Kitabı oku: «"...vergessen Sie nicht die chinesischen Nachtigallen."», sayfa 3

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In zwei Wiener Blättern Fremdenblatt & Tagblatt standen auch schon zwei Notizen über meine hiesigen Erfolge. Hast Du sie vielleicht gelesen? Die Direction ist sehr zufrieden mit mir. Schon meine Beschäftigung spricht dafür. Auch seitens des Publikums und der hiesigen Presse, die z.B. schon zwei meiner Collegen bis jetzt unmöglich gemacht, erfreue ich mich der beifälligsten Aufnahme. Gott schenke mir auch weiterhin Glück.

Die Sendung der Leibchen Hosen Taschent. etc. habe ich erhalten u. danke Dir vielmals. Es sind sehr schöne u. praktische Sachen, die mir vortrefflich zu Statten kommen.

Für heute lebe wohl und grüße mir herzlichst Tante Lolli.

Dein dankbarer Neffe Max

Verzeihe mein Geschmiere, die Zeit drängt, ich muß schon ins Theater.

D.O.

Das Repertoire des Salzburger Stadttheaters war in dieser ersten Spielzeit im neuen Hause sehr vielfältig. Max Reinhardt spielte alle ersten Rollen, in klassischen Stücken und zeitgenössischen Dramen. Er spielte den Oberstleutnant Schwartze in Heimat, den Musikus Miller in Kabale und Liebe, den Geßler in Wilhelm Tell und viele Rollen von Rudolf Tyrolt, meistens alte Herren. Aber auch in Dialektstücken – G’wissenswurm, s’Nullerl – und in Operetten.

Seine Kameraden waren junge Menschen. Bald fand er unter ihnen Freunde: ein jugendlicher Komiker, Anfänger, heiter, optimistisch; der andere, etwas älter, Held und Liebhaber, ein Pessimist. Am Abend, nach der Vorstellung, gingen sie zusammen ins Wirtshaus. Die Tage waren mit Proben und Lernen von Rollen ausgefüllt. Oft wurde die Zeit zu kurz, dann musste Reinhardt die Nacht zu Hilfe nehmen. Er ging in dem langen Zimmer auf und ab. Vor seinem Fenster stand die Nacht und immer, wie ein Orgelpunkt, tief unten das Rauschen der Salzach. Es war eine wundervolle Zeit, und Reinhardt hat oft gesagt, dass er in seinem ganzen Leben nie wieder so glücklich gewesen sei. Alles war neu: das Theater, der Beruf, die Menschen, die Umgebung. Die Zeit verging im Flug.

Auf den farbigen Herbst folgte zu Weihnachten tiefer Schnee. Reinhardt fuhr mit seinen Freunden im Schlitten nach Freilassing, wo sie das berühmte schwarze Bier tranken. Sie sahen Krippenspiele in der Stadt, hörten die wundervollen Chöre in den Kirchen, vor allem die gregorianischen Gesänge und die Hörnermusik auf dem Nonnberg, die freudigen Mozartmessen in St. Peter, das Blasen von den Türmen. Reinhardt sah zum ersten Mal die schlanke Pracht der Franziskanerkirche. 25 Jahre später plante er dort ein Weihnachtsspiel. Er verfiel dem Zauber der dunklen Straßen, durch die am Weihnachtsabend die Schritte der Gläubigen hallten, die zur Mitternachtsmette eilten, aus dem Schatten barocker Voluten in die jubelnde Kerzenpracht der Kirchen. Reinhardt sah auch noch die alten Tore der Stadt, die kurze Zeit nachher abgerissen wurden. Eine reiche Vergangenheit schaute aus jedem Haus, aus den Höfen, den Gittern, mittelalterlichem Gemäuer und Brunnen. Dazwischen aber strömte eine lebendige Gegenwart. Bauern in ihren malerischen Trachten kamen auf die Märkte, die alteingesessenen Bürger führten ihr behagliches Leben, hatten immer Zeit für Kaffeehaus, Bräu und Geselligkeit. Noch in späten Jahren hat Reinhardt ein »Sprüchel« über den typischen alten Salzburger zitiert, das er wohl damals gehört haben mag: » … Schau i zum Fenster ’naus, schau ob i wem siach, geh a bissl spazier’n, schau ob i wem triff, geh ins Kaffeehaus, ob’s was Neu’s gibt, Trinkgeld im Wirtshaus, trink meine zwei Glas’ln, geh z’haus – und doch bin i net glücklich…«

Reinhardt verkehrte im Haus des Hofbuchhändlers Kerber. Man traf sich dort nach dem Essen zum Kaffee. In diesem alt-österreichischen Milieu fand er einen Kreis geistig reger Menschen, hörte Kammermusik und genoss eine warme Gastfreundschaft. Zwei Kaffeehäuser – Tomaselli und Bazar – hatten schon damals ihr Stammpublikum, das scharf voneinander geschieden war: Schauspieler, Literaten, Künstler, Buchhändler und der pockennarbige gefürchtete Kritiker Ritter von Freisauff trafen sich im Cafe Bazar, während Salzburger Bürger das Tomaselli bevorzugten. Reinhardt ging mit seinen Freunden Max Marx und Berthold Held ins Cafe Bazar, das nur wenige Schritte vom Theater entfernt war.

Die Spielzeit in Salzburg endete am Palmsonntag. Während des Winters hatten auch verschiedene prominente Schauspieler im Stadttheater gastiert, darunter Friedrich Mitterwurzer in Paul Lindaus Stück Der Andere. Mitterwurzer war ein Riese mit erschreckenden blauen Augen. Reinhardt, der ihn maßlos bewunderte, musste ihn hypnotisieren! Er hatte große Angst vor ihm, aber Mitterwurzer hatte dafür Verständnis und kam ihm besonders freundlich entgegen.

Reinhardts Erfolge waren damals so groß, dass seine Freunde ihm rieten, in Österreich zu bleiben und nicht nach Berlin zu gehen. Er selbst war so selig in Salzburg, dass er am liebsten dort geblieben wäre. Aber Brahm kam kurz vor dem Ende der Spielzeit aus Berlin nach Salzburg. Direktor Lechner setzte alle Starrollen Reinhardts an. Brahm wohnte mit dem jungen Dichter und Dramaturgen Georg Hirschfeld im Österreichischen Hof. Reinhardt suchte ihn auf, sprach mit ihm und sagte ihm ehrlich, dass er nicht von Salzburg fortgehen wolle. Davon wollte aber Brahm nichts hören. Er strich die einseitige Kündigungsklausel (von seiner Seite) in Reinhardts Vertrag, erhöhte seine Gage, und so blieb Reinhardt schließlich nichts anderes übrig, als sich in das Unvermeidliche zu fügen.

Reinhardt sollte sein Engagement in Berlin erst im August antreten. Er beschloss, vorher noch einmal nach Wien zu fahren. Es fiel ihm schwer, sich in diese Stadt wieder einzuleben. Er hatte in Salzburg Wurzeln geschlagen, dort hatte er die ersten entscheidenden Erfolge errungen, dort war ein Freundeskreis, dem er sich verbunden fühlte, und er war in das Salzkammergut verliebt. So schrieb er schon nach kurzer Zeit aus Wien an Berthold Held:

Wenn Du bei Salzburg etwas finden würdest, wo sich’s gut und billig leben ließe – (irgendein Bauernhaus etwa) so würde sich vielleicht noch etwas aushecken lassen, auf 14 Tage 3 Wochen behufs Exkursionen ins ganze Salzkammergut. Es würde mir hier sogar an Gesellschaftern nicht fehlen. Die Sache müsste nur billig arrangiert sein.

Reinhardt war in dieser Zeit fast täglich mit seinem alten Freund Dr. med. Sigmund Schick zusammen, der seinen Urlaub im Salzburgischen zubringen wollte: » … ein hochgebildeter Mensch mit selten schönen Charaktereigenschaften und einem enormen tiefen Wissen«. Die Salzburger Reise kam nicht zustande, Reinhardt war aber trotzdem »momentan ganz zufrieden«. Dr. Schick hatte ihn dazu angeregt, die Vorlesungen des Psychiaters Krafft-Ebing zu besuchen. Der praktische Teil – die Vorführung von Patienten – war für Reinhardt natürlich vor allem vom Standpunkt des Schauspielers aus interessant. Ihn fesselte aber auch das Theoretische; er las einschlägige Werke, und lange Gespräche mit seinem Freund Schick erschlossen ihm Gebiete, die ihm bis dahin vollkommen fremd gewesen waren. Sein intuitives Wissen um die Psychologie des Menschen, das ihm selbst in hohem Maße eignete, wurde zweifellos in dieser Zeit erweitert und bereichert. Dieses Sommer-Semester bei Krafft-Ebing bedeutete für ihn ein starkes Erlebnis. Vieles in seinen Inszenierungen späterer Jahre – Gespenster, Woyzeck, Strindbergstücke – wurzelt darin.

Die Abende gehörten dem Theater. In einer Zeit, die Reinhardt später als »die mooslose, die schreckliche Zeit« charakterisierte, war er auf Freikarten angewiesen. Aber sogar diese wurden ihm zu seinem Schmerz manchmal verweigert. Schließlich legte er seinem Ansuchen seinen Berliner Kontrakt bei, worauf es ihm gnädigst (von Müller-Guttenbrunn) gewährt wurde. Er sah Mitterwurzer, Schöne, Baumeister, Sonnenthal, die Niese in Anzengrubers Pfarrer von Kirchfeld und zuletzt eine Wohltätigkeits-Aufführung von Gutzkows Uriel Acosta im Rudolfsheimer Theater, in der Schildkraut den Ben Akiba spielte. Reinhardt schrieb darüber an seinen Freund Held:

Rudolfsheim strahlte. Das bißchen Sonne, das die hohen Gäste vom Raimundtheater mitbrachten, tat dem alten Kasten und mir, der ihn lieb gewonnen, wohl. Es waren schöne Zeiten auch, die ich draußen erlebte.

Vor seiner Abreise nach Berlin ging Reinhardt aber noch mit seinen beiden Freunden Held und Marx auf eine Tournee – die erste seines Lebens – in die Umgebung von Salzburg: Hallein, Golling, Berchtesgaden, Tittmoning. Sie spielten auf Teilung, stolz ihre Unabhängigkeit genießend.

Berlin

Die ersten Eindrücke dieser Riesenstadt waren unbeschreiblich. Faszinierend und erschreckend zugleich …

… Vorläufig schwindelt mir! Kolossale Eindrücke! – Den Kammerdiener spiele ich erst, wenn Kraussneck, der ihn wahrscheinlich in der ersten Vorstellung spielt, den alten Miller spielen sollte. Sonst Chancen ganz günstig, selbstredend bescheidenen Erwartungen entsprechend. Nächstens ausführlicher. Wohnungen schön aber enorm theuer. Mein Moos erfreut sich eines reißenden Absatzes.

So schrieb Max Reinhardt am 18. August 1894 auf einer Ansichtskarte an seinen Freund Berthold Held. Die ersten Wochen waren nicht leicht. Er war gezwungen, im Hotel zu wohnen, bis sich ein Zimmer fand, dessen Preis für ihn erschwinglich war. Überdies schienen ihm bald die Aussichten hinsichtlich seiner künstlerischen Tätigkeit wenig hoffnungsvoll. Nach der Begrüßungsrede von Brahm, in der er seinen Darstellern empfohlen hatte, sich mit Geduld zu wappnen, ergriff ihn eine Mutlosigkeit, die seinem Wesen bisher fremd gewesen war:

Ein Todesurtheil. Ich bin auch keineswegs in rosiger Stimmung im Gegen-theil fast entmutigt und gedrückt. Ich fühle keinen Boden unter mir, in dem ja alle meine Kraft wurzelt und der allein mich stets mit neuer Zuversicht, Lebens- und Hoffnungsfreude erfüllt. – Du sprichst von meinen Fähigkeiten, an die ich fast gar nicht mehr glaube. Kannst Du Dir einen Begriff machen, wie mir zu Muthe ist? Ich wollte, es wäre schon October, November und die Situation etwas geklärter.

Unabhängig davon war er aber natürlich von den Schauspielern, von Proben und Aufführungen, die er sah, begeistert. Das Deutsche Theater hatte ein herrliches Ensemble: Josef Kainz, Agnes Sorma, Emanuel Reicher, Else Lehmann, Rudolf Rittner, Oscar Sauer, Hermann Nissen und viele andere.

Sein größtes Erlebnis war Kainz, von dem er sich aus der Entfernung eine vollkommen falsche Vorstellung gemacht hatte. Nun sah er in ihm die stärkste Persönlichkeit dieser Zeit. Der Einfluss von Kainz hat in Reinhardts geistiger Entwicklung eine entscheidende Rolle gespielt. Eine große Freundschaft verband ihn später mit ihm. Kainz, der fünfzehn Jahre älter war als Reinhardt, nahm den jungen Menschen oft nach der Vorstellung mit nach Hause. In stundenlangen Diskussionen in seiner Bibliothek erschloss er ihm den Reichtum seiner geistigen Welt. Reinhardt lebte sich schnell in Berlin ein, obwohl er sich des gefährlichen Bodens dieser Stadt bewusst war. Darüber schrieb er im September 1894:

Bei uns ist schon alles in vollem Gange. Die erste Vorstellung erregte tendenziös (realistisch) manchen Widerspruch. Die folgenden Aufführungen: Nora, Esther, Tartuffe waren berechtigte Triumphe! Die Gunst der Kritik ruht hier auf Messerschneide und zwar auf der denkbar schärfsten. Merina Luc. ist heute im Tageblatt grausam verrissen. Die Ärmste! Ebenso Klein. Dasselbe Los, ahnst Du’s auch kaum, es kann Dich auch erreichen. Ich habe große Bange! Serafin und Klein sind bereits gekündigt. Düstere Pausaniasse schwingen unbarmherzig ihre Sensen und glattrasierte Köpfe kollern in den Spreesand und die Tinte spritzt nur so!

Seine Befürchtungen erwiesen sich als unbegründet. Er spielte beinahe täglich, u. a. in den Webern und dann den Ersten Schauspieler in einer Glanzaufführung von Hamlet, die monatelang im Deutschen Theater lief. Nach dem Tode Hermann Müllers fielen ihm überdies später noch alle Rollen dieses beliebten, vielbeschäftigten Darstellers zu.

Das Leben in Berlin war ungemein anregend für Reinhardt. Er las viel, besuchte mit seinem Freund Marx Konzerte und entdeckte zum ersten Mal den Zauber, den Musik auf ihn ausübte.

Ich verstehe von Musik nicht viel, bin aber trotzdem oder vielleicht gerade darum sehr empfänglich für sie. Als Schuljunge begann ich einige Monate herumzuklimpern, konnte dem Scalenspielen jedoch keinen besonderen Geschmack abgewinnen und ließ es bald. Ich bin also in akademischer und technischer Beziehung ein Ignorant in der Musik. Aber ich habe mir jedenfalls die volle empfängliche Naivität darin bewahrt, die mir als Zuschauer im Theater naturgemäß schon öfters fehlt. Jedenfalls übt gute Musik stets eine mächtige Wirkung auf mich aus, die mich überrascht und die ich mir nicht recht erklären kann. Neue ungeahnte Stimmungen erwachen in mir. Alles erweitert sich und ich freue und wundere mich darüber wie ein Kind mit einem farbigen Kaleidoskop.

Er empfahl seinem Freund Held, Musik zu hören und ihm dann über seine Eindrücke zu berichten.

Reinhardt war bedeutend jünger als seine Freunde, aber der Einfluss, den er schon damals auf sie ausübte, war stark und entscheidend. Sie ließen sich von ihm beraten und führen. Ein Gespenst störte das Glück dieser Zeiten: die Militärdienstpflicht, die ihm drei kostbare Jahre zu rauben drohte. Brahm hatte ihm 1893 geraten, sein Freiwilligenjahr zu absolvieren, aber Reinhardts Wunsch, endlich zu spielen, war überstark gewesen. Nun musste er sich im Ausland immer wieder stellen und, wie sein Freund Held, gewärtig sein, aus allem herausgerissen zu werden.

In den neun Jahren seines Engagements als Schauspieler am Deutschen Theater beschäftigte Brahm ihn ununterbrochen. Reinhardt spielte in der deutschsprachigen Erstaufführung von Henrik lbsens John Gabriel Borkman, in Maurice Maeterlincks Monna Vanna, in Shakespeares Romeo und Julia, er spielte Mephisto und König Philipp. Natürlich aber vor allem in den Stücken der Naturalisten. Reinhardt schrieb über diese Zeit:

Brahm war ein Naturalist und spielte daher fast ausschließlich die Klassiker aus dieser Schule – Hauptmann, Schnitzler, Ibsen. Die Premieren waren oft wirkliche Schlachten, und es gab tolle Skandale – meist bei den Stücken von Hauptmann, der übrigens fast immer selbst Regie führte. Ich sah damals zum ersten Mal einen Dichter Regie führen. Sonderbar, wie wunderschön das einerseits ist und gleichzeitig wie schwer für den Schauspieler, den der Dichter eigentlich niemals berücksichtigt. Er sieht immer nur das Stück. – Brahm ging in seinem Naturalismus so weit, daß er sagte, solange man im Leben keine Verse spräche, wolle er auch keine auf der Bühne haben. Also bildete sich natürlich eine Front gegen ihn. Die richtigen Klassiker wurden fast nur nachmittags gespielt, und selbstverständlich gab es viele, die das übel nahmen. Ich war neun Jahre lang an seinem Theater und sehr befreundet mit ihm – er war wirklich ein wertvoller Mensch. Im Ganzen war es eine wundervolle Zeit. Aber ich begann langsam darunter zu leiden, daß ich jeden Abend spielen mußte. Es war nicht das Spielen selbst – sondern das ewige Bärte-Kleben, das Masken machen – das immerwährende Hantieren mit Mastix (da ich fast immer alte Leute spielte, durfte ich nie »natürlich« aussehen, sondern mußte täglich mein Gesicht, meine Haare, meine Zähne verschminken). Auch wurde in diesen naturalistischen Aufführungen fast immer auf der Bühne gegessen, meist Knödel und Kraut, was zwar gut war, aber einem mit der Zeit auch über werden kann – jedenfalls fing mich die ganze Atmosphäre zum Schluß zu quälen an, und ich wurde direkt unglücklich.

An Regie dachte ich damals überhaupt nicht – obwohl es eigentlich keinen einzigen wirklichen Regisseur gab. Brahm saß zwar im Parkett und machte unfehlbare kritische Bemerkungen, aber auf der Bühne gab es nur Techniker, von denen nie eine künstlerische Anregung kam. Die Schauspieler mußten sich das alles selbst machen. Manche Dichter brachten durch das Vorlesen ihrer Stücke Anregungen – Hauptmann zum Beispiel, der wunderbar las, im Gegenteil zu Schnitzler und Hofmannsthal.

Reinhardt hatte viele Freunde in Berlin, darunter auch Christian Morgenstern. Dieser Kreis von Dichtern, Schauspielern und Malern traf sich im damaligen Café Metropol am Bahnhof Friedrichstraße. Sie beschlossen, einen Verein zu gründen. Er hieß »Die Brille« und war eine halb mystische, halb lustige Angelegenheit. Neue Mitglieder wurden mit verbundenen Augen in den Saal geführt und bekamen dann eine Brille, durch die sie erst imstande waren zu sehen. »Die Brille« beschränkte sich zunächst darauf, kleine Parodien aufzuführen. Sie spielten zuerst im Künstlerhaus in der Bellevuestraße. Silvester 1900 fand die erste Aufführung vor geladenen Gästen statt. Der Erfolg war so überraschend groß, dass man sich entschloss, das Programm Ende Januar 1901 vor einem größeren Kreis zu wiederholen. Angesichts des schwierigen Problems, einen Namen für das neue Unternehmen zu finden, hatte Reinhardt schließlich erklärt, dass dies doch gar nicht so wichtig sei, denn schon Goethe habe gesagt: »Name ist Schall und Rauch«. So empfingen drei junge Schauspieler in Pierrot-Kostümen – Max Reinhardt, Friedrich Kayssler und Martin Zickel – die Gäste und erklärten in einem Terzett, wie wenig es auf einen Namen ankomme, denn Name sei Schall und Rauch …

Parodien, meist auf die klassischen Vorstellungen im Deutschen Theater, wurden auch weiterhin aufgeführt, daneben aber auch Stücke. Es war ein ungeheurer Erfolg. Reinhardt begann Einakter zu schreiben, die auch später noch oft gespielt wurden: Das Regiekollegium (bestehend aus dem Dichter, dem Direktor und dem Regisseur, die den armen Schauspieler auf der Bühne quälen), Die Parkettreihe und einige andere. Das Ganze fand so viel Anklang, dass Reinhardt schließlich beschloss, ein richtiges Theater daraus zu machen. Er mietete Arnims Festsäle Unter den Linden, die eine kleine Bühne hatten. Sie wurden nach Ideen Reinhardts und Kaysslers von dem Baumeister Peter Behrens umgebaut und am 9· Oktober 1901 eröffnet. Ende Januar 1902 erhielt »Schall und Rauch« den Beinamen Kleines Theater. Stücke traten an Stelle der Einakter. In diesem Moment brach aber der Erfolg des Unternehmens ab, ja, es wurde ein ausgesprochener Misserfolg. Reinhardt hat darüber geschrieben:

Das war ein Wendepunkt in meinem Leben. Ich beschloß nämlich, es jetzt »erst recht« zu machen. Zum Teil aus Überdruß an der Art von Schauspielerei, die ich bis dahin ausgeübt hatte; zum Teil für meinen Bruder, den ich nach Berlin hatte kommen lassen, weil er nicht ganz gesund war und für den zu sorgen das größte Glück meines Lebens war.

Der Entschluss, das Schall-und-Rauch-Theater weiterzuführen, bedingte aber den Abbruch seiner Tätigkeit am Deutschen Theater, wo er bis dahin immer noch engagiert gewesen war. Er teilte Brahm seinen Entschluss und seine Gründe dafür in einem ausführlichen Brief mit. Wie immer bei wichtigen Entscheidungen in seinem Leben arbeitete er lange an diesem Schreiben, wog Sinn und Worte, erforschte sein eigenes Herz. Schließlich schrieb er am 20. Juli 1902 aus Scheveningen an Held:

Den Brief an Brahm habe ich nun endlich geschrieben und abgesandt und bin gespannt auf die Antwort. Die Würfel sind gefallen.

Brahm war schwer gekränkt. Es bewirkte einen Bruch seiner Freundschaft mit Reinhardt. Er ließ ihn auch ohne weiteres die Konventionalstrafe von 14 000 Goldmark bezahlen. Reinhardt, den nicht nur diese Schwierigkeiten, sondern auch die negative Einstellung seiner Freunde zu seinem Plan reizten, glückte es, das Geld dafür und für die Gründung des Kleinen Theaters Unter den Linden aufzubringen. Mit der Gründlichkeit, die ihn schon damals auszeichnete, legte er in langen Briefen an seine Mitarbeiter jede Einzelheit der baulichen, künstlerisch und feuerpolizeilich notwendigen Änderungen fest. Er engagierte erfahrenes technisches Personal und suchte vor allem ein Ensemble zu bilden, das den Aufgaben, die er sich gestellt hatte, gewachsen war. Es gelang ihm, Emanuel Reicher, Victor Arnold, Friedrich Kayssler, Hans Waßmann, Rosa Bertens und Gertrud Eysoldt zu verpflichten. Er sah alles vor sich, wie später bei der Inszenierung eines Stückes. Durch Hindernisse ließ er sich schon damals nicht abschrecken. Immer verlangte er mehr, als erfüllbar schien, und sein starker Wille erreichte schließlich auch, was er anstrebte.

Anfangs ging das Theater schwach. August Strindbergs Rausch mit der Eysoldt brachte den ersten größeren Erfolg. Sie spielte dann auch die Titelrolle in Oscar Wildes Salome. Das Stück war von der Zensur verboten worden. Reinhardt war entschlossen, diesen Widerstand zu überwinden. Er führte Regie, wenn auch der Theaterzettel Hans Oberländer als Regisseur nennt. Die Aufführung fand an einem Nachmittag vor geladenem Publikum statt: Dichter, Musiker, Maler, die geistige Elite Berlins. Da waren Stefan George mit seinem Kreis, Richard Strauss, Eugen d‘Albert, prominente Literaten, Schauspieler und die Vertreter der Presse. Das Verbot der Behörden wurde ad absurdum geführt – sie sahen sich gezwungen, es zu widerrufen.

Aber noch fehlte Reinhardt ein dauernder, durchschlagender Erfolg. Um diese Zeit las er zufällig in einer Zeitung den Bericht über die Uraufführung von Maxim Gorkis Nachtasyl im Moskauer Künstlertheater. Das interessierte ihn in solchem Maß, dass er seinen Freund August Scholz nach Moskau schickte, um es sich anzusehen. Scholz brachte das Stück mit, und es wurde zu Reinhardts allergrößtem Erfolg im Kleinen Theater. Die Wirkung auf das Publikum war überwältigend. Rosa Bertens spielte darin, Reicher, Eduard von Winterstein, der junge Victor Arnold, Hans Waßmann und vor allem Reinhardt selbst, der am 1. Januar 1903 aus dem Verband des Deutschen Theaters ausgeschieden war. Nachtasyl hätte jahrelang auf dem Spielplan bleiben können. Der Kassenerfolg war ungeheuer. Reinhardt sah sich gezwungen, ein zweites Theater zu suchen. Nicht nur, weil er seine Bühne als Repertoiretheater weiterführen wollte, sondern auch, weil der Raummangel im Kleinen Theater die Wahl der Stücke erschwerte und die geringe Sitzzahl die Einnahmen beschränkte. So eröffnete Reinhardt das Neue Theater am Schiffbauerdamm mit Ludwig Thomas Lokalbahn. Für sein Regiedebüt an diesem Theater wählte er Maurice Maeterlincks Pelleas und Melisande. In Lucie Höflich hatte er eine geniale Darstellerin für die zarte Rolle der Melisande gefunden. Er selbst spielte den König Arkel, Louise Dumont die Königin. Diese Aufführung, in ihrem Zusammenklang von Darstellung, Musik und Dekoration, bedeutet einen Markstein in der Geschichte des Theaters, denn hier betrat Reinhardt vollkommen neue, bisher unbegangene Wege. Er zog von diesem Zeitpunkt an die ersten bildenden Künstler Berlins zur Mitarbeit heran: Lovis Corinth, Emil Orlik, Karl Walser, Alfred Roller, Max Slevogt. Für Minna von Barnhelm gelang es ihm sogar, den neunzigjährigen Adolph von Menzel dazu zu bewegen, ins Theater zu kommen und sein Gutachten über Kostüme und Dekorationen abzugeben.

Reinhardt stattete das Neue Theater mit den neuesten Errungenschaften der Bühnentechnik aus. Er kämpfte um eine Drehbühne, die genau nach seinen Angaben gemacht wurde. Der Widerstand seiner eigenen Mitarbeiter war schwer zu überwinden. Eine Himmelswölbung schien ihm ebenso unerlässlich. Seine Briefe zeugen dafür, wie leidenschaftlich er entschlossen war, Veraltetes zu eliminieren:

Was nun die Drehbühne anlangt, so soll sie unter allen Umständen gebaut werden. Aber es ist die höchste Zeit! – Ich lege auf diese Drehbühne den allergrößten Wert. – Solange das Theater existiert, haben sich die Leute »vom Bau« gegen Neuerungen gewehrt. Das macht mich nicht irre. Deshalb sind wir ja so weit zurück. In dem trüben Dunkel all der alten Bühnenhäuser haust das konservativste und faulste Pack, die schlimmsten Orthodoxen. Hätte ich all diesen Ochsen Gehör geschenkt, so wären wir heute nicht da, wo wir sind. Also ich verlasse mich auf Dich. Die Drehbühne steht funkelnagelfertig, wenn die Saison beginnt! – In jedem Fall aber, ob Drehbühne oder nicht, ob Tag oder Nacht, ob Fortuny oder Held oder Knina oder der Teufel selbst – die gottverfluchten Soffitten müssen ein für allemal verschwinden. Diese hundserbärmlichen Fetzen hängen noch in unser heutiges Theater aus jener Zeit hinein, in der man die Wäsche wegthat, wenn die Komödianten kamen.

Eine steile Erfolgskurve führt durch diese Jahre. Der künstlerische Ruf des Neuen Theaters festigte sich, wuchs hoch über die anderen Bühnen Berlins hinaus. Aber immer noch fehlte ein Zugstück, das den ewig latenten wirtschaftlichen Sorgen ein Ende bereiten konnte. Reinhardt fand es im Sommernachtstraum. Es wurde zum entscheidenden Erfolg seines Lebens. Er war damals 32 Jahre alt. Jung und doch so wissend, voll Freude am Spiel, so leidenschaftlich bereit, sich in diesem Märchenwald zu verlieren, Tiefen auszuschöpfen, aus denen er von dieser Stunde an sein Leben lang immer neue Schätze holen sollte. Er ließ junge Menschen von jungen Menschen spielen. Von der Drehbühne getragen, löste sich ein Wald mit richtigen Bäumen geheimnisvoll aus den Schleiern der Nebelschwaden. Ein Moosteppich bedeckte den Bühnenboden. Dicke Glasscheiben im Hintergrund der Bühne täuschten einen See vor. All das waren Neuerungen, die zündend wirkten, die wie eine Rakete das nordische Grau der zeitgenössischen Klassiker-Aufführungen zerrissen. Noch niemals war dieses Stück so gespielt worden. Es wurde mit einem Schlag transparent und entzückte das Publikum. Ein beispielloser Erfolg, der für Reinhardts weitere Laufbahn entscheidend wurde.

Als er sich zu dieser Inszenierung entschlossen hatte, war er in die Berge gefahren, um dort in Ruhe an seinem Regiebuch zu arbeiten. Tagsüber rodelte er, abends saß er in der kleinen Wirtsstube seines Gasthofes und arbeitete. Seine Phantasie erweckte Gestalten zum Leben, die nunmehr unlöslich mit ihm verbunden bleiben sollten. Er hat den Sommernachtstraum bis an das Ende seiner Tage immer wieder inszeniert, immer wieder verschieden, immer wieder vertieft, bereichert und vereinfacht. Diese Shakespeare-Aufführung machte ihn über Nacht zum ersten Regisseur Deutschlands.

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22 aralık 2023
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