Kitabı oku: «Pit Summerby und die Magie des Pentagramms», sayfa 2

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Wundersame Geschichten

Draußen in der Natur fühlte er sich frei, und es machte ihm Spaß, auf dem Feldweg Kurvenlinien zu fahren. Nach einer Viertelstunde stand er vor dem alten Windmühlenwrack. Neugierig aber auch ängstlich trat er vorsichtig näher. Offenbar war der mittlere Balken des Bockes gebrochen, der Grund für die Schieflage des Mühlenhauses. Das Gerippe ermöglichte einen Blick ins Innere. Oben im Dach konnte man ein großes Rad erkennen, das sich auf einer hölzernen Welle befand. Das mächtige Rundholz besaß außen noch drei Stümpfe, wohl die Reste der Flügel.

Eine wundersame Geschichte, die ihm Oma in seiner Kindheit oft erzählt hatte, fiel ihm jetzt ein. Die Mühle sollte früher einmal einem Müller namens Heinrich gehört haben. Sie könne sich auch erinnern, dass man in ihrer Kindheit noch von der Heinrichsmühle sprach. Da der Klapperkasten, wie sie besonders erwähnte, immer im Wind stehen musste, hatte er auf der Rückseite einen langen Balken, auch Stert genannt, mit dem der Müller unter großem Kraftaufwand das Mühlenhaus samt Flügel in die richtige Lage drehen konnte. Dieser brach einst, zermürbt durch die ständige Benutzung. Ein neuer, geeigneter musste her. Der Müller hatte in der ‚Alten Eiche' einen leicht gebogenen kräftigen Ast ausgemacht. Weil die Menschen in der damaligen Zeit ohne eine Getreidemühle vor Ort nicht auskamen, erteilte der Dorfschulze die Genehmigung, diesen Ast herauszuschneiden, um damit den Stert zu ersetzen. Doch der Einbau brachte kein Glück. Die Mühle wurde danach ständig durch Unwetter beschädigt, bis der Müller aufgab und sie wegen der hohen Reparaturkosten nicht weiter betrieb. Die Bauern nutzten in ihrer Ausweglosigkeit wieder eine der geschmähten Wassermühlen. Auch die ‚Alte Eiche' rächte sich. Über Jahre kümmerte sie dahin und brachte keine Früchte hervor. Die Ärmsten im Dorf, die mit den Eicheln ein Schwein fütterten, litten danach große Not. Die vielen Überschwemmungen der Werla, zwei Dürrejahre und ein fürchterlicher Hagelschlag, der damals die gesamte Ernte vernichtete, wurden ihr deshalb angelastet. Jemand wollte seinerzeit eine Stimme nahe des Standortes gehört haben, die verkündete: „Fünf Jahre sollt ihr für den Frevel an meiner Krone büßen. Danach sei euch verziehen!“ Später wagte niemand mehr, den geschändeten Baum anzurühren. Er erholte sich wieder. Die Lücke in der Baumkrone aber blieb bis heute. In den fünfziger Jahren wurde der knorrige Riese zum Naturdenkmal erklärt. Er stand jetzt unter amtlichem Schutz, und niemand durfte sich an ihm vergreifen. Soweit die Überlieferung.

Pit umkreiste das sagenumwobene Bauwerk. Er suchte den Balken, den man Stert nannte. Er fand nur ein abgesplittertes Stück Holz unterhalb der Öffnung, die wohl mal eine Tür gewesen sein musste. Die Geschichte über die Mühle und ‚Alte Eiche' gab ihm zu denken. Er beschloss, diesem Geheimnis auf den Grund zu gehen. Irgendetwas Unbekanntes trieb ihn plötzlich, sich dieser Aufgabe zu stellen. Er erinnerte sich auch an einem Sturz in der Nähe, wo er glaubte, eine Stimme gehört zu haben, die zusätzlich seine erwachende Entdeckungslust anstachelte. In den Sommerferien wollte er diesen Rätseln nachgehen, vorläufig war aber Schweigen angesagt. Er schwang sich wieder aufs Rad und fuhr in Richtung Werla. Den vor ihm liegenden Burgberg hatte die Abendsonne in eine rot leuchtende Glocke gehüllt. Nur zweimal war er bisher dort oben gewesen, fiel ihm ein. Außer Gestrüpp und ein paar Mauerresten gab es nach seiner Meinung nichts Lohnenswertes zu sehen. Die Burg, die dort gestanden haben sollte, wurde in der hiesigen Gegend als ‚Fünf-Ecken-Burg' bezeichnet. Den Grund für diese ungewöhnliche Bezeichnung kannte er nicht. Doch bald schon sollte sich das ändern.

Er bog rechts zum Fluss ab und hielt an. Am anderen Ufer standen einige Betonpfosten. Sie trugen noch immer ein verwittertes Fischgrätenmuster aus schwarz-rot-goldenen Streifen. Dort verlief vor Jahren die innerdeutsche Grenze, über die nichts Gutes erzählt wurde. Seine Mutter Bärbel stammte von drüben. Noch während der ersten Grenzöffnung vor der Wiedervereinigung hatte sie seinen Vater kennen gelernt. Ein halbes Jahr später waren sie verheiratet. Seine Verwandten im Osten besuchte er öfters. Mit dem Rad war es leicht, denn es gab inzwischen wieder eine Brücke über den Fluss. Drüben hatte er unter den Mädchen und Jungen seines Alters neue Freunde gefunden. Sie verstanden sich prima. Meistens verbrachte er aber seine Freizeit mit denen hiesigen im Ort. Es dunkelte bereits, als Pit zu Hause ankam. Sein Fahrrad ließ er einfach am Hofeingang stehen und verschwand sofort in seinem Zimmer. Eine gesunde Müdigkeit drängte ihn ins Bett. Doch vorher quälte er sich nochmals die zu lernenden Formeln ab. Es klappte noch halbwegs. Danach zog er sich aus, warf seine Sachen in alter Manier auf einen Haufen und legte sich hin. Wenig später schlief er tief und fest. Seine Mutter überzeugte sich später besorgt von seiner Anwesenheit. Kopfschüttelnd registrierte sie den neuerlichen Klamottenberg.

Schulalltag

„Pit, du musst aufstehen, es wird Zeit!“, klang eine ferne Stimme. Der nächste Morgen verschlang die Minuten seiner Mutter im Eiltempo. Jule, die auch zum Unterricht musste, ließ ihr kaum Zeit für ihn. Gehetzt klopfte sie noch kurz an die Tür bevor sie ging. Als gelernte Kindergärtnerin betreute sie die Kinder in dieser Woche vormittags. Vorher ließ sich seine Schwester noch zur Schule bringen. Sein Vater bekam meist von all dem nichts mit. Er arbeitete in einem Forschungslabor der Kreisstadt und musste früh los. Der morgendliche Stress blieb deshalb an ihr hängen. Das Pochen rüttelte Pit endgültig wach. Er hatte fast verschlafen. Gerade noch rechtzeitig verließ er das Bett, duschte sich kurz ab und sprang in seine Klamotten. Mit zerknittertem T-Shirt und ungekämmtem Haar stürmte er in die Küche, trank einen Schluck Apfelmost, griff sein Frühstück und im Flur seine Schultasche. Dann schlüpfte er in seine ausgetretenen Turnschuhe. Boldi kam und zog Aufmerksamkeit heischend am Schnürsenkel. „Das fehlt gerade noch!“,

fuhr er den Hund an und verscheuchte ihn mürrisch. Gott sei Dank hatte sich das Band nicht gelöst, denn das Auf- und Zubinden betrachtete er nur als lästige Mühe. Die nächste Hürde erwartete ihn im Hof. Das Rad, wo hatte er es abgestellt? Vorsorglich von seinem Vater noch am Abend zuvor in der Garage eingeschlossen, konnte er es nirgends entdecken. Ihn juckten meist solche Vorkehrungen weniger, es handelte sich schließlich nicht um sein Geld, das man für so einen Renner aufbringen musste. „Verdammt, jetzt ist die Karre auch noch weg.“,

schimpfte er entmutigt. Im letzten Moment dachte er an die Garage. Glücklicherweise war sie nicht verschlossen. Die Tür ließ er danach einfach offen.

„Mist! Heute ist ja Sport, da brauche ich mein Sportzeug“,

fiel ihm gerade noch rechtzeitig ein. Er rannte zurück ins Haus, holte den Beutel, sprang aufs Rad und raste davon. So wie heute Morgen bestritt er schon seit geraumer Zeit sein Dasein, leichtfertig und wenig rücksichtsvoll.

Da Burgroda etwas abseits lag, gab es nur eine schmale asphaltierte Zugangsstraße von Neuburgroda. Als der jüngere Ort, stellte er aber den größeren von beiden Gemeinden. Er lag an einer alten Handelsstraße und verfügte seit 1915 über einen Bahnanschluss. Die Bevölkerung entwickelte sich aufgrund der günstigeren Verkehrslage und der damit verbundenen wirtschaftlichen Entwicklung schneller und besaß deswegen die vierfache Einwohnerzahl gegenüber ihrem älteren und kleineren Nachbarn. Heute befanden sich dort auch das Verwaltungszentrum und die Albert-Schweitzer-Gesamtschule. Burgroda gehörte jetzt nur als ein Ortsteil zum Gemeindeverband.

Pit trat in die Pedalen. Wenn er Pech hatte, würde er sich verspäten. Er fuhr als Einziger nicht mit dem Schulbus, auch nicht bei schlechtem Wetter. Trotz häufiger Spötteleien seiner Schulfreunde ließ er sich nicht davon abbringen. Schließlich gab es Prinzipien. Der Schulhof empfing ihn mit gähnender Leere. Er schloss sein Fahrrad an einen Zaunpfosten, denn im Fahrradständer gab es keinen Platz. Dann hastete er ins Schulhaus. Vor dem Klassenzimmer im Erdgeschoss stand zu allen Übeln auch noch Rektor Hirschwald. Er hatte die offene Tür noch in der Hand.

„Na, Pit, hast du verpennt?“,

empfing er ihn und stellte sich in den Weg.

„Stimmt, Herr Hirschwald. Entschuldigung. Soll nicht mehr vorkommen!“.

stammelte er verlegen.

„Los, rein!“,

kommandierte der Rektor ärgerlich und gab den Weg frei. Pit stürzte in die Klasse. Fast wäre er gestolpert. Alle lachten. Leicht verwirrt nahm er auf seinem Stuhl neben Fauli Platz. Da erst bemerkte er, dass vorn am Lehrertisch eine junge Frau saß. Sie trug ein rosa T-Shirt. Das passte zu ihrer Gesichtsfarbe. Auf ihrer Nase ruhte eine schmale Brille. Das Haar trug sie streng nach hinten gekämmt. Fauli flüstert, als er Pits verdutzten Blick bemerkte:

„Das ist Frau Seidenfad, die neue Referendarin. Sie soll heute Berg vertreten, der hat was in der Stadt zu tun ".

Jemand hinter ihnen kicherte.

„Miss Piggy“ stand auf einem Zettel, der rumgereicht wurde. Das Kichern und Lachen hörte man noch öfter. Die junge Frau schaute ins offene Klassenbuch und machte Anwesenheitskontrolle. Einige hatte sie schon abgehakt. Pits Erscheinen quittierte sie mit einem strengen Blick, unterließ es aber, etwas zu sagen. Der Rektor hatte ja schon seinen Segen gegeben.

„Martin Faulstich“,

fuhr sie fort. Fauli sagte:

„Ja!“

und hob dabei die Hand. Sie blickte kurz auf und musterte ihn. Der nächste Aufruf galt Giuseppe Fellini, er drehte als Sitzenbleiber eine Ehrenrunde in der 7 b. Jetzt schoss er in die Höhe und antwortetet mit singender Stimme „Jaaaa“. Wieder lachten viele. Irritiert schaute die junge Frau zu ihm hin. Vor ihren Augen posierte ein hoch gewachsener Junge mit langen dunklen Haaren und einem ausgesprochenen südländischen Teint. Obwohl erst vierzehn Jahre, sah er aus wie siebzehn. Er besaß den Ruf, der größte Casanova an der Schule zu sein und hatte in den oberen Klassen schon vielen Mädchen erfolgreich den Hof gemacht. Triumphierend checkte er die Runde. Doch die Referendarin beachtete ihn nicht weiter. Sie rief den Nächsten auf.

„Reinhard Katzmann“,

so lautete Stinkis richtiger Name, wurde aufgerufen. Er saß hinten allein auf der Bank.

„ Hier!“ rief er, meldete sich aber nicht. ‚Miss Piggy‘ sah sich suchend um.

„Bist du das da hinten?“,

fragte sie.

„Warum meldest du dich nicht?“

Er zuckte mit den Schultern.

„Komm vor und setz dich neben das Mädchen in der zweiten Reihe!“

„Iiih“;

schrieen Einige,

„der doch nicht, der stinkt!“

Am lautesten protestierte Locke. Zu ihr sollte er sich nämlich setzen.

„Wenn der vor kommt, haue ich ab“,

drohte sie. Ihr blonder Lockenschopf hatte ihr zu dem Beinamen verholfen. Eigentlich hieß sie Floriane Dietzel. Sie war nicht nur hübsch sondern auch gut entwickelt. Das wusste sie und betonte ihre körperlichen Reize mit entsprechenden Klamotten. Die Ohren und den Bauchnabel schmückten Piercings. In der Klasse suchte sie keine Freundschaften. Anscheinend legte sie auch keinen Wert darauf. Das Hauptfeld ihrer Aktivitäten lag bei den Jungen der Zehnten. Ihren Zwillingsbruder Florian, auch Flori genannt, mochten dagegen alle. Sein Herz gehörte dem Fußball. Er spielte in der hiesigen A-Jugend. Aufgebracht herrschte er seine Schwester an:

„Sei nicht so zickig, Locke, sonst gibt es Stress!“

Sie warf ihm einen vernichtenden Blick zu, hielt aber den Mund. Ratlos verfolgte die Referendarin dem Geplänkelt. Für eine derartige Situation besaß sie kein Rezept. Im Studium wurden solche Probleme nicht besprochen. Mit der Fortsetzung der Anwesenheitskontrolle wollte sie jetzt ihre Unsicherheit überdecken. Deshalb rief sie Pit auf:

„Peter Summerby!“

Der saß geistesabwesend da, reagierte nicht. In Gedanken wiederholte er nämlich die Binomischen Formeln. Es klappte noch, das machte ihn froh. Fauli knuffte ihn in den Arm:

„Alter, du bist dran!“

Pit schaute verwundert auf. Er sollte gerade einen Abwesenheitsstrich bekommen.

„Hier bin ich“,

protestierte er,

„aber ich heiße Pit und nicht anders.“

„Gut“,

entgegnete sie,

„ich werde es mir merken.“

Nach einer Viertelstunde schloss sie endlich die Kontrolle ab. Die dadurch ausgelöste Unruhe in der Klasse steigerte sich inzwischen so, dass kaum einer merkte, wie eine Überschrift an die Tafel geschrieben wurde. Die junge Frau versuchte händeringend, die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Jetzt, wo sie stand, wurde noch deutlicher, wie treffend die Bezeichnung ‚Miss Piggy‘ zu ihr passte. Nicht besonders groß, mit einer molligen Figur, ergänzte sie diesen Eindruck. Bei Sprechen schob sie ihren Mund vor. So hätte sie auch gut in die ‚Muppet- Show‘ gepasst. Irgendwie spürte man das auch. Plötzlich forderte sie mit schriller Stimme Ruhe ein. Erschrocken folgte ein Großteil der Klasse, und es wurde danach merklich leiser.

„Euer Klassenlehrer hat euch aufgetragen, die Binomischen Formeln übers Wochenende zu lernen “,

begann sie und schaute ins Klassenbuch.

„Giuseppe, wie lautet die Erste?“

„Pech für Fellini“,

dachte Pit,

„warum benimmt er sich immer so auffällig?“

Selbstgefällig tönte selbiger:

„Ich kann sie nicht, weil ich diesen Quatsch sowieso nicht brauche, wenn ich Schlagersänger werde.“

„Du musst es ja wissen. Dafür gibt es nur ein ‚ungenügend‘ “,

lautete die Konsequenz. Meli meldete sich. Miss Piggy, der Spitzname hatte inzwischen die Runde gemacht, hörte sie ab und lobte die fehlerfreie Ansage. Mia, ihre Banknachbarin, sollte sie an die Tafel schreiben. Nur zögernd, fast ängstlich bewegte sie sich nach vorne. Körperlich konnte sie mit den anderen Mädchen nicht mithalten. Klein und durch eine Krankheit geschwächt, litt sie fürchterlich unter diesem Makel. Das prägte auch ihr Selbstbewusstsein. Sie reichte kaum an die Stelle auf der Tafel, wo sie die Formel hinschreiben sollte. Meli sprang nach vorne, zog die Schreibfläche runter und blieb neben ihr stehen. Sie nickte und ermutigte ihre Banknachbarin mit einem aufmunternden Blick. Erst jetzt schrieb Mia die Gleichung sauber und einwandfrei an. Gleichzeitig senkten einige ihre Köpfe in der Hoffnung, nicht dran zu kommen. Pit meldete sich. Die Referendarin missachtete seinen erhobenen Finger und forderte stattdessen Stinki auf, die zweite Formel aufzusagen. Der trug sie fließend vor, er hatte ja die Tafel als Vorlage, ersetzte nur Plus durch Minus.

„Es gibt einen Fehler, denke nach!“

Der Erwähnte, überzeugt alles richtig gemacht zu haben, schaute verlegen auf seine Bank. Pit und Meli meldeten sich. Diesmal bekam er den Vorzug und sollte die Formel entsprechend berichtigen. Unbeholfen, ganz gegen seine Gewohnheit, hechtete er an nach vorne und wäre beinahe gestürzt. Mit krakeliger Schrift schrieb er die zweite an. „Richtig“,

lobte Miss Piggy,

„und nun du da hinten, hast du den Fehler erkannt?“

Stinki knurrte so etwas wie „Ja“. Er hätte auch gerne mal ein Lob kassiert. Die dritte Formel musste Anne ansagen. Weil sie richtig geantwortet hatte, durfte sie sie auch gleich anschreiben. Der Unterrichtsablauf normalisierte sich wieder. Offenbar übertrug sich das auch auf die junge Anwärterin, die wieder sicherer wurde. Sie ließ noch von Anne die Tafel schließen, um so den Anschrieb zu verdecken.

„Jetzt bin ich gespannt, wer die drei Formeln fehlerfrei zustande bringt“,

wandte sie sich erneut an die Klasse. Gespannte Ruhe. Pit und Meli hoben zögernd die Hände. Ihr Blick fiel wieder auf Pit. Mit einem wohlwollenden „Mach mal, Pit!“ forderte sie ihn diesmal auf. Leiernd und fehlerlos präsentierte er das mühsam Gelernte. Dass sie ihn Pit genannt hatte, schätzte er besonders.

„Das war eine sehr gute Leistung“,

lobte sie zudem,

„ich werde es Herrn Berg übermitteln.“

Sie ‚Miss Piggy‘ zu nennen, kam ihn nach den anerkennenden Worten plötzlich respektlos vor. Aufmerksam folgte er jetzt dem Unterricht, fand ihn sogar interessant. Sie kündigte den nächsten Schwerpunkt, nämlich die ‚Anwendung und Nützlichkeit der Formeln‘ in allen möglichen Situationen an. Einige notierten den Tafeltext. Danach ergänzte sie mündlich:

„Berechne mit Hilfe einer Binomischen Formel das Quadrat von 21 im Kopf!“

Zusätzlich schrieb sie die Aufgabe 21² an die Tafel. Dicki meldete sich wie verrückt. Auch Meli hob den Arm. Er bekam aber den Zuschlag:

„Du da hast das Ergebnis schon?“

„241“

verkündete er stolz und schaute sich triumphierend in der Klasse um.

„Gut !“,

quittierte sie die Antwort,

„Nun erkläre uns noch, wie du die Lösung gefunden hast.“

Dicki wurde puterrot und murmelte:

„Das kann ich nicht!“

Einige Proteststimmen riefen:

„Der hat doch den Taschenrechner benutzt, der ist doch viel zu blöd, um die Lösung im Kopf zu finden.“

Dicki besaß tatsächlich einen raffiniert getarnten Rechner in seiner Federmappe, von dem keiner wissen sollte. Jetzt hatten sie ihn entlarvt, das machte ihn missmutig und schweigsam, er schaltete um auf stur. Die Referendarin verzichtete auf weiteres Nachfragen und ließ Meli als Nächste vortragen. Sie bestätigte das Resultat und erklärte auch, wie sie gerechnet hatte, nur es entsprach nicht der Aufgabenstellung. Da sich niemand mehr meldete, sollte Fauli überlegen, wie man denn mittels der Formeln rechnen könnte.

„Mit so einem Klimbim befasse ich mich erst gar nicht, wozu gibt es denn einen Taschenrechner“,

antwortete er aufmüpfig und bekam von mehreren Seiten Zustimmung. Verärgert über ihn, versuchte nun die junge Frau, ihm die Unsinnigkeit seiner Antwort zu erklären. Sie stieß aber bei den meisten Schülern auf Ablehnung. Er wurde zunehmend lauter, und der Unterricht geriet erneut aus den Fugen. Sie beschloss, an einigen Beispielen den Rechenweg zu erläutern. Die Zahl 21 zerlegte sie in die Summe 20 + 1, klammerte sie und erhob sie ins Quadrat. Jetzt wollte sie wissen, ob jemandem eine Gemeinsamkeit zu den Formeln aufgefallen sei. Da nur noch Wenige zuhörten, war die Resonanz mager. Anne meldete sich.

„Man könnte für a die 20 einsetzen und für b die 1. Dann braucht man nur noch im Rest der Formel das Gleiche tun.“

Frau Seidenfad nickte zustimmend und ergänzte an der Tafel: 20² + 2 x 20 x 1 + 1².

„Das kann man relativ leicht im Kopf ausrechnen“,

überlegte Pit. Er merkte, dass man auf diese Weise schnell und einfach zu einem Ergebnis kam. Auf einmal schien es ihm nützlich, die Formeln zu kennen. Leider betraf es nur Wenige, die so dachten wie er. Die Meisten schienen davon überzeugt, dass im Zeitalter des Taschenrechners solche Gehirnakrobatik überflüssig sei. Im zunehmenden Tumult ging die Stunde zu Ende. Alle waren froh, sicherlich auch die Referendarin. Sie packte ihre Tasche und verließ wortlos den Raum.

In der beginnenden kleinen Pause spielte der verkorkste Unterricht schon keine Rolle mehr. Man tauschte vielmehr Neuigkeiten vom letzten Wochenende aus. Es klingelte. Frau Engelmann trat in die Klasse, jeder suchte schnell seinen Platz auf. Dann wurde es still. „Guten Morgen“, grüßte sie, warf einen Blick in die Anwesenheitsliste, schaute in die Runde, nickte und schloss das Klassenbuch wieder. Ihr Gruß wurde nur von Einigen erwidert. Straff und ohne Kompromisse führte sie die Klasse durch die Literaturstunde. Lessings Fabeln standen auf dem Plan. Die Geschichte vom ‚Fuchs und dem Raben‘ sollte heute tiefgründiger beleuchtet werden. Am Schluss forderte sie Locke auf, herauszuarbeiten, was Lessing den Menschen mittels der Tiersprache wohl sagen wollte.

„Der Fuchs hat dem Raben den Käse abgeschwatzt.“,

so ihre Antwort,

„Oder?“

„Bei dir wundere ich mich nicht, Floriane, du solltest vielleicht noch mal über deine Antwort nachdenken“,

wurde ihr geraten. Locke schaute verdutzt in die Runde. Sie konnte sich keinen Reim auf die Bemerkung machen, außerdem hatte sie andere Sachen im Kopf. Da klingelte es schon wieder. Das deutliche „Auf Wiedersehen!“ der Lehrerin ignorierten wieder die meisten, gedanklich befanden sie sich bereits in der großen Pause.

Auf dem Schulhof liefen fast alle auseinander. Die Clique traf sich hinten am Zaun unter der Linde. Nur Fauli fehlte noch, er hatte seit einiger Zeit ein Auge auf Anne geworfen und wollte sie heute abpassen. Sie ging aber an ihm vorbei, schenkte ihm nicht mal einen Blick. Enttäuscht gesellte er sich zurück zur Truppe. Die diskutierte bereits heftig über seinen Ausrutscher in der Mathestunde. Pit befand, dass der Unterricht der Referendarin gar nicht so übel gewesen sei und bekam Zustimmung von Meli. Er schlug vor, sie künftig wieder Frau Seidenfad zu nennen, erntete aber nicht die ungeteilte Zustimmung der Anderen. Dicki präsentierte eine Tüte mit Spritzgebäck. Gönnerhaft reichte er sie rum. Stinki und Fauli nahmen ein Teil, Pit und Meli lehnten dankend ab. Er selbst vertilgte genüsslich den größten Teil des Restes. Unerwartet näherte sich Rocky aus der 8b mit seinen beiden Kumpanen Schlepptau. In ihren Punkerklamotten fielen sie sofort auf. Provozierend baute sich Rocky vor Dicki auf.

„Na, du alter Fresssack, stopfst dich wieder voll? Wenn’s mal knallt, dann weißt du warum, dann bist du nämlich geplatzt.“

Danach lachte das Trio wiehernd über den vermeintlichen Spaß. Der Geschmähte wich ängstlich zurück. Stinki ging drohend auf sie zu.

„Halt dein blödes Maul und verzieh dich, sonst kriegst du eins aufs Zifferblatt!“

Er überragte Rocky mindestens um Kopfgröße. Alle wussten, dass Stinki unangenehm werden konnte. Die Kerle quittierten seine Ansage zwar mit einem höhnischen Lacher, verzogen sich aber.

„Den werde ich noch mal wie eine Laus zerquetschen“,

stieß der Hüne ärgerlich hervor, und das galt als eine ernst zu nehmende Drohung. Rocky, der Sohn eines Autohändlers, mimte seit längeren den Großkotz auf dem Pausenhof. Er verfügte über reichlich Geld. Damit kaufte er sich ihm willfährige Freundschaften. Seine beiden Kumpane durften schon mal heimlich im Feld mit einem Golf fahren, den er wiederholt aus der Firma seines Vaters heimlich ‚entlieh‘. Das Punkertrio hatte außerdem noch eine Menge anderer Übeltaten auf dem Kerbholz. Sie brachten dadurch auch ständig die Schule in Verruf. Leider konnte oder wollte man ihnen viele der kriminellen Machenschaften nicht nachweisen. Auch jetzt verdrückten sie sich in eine abgelegene Ecke des Schulhofes. Sicherlich rauchten sie dort Gras.

Draußen vor dem Schulgelände knutschte Locke mit einem aus der Zehnten. Sie erprobte so im Laufe des Schuljahres fast das gesamte männliche Potenzial der oberen Klassen. Nur fünf Jungen kamen nicht zum Zuge, blieben ungeküsst auf der Strecke. Entweder sie wollten nicht, oder Locke lehnte sie ab. Einer von denen verzieh ihr das nicht, war deswegen stinksauer auf sie. Etwas abseits hinter einem Busch standen drei weitere Mädchen aus Pits Klasse. Zusammen mit einigen Jungen aus den achten Klassen rauchten sie. Eine blickte ängstlich zur Hofaufsicht. Sie wollte nicht erkannt werden. Da sie draußen auf der Straße standen, schützte sie das wenigstens vor den Zugriffen der Aufsichtslehrer. Am nächsten Tag sollte es aber aus diesem Grunde gewaltigen Ärger geben.

Das Vorklingeln der dritten Stunde ertönte. Schubsend und drängelnd bewegte sich der Schülerpulk zum Eingangsportal. Die Großen etwas langsamer als die Kleinen. An der Tür wurden die Drängelei und das Geschrei noch ärger. Frau Birnstiel als Aufsichtsführende stieß man zur Seite, als sie versuchte, Ordnung zu schaffen. Erst als die Größeren kamen, ging es etwas gesitteter zu.

Schließlich befand sich das Gros im Schulhaus. Auch die Lehrerin verschwand. Rocky und seine Gang tauchten verspätet auf. Mit Absicht. Da es bereits zur Stunde geklingelt hatte, wurden sie nicht mehr in die Klasse gelassen. Darauf zielten sie scheinbar ab. Ungestört inspizierten sie in den Fluren die Feuerlöscher und zogen sich dann in eine Ecke zurück. An ihrem Getuschel konnte man erraten, dass sie etwas planten. Rektor Hirschwald kam aus dem Sekretariat und erwischte das Trio. Sie gaben sich als Unschuldslämmer aus und beschwerten sich über den Lehrer, der sie nicht mehr in die Klasse gelassen hatte, dabei ihre Pünktlichkeit beschwörend. Der Rektor versprach Klärung und ging. Als sich die Luft wieder reinigte, schlich Rocky zur Kellertreppe und hob einen Pulverfeuerlöscher aus der Halterung. Verdeckt unter seiner Jacke schaffte er ihn rasch ins Obergeschoss. Seine Kumpane hatte er beauftragt, Schmiere zu stehen. Als sie das Zeichen gaben, dass nichts zu befürchten sei, versteckte er das Gerät im Lichthof unter einem Blumenkasten. Da hier nur zweimal pro Woche gereinigt wurde, rechneten sie kaum mit einer Entdeckung. Dann verdrückte sich die Gang wieder unauffällig in eine Ecke. Der erste Teil eines unrühmlichen Unfugs schien geglückt.

In der dritten Stunde stand Sozialkunde auf dem Plan. Herr Specht, ein Lehrer kurz vor der Pensionierung, ließ sich über die Geschäftsfähigkeit im Kindes- und Jugendalter aus. Er wirkte müde und antriebslos. Das Stundenthema trug er emotionslos vor, schrieb einiges an die Tafel und ließ sich auf kein Gespräch mit den Schülern ein. Bei Vielen unterrichtete er schon ihre Väter und Mütter. Früher galt er als ein sehr beliebter Lehrer. Die meisten Eltern duldeten es deshalb nicht, dass ihre Sprösslinge respektlos auftraten. Deswegen ließen sie den Unterricht meist auch geduldig über sich ergehen. Stinki schlief sogar, wurde aber nicht gerügt. Ohne besondere Vorkommnisse ging die Stunde zu Ende.

In der Pause gähnte einer.

„War das ätzend langweilig!“

Aber niemand beachtete die Bemerkung. Dicki verdrückte noch schnell das letzte Gebäckstück. Einige rannten aufs Klo. Meli kam zu Pit und Fauli.

„Habe Lust, morgen baden zu gehen. Kommt ihr mit?“

Pit hatte Lust.

„Wenn mich meine Alten weglassen, komme ich auch“,

knurrte Fauli ärgerlich, denn er stand noch immer unter Stubenarrest. Stinki hatte im Unterschied zum Waschwasser keine Berührungsängste mit dem Baggersee. Seine Zusage stand so gut wie sicher fest. Dicki faselte etwas von Internet, als sie ihn fragten. Schließlich sagte er aber zu, damit sie ihn in Ruhe ließen.

Die Zacher erschien mit gewohnt forschem Schritt in der Klasse. Sie, eine etwa 30-jährige attraktive Frau, trat stets sehr energisch auf. Ihren Unterricht gestaltete sie interessant. Sie begrüßte die Schüler freundlich, aber bestimmt. Nachlässigkeiten wurden von ihr nicht geduldet. Am Anfang des Schuljahres hatte sie das Grüßen mehrfach exerziert, als es nicht klappen wollte. Heute ertönte von allen:

„Guten Morgen, Frau Zacher!“,

zurück. Die Meisten hatten auch vorschriftsmäßig Lehrbuch und Biologieheft vor sich liegen. Mit einem kurzen Blick überflog sie die Klasse, nickte und forderte Flori auf, kurz auf den Inhalt der letzten Stunde einzugehen.

„Wir haben die Buchengewächse behandelt, speziell die Rotbuche“,

antwortete er. Dann begann er alles, was er über die Rotbuche wusste, vorzutragen.

„Ist gut, Flori“,

bremste sie seinen Eifer,

„ich merke, du weißt Bescheid.“

Fast enttäuscht hielt er inne. Sie konnten sich beide offenbar gut leiden, Flori gehörte zu den Besten in ihrem Unterricht.

„Du hast deine Eins sicher.“

Damit beendete sie die Wiederholung, und der Gelobte strahlte.

„Ein weiteres Buchengewächs steht auf dem Programm“,

verkündete sie danach.

„Wer kennt eins?“

„Weißbuche“, „Blutbuche“,

lauteten die einzigen Antworten.

„Alles richtig“,

bestätigte die Lehrerin,

„ich meine aber die Eiche.“

Fast alle blickten sich ungläubig um. Anne wagte sogar, Widerspruch anzumelden.

„Sind Sie ganz sicher, Frau Zacher, irren Sie sich auch nicht?“

„Warum sollte ich nicht sicher sein?“

lachte sie und schrieb mit gelber Kreide ‚Die Eiche‘ an die Tafel. Um zu betonen, dass sie zu den Buchengewächsen gehörte, ergänzte sie in der zweiten Zeile mit weißer Kreide: ‚gehört zur Familie der Buchengewächse (lat. Fagaceae)‘. Anne guckte etwas betreten. Alle schrieben im Heft mit, was sonst weniger üblich war. In der Einleitung trug sie der Klasse vor, dass zirka 600 verschiedene Arten von Eichen auf der Welt vertreten wären, als Bäume oder auch als Büsche. In den wärmeren Ländern gäbe es immergrüne Arten im Vergleich zu den Eichen in Deutschland. Alle kannten die ‚Alte Eiche' in der Werlaaue und stimmten zu. Dann fuhr sie fort. Baumeichen könnten sehr groß und alt werden. Ihr Stammdurchmesser messe mitunter drei Meter und mehr, und sie könnten Höhen bis zu fünfzig Metern erreichen. Am liebsten würden sie einen feuchten und lehmhaltigen Boden bevorzugen, wüchsen aber auch auf lehmigen Sandböden. Eine starke, tief in die Erde reichende Pfahlwurzel sichere ihren Wasserbedarf und verleihe ihr neben mehreren regelmäßig verteilten Flachwurzeln eine hohe Standfestigkeit. Sie könnten mehr als 1000 Jahre alt werden. Im Mittelalter hätten sie eine große wirtschaftliche Bedeutung gehabt und wurden außerdem in der Heilkunde verwendet. In der Antike und auch später galten sie als Sitz von Göttern. Zudem wurden damals die Plätze unter Eichen als besondere Orte von den Menschen angesehen. Es gäbe viele mythische Geschichten um diese Bäume, die bis in die heutige Zeit hinein wirkten. Als Beispiel nannte sie das Eichenlaub auf den deutschen Euro-Cent-Münzen. Damit schloss sie ihren Vortrag und befragte die Klasse nach Kenntnissen bezüglich des Baumes. Pit meldete sich.

„Ich weiß, dass man Korken und Schuhsohlen aus einer südländischen Eiche macht.“ „Richtig!“.

„Diese Eichen heißen Korkeichen und wachsen im Süden, zum Beispiel in Ländern wie Portugal, Spanien und anderen rund ums Mittelmeer. Die Korken und vieles mehr würden aus der Rinde gewonnen. Dazu müssten die Bäume alle zehn Jahre geschält werden. Soviel Zeit seit nötig, um eine neue, verwertbare Rinde auszubilden.“

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