten palliativen Versorgung, wäre eine größere Lebensqualität und Sinnhaftigkeit in der letzten Lebensphase und eine hilfreiche Vorbereitung auf das Sterben möglich, sodass wohl die wenigsten auf die Idee kämen, sich umbringen zu lassen oder ihren Tod vorzeitig selbst herbeizuführen.


Wo die Wissenschaft und Medizin subliminal und offen die bevorstehende Befreiung von allem Leid verspricht, aber gleichzeitig von unternehmerischen, finanziellen Interessen und von Gewinnmaximierung motiviert erfindet und handelt, ist große Vorsicht und auch ein Hinterfragen der angebotenen und häufig als »alternativlos« ausgegebenen Leistungen und »Machbarkeiten« geboten, denn bereits die von gewinn­orientierten, finanziellen Interessen verunreinigte Motivation weicht ja vom Hippokratischen Eid ab und führt in eine andere Richtung. Rein marktwirtschaftlich gesehen, gilt es, möglichst gewinnbringende Leistungen zu generieren und solche, die weniger lohnen, zu reduzieren. Betrachten wir es genau, so steht hinter ethisch bedenklichen Eingriffen der Medizin heute oft in Wahrheit diese Logik.

Es zeigt sich folglich eine mangelnde Bereitschaft, die eigentlichen Ursachen des Leids zu erkennen, zu benennen und zu beseitigen, und bedingt durch ein mechanistisches, körperfixiertes Menschenbild und die axiomatische Negation eines Weiterlebens nach dem Tod zugleich ein falsches Verständnis davon, was wirkliche Gesundheit von Körper und Psyche und ein gutes, kostbares Menschenleben eigentlich bedeuten.

Ich denke, es wäre gut und eine wertvolle Entscheidungshilfe, wenn sich unsere heutigen Ärzte in ihrem eigenen Interesse und in dem ihrer Patienten weiterhin oder wieder nach dem klassischen Eid des Hippokrates orientierten. In diesem heißt es nämlich: »Ich schwöre Apollon den Arzt und Asklepios und Hygieia und Panakeia und alle Götter und Göttinnen zum Zeugen anrufend, dass ich nach bestem Vermögen und Urteil diesen Eid und diese Verpflichtung erfüllen werde: Meine Verordnungen werde ich treffen zum Nutzen und Frommen der Kranken nach bestem Vermögen und Urteil. Ich werde sie bewahren vor Schaden und willkürlichem Unrecht. Ich werde niemandem, auch nicht auf seine Bitte hin, ein tödliches Gift verabreichen oder auch nur dazu raten. Auch werde ich nie einer Frau ein Abtreibungsmittel geben. Heilig und rein werde ich mein Leben und meine Kunst bewahren …«

Da, wo es früher wohl oder übel hieß: »Dein Wille geschehe«, wird heute dem Menschen nahegelegt, selbst zu entscheiden, was annehmbar ist und was nicht; und er oder sie »lässt es machen«, wenn es angeboten wird, erlaubt und möglich und finanzierbar ist.

Der Mensch glaubt, er entscheidet dabei frei, aber in Wahrheit haben ihm zumeist Werbekampagnen und Fernsehsendungen die Ideen sehr gezielt, offen und subliminal in den Kopf gesetzt und seinen Willen gelenkt. Der Wandel von ethischen Paradigmen, dessen Zeuge wir sind, geschieht nicht von ungefähr, sondern war und ist medial beeinflusst. Bei einer Vielzahl widerstreitender Meinungen und Argumente scheint es so manchem nicht mehr leicht, sich über die oben genannten, medial zumeist gepriesenen wissenschaftlichen Errungenschaften, Eingriffe und Manipulationen der Natur und ihren Sinn und Zweck ein sicheres Urteil zu bilden. Doch wenn Technologien wie zum Beispiel die Nanotechnologie und Gentechnik in den falschen Händen sind, so hat die Menschheit bereits früher leidvoll erfahren müssen, dienen sie meist leider nicht dem Wohl und der Befreiung der Menschen, sondern werden für ihre Unterdrückung, Steuerung, Manipulation und für eugenische Auswahl und Reduktion der Bevölkerung verwendet.

Was die gravierendsten Auswüchse dieser technischen »Fortschritte« – was das Töten von als »unerwünscht« oder »unwert« betrachteten Lebens betrifft, so brauchen wir uns eine richtige ethische Einschätzung dieser Handlungen sicher nicht zusammenzudenken, denn eine höhere Weisheit und Einsicht als der verwirrte menschliche Verstand hat gesprochen, als sie eine der Hauptregeln für ein nachhaltiges, heilsames Verhalten, und das in unserem eigenen Interesse, lehrte: »Du sollst nicht töten.« Und in der fünften Grundregel für ein ethisches Verhalten im Buddhismus heißt es dementsprechend: »Ich gelobe, kein Lebewesen zu verletzen oder zu töten.« Dilgo Khyentze Rinpoche erklärte hierzu, dass dies nicht nur bedeute, selbst vom Töten abzusehen, sondern auch die Verpflichtung impliziere, das Leben zu schützen und zu retten, wenn es uns möglich ist.

Es gibt also eine ganz klare ethische Richtlinie und Grenze, und wir sollten uns immer wieder darauf besinnen und berufen. Es ist wichtig, sie zu würdigen und in unserem Umfeld und in der Gesellschaft auch zu bezeugen.


Generell ist die Identifizierung mit und die Fixierung auf den Körper einfach zu groß geworden in diesem Zeitalter, aber nicht im Körper liegt unser Leben und unser künftiges Schicksal, und dieses ist nicht zufällig, sondern es wird durch unser Denken, Fühlen, Wollen und Handeln in diesem Leben und genau jetzt vorbereitet und wirkt sich in allen unseren weiteren Leben aus.

Dazu fällt mir an dieser Stelle ein weiteres Jesus-Wort ein, das auch für die anderen fragwürdigen Manifestationen des Zeitgeistes zutrifft, über die wir hier nur deshalb sprechen, weil sie inzwischen jeden Menschen affizieren und zu seinen psychischen und physischen Leiden beitragen: »Was nützt es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewänne, dabei aber seine Seele Schaden leidet?«


Leider wird der kontextuelle Zusammenhang von Ursache und Wirkung in Bezug auf das eigene Handeln und die Vorteile eines altruistischen, ethischen Handelns selbst unverständlich und inkohärent, wo der Mensch in der Überzeugung lebt, dass mit dem Tod alles aus ist und es folglich keine Nachwirkungen seiner Handlungen für ihn selbst geben kann. Dass aber unter den Folgen des unvernünftigen Wirtschaftens und Verhaltens der heutigen Elterngeneration deren Kinder und noch viele Generationen nach diesen und alle anderen Lebewesen auf diesem Planeten leiden werden, wenn sie nicht ohnehin schon ausgerottet sind, ist nun eigentlich unübersehbar geworden.

Die meisten Menschen verdrängen das Unangenehme einfach, und so wollen sie die Brisanz dieser nachhaltig die Lebensqualität einschränkenden umweltlichen und gesellschaftlichen Veränderungen nicht wahrhaben und schauen lieber gebannt auf ihre Bildschirme, wo eine virtuelle Pseudorealität ihre Aufmerksamkeit auf sich lenkt, sie bindet und durch oberflächlich angenehme und faszinierende Unterhaltung von der unmittelbaren Wahrnehmung der eigenen, tatsächlichen Umwelt und Lebensumstände ablenkt.

Medial wird langsam ein postfaktisches, ein hochgradig fiktionales Sehen und Verhalten – also ohne »Realitätsbezug« in bisher noch gültiger psychologischer Diktion – eingeführt und kultiviert, in denen Lüge mit Wahrheit und Wahrheit mit Lüge gleichgesetzt und als gleich geachtet wird. Damit wird es immer schwerer für den heutigen Menschen, Heilsames von Unheilsamem zu unterscheiden.

Die Vergeblichkeit allen weltlichen Strebens

In der letzten Phase des Lebens wird die Vanitas oder Vergeblichkeit allen weltlichen Strebens für jeden Menschen offenbar, und das persönliche Weltende kommt in Sicht. Doch Leiden und Tod, die beiden großen Lehrmeister sind dem, der ihre Botschaft nicht hören will lediglich sinnlos, absurd und unerwünscht.

Man will ihre Lektion nicht mehr lernen, stellen sie doch das vertraute Leben und das Streben nach weltlichen Zielen infrage. Es nimmt also nicht wunder, dass viele von dieser Leistungsgesellschaft geprägten Menschen, die sich mit deren Werten identifiziert und keine andere Perspektive kennengelernt haben, nun sogar die letzte Phase ihres Lebens, in der die wohlvertraute Identifikation mit dem Körper und mit den angestrebten Zielen fragwürdig und brüchig wird und in der man Vergänglichkeit, den Verfall der Kräfte und den immanenten Tod nicht mehr verdrängen kann, als ihrer unwürdig und mit ihrem Stolz nicht vereinbar finden. Viele fordern nun ein Recht darauf, sich selbst vergiften zu dürfen. Warum gerade heute, so könnte man fragen, wo die Medizin so weit fortgeschritten ist, dass sie viele Leben künstlich verlängern kann, die eigentlich bald enden würden? Die Realität ist, dass sie in der »Konsumgesellschaft« zumeist niemand mehr haben, der sie wertschätzt und der sagt, dass er sie noch braucht.

Eine Gesellschaft, in der niemand mehr Zeit hat, deren falsches »Ideal« in höchster körperlicher und geistiger Fitness und im Ertrag und der Wirtschaftsleistung jedes Einzelnen besteht, isoliert und verdrängt die Alten. Wird in besagter Gesellschaft der assistierte Suizid gesetzlich erlaubt, so wächst in der letzten Lebensphase, in der wir der Hilfe anderer bedürfen, auch der soziale Druck, sich das Leben zu nehmen.

Alte Menschen halten es für eine selbstbestimmte Handlung, sich selbst zu töten, und sagen oft, sie wollen den anderen nicht zur Last fallen. Doch leider werden auch ihre Helfer in eine negativ belastete Tat involviert, wenn sie den Menschen auf seinen Wunsch hin töten. Es ist nicht angebracht, dies einen »guten Tod« oder einen »Freitod« zu nennen; denn diese Handlung ist ein Ausdruck von Verdrängung, Not oder Verzweiflung, und sie geht von der falschen Annahme aus, dass mit dem Tod des Körpers auch alles Leiden endet.

Wenn es im Christentum und im Buddhismus Gebote gibt, die den Selbstmord untersagen, dann nicht aus mangelndem Mitgefühl für den leidenden Menschen, der keinen anderen Ausweg mehr sieht, sondern aus dem sicheren Wissen heraus, dass dieser seinem Leiden durch das Töten des Körpers nicht entfliehen kann und stattdessen dadurch nur neue Ursachen des Leidens für sich schafft.

Es gibt aber immer auch eine andere Möglichkeit, einen anderen, einen guten Weg. Die Folge einer absichtlichen Tötungshandlung wie Mord, Abtreibung oder auch Selbstmord sind nach der buddhistischen und hinduistischen Karmalehre eine verkürzte Lebensspanne und gesundheitliche Probleme im nächsten Leben. Auch sinken die Chancen, wieder ein menschliches Leben zu erlangen, wenn man es jemandem oder sich selbst genommen hat. Einmal mehr: Actio est Reactio.

In christlicher Sicht sind die Folgen ebenfalls sehr negativ und von langer Dauer. Wer sein menschliches Leben selbst beendet, ist wie jemand, der einen großen Schatz wegwirft, denn als Mensch geboren zu werden ist, auch wenn es oberflächlich betrachtet kontraintuitiv klingt, in Wirklichkeit etwas extrem Seltenes. Und nur in einem menschlichen Leben kann man Erleuchtung und damit Befreiung vom Daseinskreislauf erlangen.

Wie selten eine menschliche Geburt ist, so lehren die buddhistischen Meister, könne man daran sehen, wie wenig Menschen es auf der Welt gebe im Vergleich zu den unzähligen anderen Lebewesen, wie zum Beispiel die Zahl der Tiere, der Insekten in einem einzigen Wald oder den Abermillionen von Kleinlebewesen in einer einzigen Meereswoge mit Plankton. Außerdem gibt es unzählige Wesen in anderen, für uns unsichtbaren Bereichen und Ebenen, aber keiner von diesen Bereichen ist der Erleuchtung so förderlich wie der menschliche.


Jeder Tag eines menschlichen Leben ist trotz aller Leiden, ja oft wegen der Leiden, von denen es auch in Kindheit, Jugend und Erwachsenenalter genügend gibt, kostbar, denn Leiden kann für einen Menschen immer auch Ansporn zu tieferem Erkennen sein. Wir können aus unseren Fehlern lernen und aus Schaden klug werden.

Viktor E. Frankl sagte, es gebe bis zum letzten Augenblick unseres Lebens die Möglichkeit, eine scheinbare Tragödie und auch unsere größte Not in eine sinnvolle Leistung zu verwandeln, und das sei sogar die größte Leistung, deren der Mensch fähig sei.

Es ist ein bekanntes Faktum menschlicher Erfahrung, dass besonders in Krisensituationen, in unserem Scheitern, in extremis, in tiefer Not, in Todesnähe – in Bedrängnis und Hilflosigkeit, wenn das Ego nicht mehr weiterkann und seinen Halt aufgibt – die Seele nach Hilfe ruft und dass sich überpersönliche Erkenntnis, Glück und Erleuchtung dann ­ungehindert und plötzlich offenbaren können. Die Wirklichkeit kann sich da zeigen und bewahrheiten, wo unsere Konstrukte und unser Eigenwille scheitern.

»Die Not des Menschen ist die Gelegenheit Gottes«, so heißt ein altes Sprichwort, und ein anderer, unerwarteter, in seiner Bedeutung nicht hoch genug zu schätzender Effekt der Gerätemedizin bestätigt dies und kon­trastiert das materialistische Denken und seine Glaubenssätze seit einiger Zeit auf unerwartet effektive Weise. Durch die Fortschritte in der Reanimationstechnik haben viele Menschen an der Schwelle des Todes und im Koma liegend Einblicke und tiefe Einsichten gewonnen, welche in den meisten Fällen ihren Blick auf das Leben verwandelten und zu einem achtsameren und liebevolleren Verhalten, gepaart mit einer großen Wertschätzung für das Geschenk des Lebens, führte, und das unabhängig davon, ob sie vorher religiös waren oder nicht. Diese Menschen haben den Körper zeitweise verlassen und damit eine zweifelsfreie Gewissheit gewonnen, dass der Tod des Körpers nicht das Ende des Lebens, sondern nur ein »Exitus«, das Hinaustreten in eine andere Dimension und Seinsform ist.

Das Zurückkommen eines Menschen aus dem »Jenseits« war in früheren Zeiten ein recht seltenes Ereignis, aber es gewann doch, wie wir zum Beispiel an der langen und bedeutenden Nachwirkung der von Platon in der Politeia erzählten »Geschichte des Kriegers Er« sehen können, eine große Bedeutung für die Gesellschaft und inspirierte das einfache Volk ebenso wie Dichter und Philosophen. In Tibet genossen solche Menschen große Verehrung, und ihre Erzählungen bilden eine eigene Literaturgattung.

Heute erleben täglich viele Menschen diese Zustände, und ihre Berichte bereichern eine wiedererstehende Ars Moriendi mit der Frische des unmittelbar selbst Erlebten. Sie sind Zeugnisse direkter, persönlicher Erfahrung, von jeder Ideologie freie Offenbarungen von dem, »was wirklich wichtig ist im Leben«, und ich lese sie deshalb immer gern.

Ihre große Übereinstimmung erweist das Erleben des »Exitus« als eine Urerfahrung des Menschen, die ihre Entsprechung im »Introitus« der Geburt hat. Und dass wir bei beiden durch einen Tunnel gehen, ist nicht die einzige Ähnlichkeit.

Mögen manche Mediziner ihrem Glaubenssystem entsprechend auch versuchen, diese außergewöhnlichen und übersinnlichen Erfahrungen auf körperchemische Prozesse zu reduzieren, dass solch tiefgreifende Metanoia in einer Nahtoderfahrung möglich ist und geschieht, dass eine kurze Begegnung mit dem, was in den Tibetischen Totenbüchern »das klare Licht der Wirklichkeit« genannt wird, ein unvergessliches, intuitives Erkennen des Sinns des Lebens ermöglichen kann, das so tief ist, dass der Mensch gleichsam wie aus einem Erleuchtungserlebnis als ein Verwandelter und ganz auf das Heilsame hin orientiert hervorgeht, ist eigentlich das Erstaunlichste und Überzeugendste daran.

Der Körper liegt in Narkose und schwer verletzt im Bett, doch der Erlebende erfährt außerhalb des Körpers einen Frieden, ein Wohlbefinden, eine höhere Luzidität und mitfühlende Weisheit, die ihm in seinem Körper und Gehirn im normalen Wachzustand nicht zugänglich waren. Er verfügt in seinem feinstofflichen Körper außerdem über übersinnliche Fähigkeiten wie Gedankenlesen und ein panoramisches Gewahrsein, das Situationen wie den Operationssaal oder den Unfallort sehr genau wahrnimmt und sich detailliert an sie erinnert.

Dies entspricht also der Aussage des Tibetischen Totenbuchs, dass der Verstorbene im Jenseits über eine neunmal stärkere Luzidität verfügt als im physischen Körper.

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