Kitabı oku: «Letzte Erfahrungen», sayfa 2
Die akademische Wegstrecke
Das Jahr 1816 war für Newman ein ereignisreiches Jahr: der wirtschaftliche Zusammenbruch der väterlichen Bank, eine Krankheit, die in den autobiographischen Schriften nur angedeutet wird, die an seiner Schule in Ealing verbrachten Sommerferien, der in dieser Zeit durch seinen Lehrer Mayers ausgeübte evangelikale Einfluss, den er als „Bekehrung zu Gott“ erlebt und beschrieben hat, und damit verbunden, die Aufnahme dogmatischer Eindrücke, „die durch Gottes Güte niemals ausgelöscht und getrübt wurden“ (A 22). Im Dezember des Jahres 1816, brachte ihn sein Vater nach Oxford, um ihn im Trinity-College immatrikulieren zu lassen. Ein Jahr später bewarb er sich dort um ein Stipendium. In seinem Tagebuch betete er: „Gott, lass nicht zu, dass ich durch diese Erwartung (den erwarteten Erfolg dieser Bewerbung H.P.S.) von Dir getrennt werde. Gewähre, meinen Geist so in Zucht zu halten, dass ich nicht enttäuscht bin, wenn es schlecht ausgeht; sondern deinen Namen lobe und preise, weil du besser weißt, was für mich gut ist“ (SB 204). Damit wird ein Konflikt angesprochen, der für die folgenden Jahre kennzeichnend blieb: der Konflikt zwischen Eigenwille, Eigensinn, Ehrgeiz, zu wenig Selbstverleugnung, zu viel Freude am Erfolg einerseits und Gottvertrauen, Frieden des Herzens, Geborgenheit im Willen Gottes, Glaube an Gottes Providenz andererseits. Sein persönliches Gegenbild wurde das selbstgerechte Verhalten Sauls (SB 219; DP III, 39–54). Vor dem dann für ihn selber doch nicht zufriedenstellend gelungenen Abschlußexamen schrieb er: „Ich will nicht um den Erfolg beten, sondern um das Gute“ (SB 54f.). Und in einem Tagebucheintrag: „Ich bitte nicht um Erfolg, sondern um den Frieden des Herzens“ (SB 208). Vor der Prüfung bei der Bewerbung um eine Fellowstelle am Oriel-College betete er an seinem Geburtstag: „Du siehst, wie versessen und, ich fürchte, abgöttisch meine Sehnsucht danach ist, im Oriel-College Erfolg zu haben. Nimm all meine Hoffnung weg, warte keinen Augenblick, o mein Gott, wenn ich dabei deinen Geist gewinne“ (SB 237). Aus der Zeit vor seiner Diakon- und Priesterweihe gibt es ähnliche Äußerungen.
Dieser spirituelle und asketische Konflikt war für eine Religiosität insbesondere des vergangenen 19. und 20. Jahrhunderts oder für ein Bildungsverständnis, das sich als Selbstverwirklichung versteht, unschwer nachvollziehbar. Hier stand die Providenz dem Interesse an sich selber wie eine fremde Macht gegenüber. Aber inzwischen ist uns, den Menschen im einundzwanzigsten Jahrhundert, das so völlig fremd vielleicht auch nicht mehr. Das abgeschlossene, souveräne Subjekt, das allein Herr im eigenen Haus ist, wurde unter anderem durch Sigmund Freuds und George Herbert Meads Identitätsverständnis nachhaltig desillusioniert. Das schlägt inzwischen auch im Lebensgefühl – manchmal vielleicht schon zu stark – durch. Jeder von uns trägt – das wissen wir – auch Fremdbestimmendes in sich, mit dem er sich ständig auseinander zu setzen hat. In die Identität gehört neben der Selbstbestimmung auch das Fremdbestimmende.6 Wer einer sein kann und sein will, muss er erst in konkreten Situationen herausbekommen. Insofern ist uns Newmans Konflikt Selbstbestimmung versus Providenz so völlig fremd nicht.
Die Zeit der anglikanischen Reformbewegung und ihres Scheiterns
Die akademische Karriere war gut auf den Weg gebracht, als sich schon wieder ihr Ende, aber langsam auch ein neuer vielversprechender Horizont abzeichnete. Die Zeit um das Jahr 1827 war im Leben Newmans so etwas wie eine Achsenzeit. Seine ehrenvolle Bestellung als Examinator an der Universität musste er wieder zurückgeben, weil er einen physischen Zusammenbruch erlitt. Die von Newman und den befreundeten Fellows am Oriel-College beim neuen Vorsteher eingeforderte Studienreform in Gestalt eines reformierten Tutorats wurde effektiv zum Scheitern gebracht. Zeitlich parallel betraf ihn eine schwere wirtschaftliche Belastung und vor allem der Tod seiner jüngsten Schwester Mary. Der theologische Liberalismus, dem er durch seinen Lehrer Whately am Oriel nahe gekommen war, schien all dem nicht gewachsen gewesen zu sein. Dazu kam als positive Herausforderung das intensive Studium der Kirchenväter und die Freundschaft mit Richard Hurrell Froude. Mit Froude eröffnet sich für Newman ein neuer Horizont auf, in dem sich eine kritischere Distanz zu den reformatorischen Kirchen, eine Bewunderung der römischen Kirche, Distanz zum politischen und theologischen Liberalismus und eine asketische, vom Breviergebet bewegte Spiritualität abzeichneten. Dazu kam vor allem, dass Froude eine freundschaftliche Nähe zwischen John Keble und Newman vermittelte. Aus der Perspektive einer akademischen Studienreform entwickelte sich langsam die Einsicht in die Notwendigkeit einer Kirchenreform. 1830 gab Newman in einer Predigt seiner Ahnung Ausdruck, was ihm bevorstehen könnte: „Abraham gehorchte dem Ruf und machte sich auf den Weg, ohne zu wissen, wohin. So werden auch wir, wenn wir der Stimme Gottes folgen, Schritt für Schritt in eine neue Welt geführt, von der wir vorher keine Ahnung gehabt haben. Sein gütiges Walten über uns geschieht so: Er gibt in Weisheit nicht alles auf einmal, sondern nach Maß und Zeit … Wir müssen von vorn beginnen“ (DP VIII, 198f.).
Von dem kranken Hurrell Froude und seinem Vater eingeladen unternahm Newman mit diesen zusammen 1832/33 eine Mittelmeerreise. Als Hurrell und sein Vater nach England zurückkehrten, konnte sich Newman noch nicht von Süditalien und Sizilien trennen. Beim Ausbruch einer Epidemie wurde er lebensgefährlich krank. Da spürte er in einer auch für ihn bedrohlichen Situation, in der „rings um ihn die Leute starben“, eine unerledigte Aufgabe, die in England auf ihn wartete. Oft berichtete er später: „Ich glaubte, Gott habe noch ein Werk für mich zu tun“ (SB 153; LD III, 314). An der Dringlichkeit der sich abzeichnenden Aufgabe erlebte er eine deutliche Berufung. Die Reform seiner Kirche wartete auf ihn. Aus dieser Sicht nimmt sich sein einsamer Ausreißer in Sizilien als Eigenwilligkeit aus, als „Kampf gegen Gott“, als eine Verweigerungshaltung vergleichbar dem Verhalten Sauls (SB 152; CK 314–318).7 In zahlreichen Briefen und Berichten kam Newman auf dieses Schwellenerlebnis zurück.8 Es bezeichnete für ihn einen biographischen Einschnitt und einen kirchenreformerischen Ausgangspunkt, dessen er sich bis ins Alter hinein immer wieder versichern musste. Die Providenz, das innere Motiv seiner Lebensgeschichte, gewann dabei einen neuen Akzent und eine Konkretion über die innerseelische Auseinandersetzung zwischen Eigenwille und Hingabe an den göttlichen Willen hinaus. Providenz heißt nun vor allem Führung in eine unabsehbare Zukunft. Das literarische Zeugnis, das er auf der Heimreise verfasste und mit dem er sich paradoxerweise in die anglikanische Frömmigkeitsgeschichte einschrieb, beginnt:
„Führ liebes Licht, im Ring der Dunkelheit
führ du mich an …
du führ an
den Weg zu schauen, zu wählen war mir Lust
doch nun: führ du mich an.“9
Hochsensibilisiert zuhause angekommen und am folgenden Sonntag von John Kebles Predigt entzündet bekam das Werk, das auf ihn wartete, Umrisse. Eine Lawine der „Tracts for the Times“ rollt los. In einem seiner Vorträge reflektierte er seinen spirituellen Zustand in Hinsicht auf die providentielle Führung und fragte sich: „Wie viel muss man auf Vertrauen hin annehmen, um etwas zu erreichen! Wie wenig kann man verwirklichen, außer mit Anstrengung des Willens; wie viel Freude kommt dadurch, dass man sich fügen kann, zustande!“ (Proph. Off. 400)
Vor allem in den Predigten dieser Zeit suchte er seine Providenzerfahrung für sich und seine Hörer aufzuarbeiten. Eine seiner wunderbaren Predigten zum Thema „Gott führt jeden“ knüpft an Gen 16,13: „Darum rief Hagar, als ihr der Engel in der Wüste erschien, zum Herrn: ‚Du, o Gott, siehst mich‘“ (DP III, 127–141). Newmans Providenzerfahrung war eine Erfahrung Aug in Auge. Davon soll noch die Rede sein. Providenz und Berufung stehen in engem Zusammenhang. Dies meditiert er an 1 Sam 3,10: „Der Herr kam und stand vor ihm und rief: ‚Samuel Samuel!‘ Da antwortete dieser: ‚Rede, Herr, dein Diener hört.‘“ Dementsprechend suchte Newman die Berufungsgeschichten der Evangelien konkret im Leben seiner Hörer zu festzumachen: „Jene, die ein frommes Leben führen, erfahren, wie ihnen dann und wann Wahrheiten mit Macht vor Augen treten, die sie vorher nicht erkannten oder deren Erwägung sie nicht für notwendig erachteten“ (DP VIII, 23–38). Berufung und Providenz sind für Newman nicht weltenthoben und geschichtslos. Gott stößt einen sozusagen mit der Nase auf etwas, was man zuvor in seinem Leben übersehen hat.
Nachdem sich die Anglikanische Kirche in ihrer Gebundenheit an den englischen Staat bewegungsunwillig oder -unfähig gezeigt hat, nachdem auch ein Teil der Oxfordbewegung dem Tract 90 nicht mehr folgen wollte, nachdem für Newman die „Via media“ als nicht gangbar und unter kirchengeschichtlicher Perspektive als falsch einsichtig geworden war und er schließlich die Katholizität und Apostolizität nur noch in der römischen Kirche finden konnte, spitzte sich für Newman die persönliche Situation zu. „Am Schluss habe ich mich feierlich Gott hingegeben, dass er über mich verfüge, wie er will, dass er aus mir mache, was er will, dass er mir auferlege, was er will“ (SB 288f.). Zu den Freunden entstand Distanz. Vielleicht am ungeschütztesten und vertrauensvollsten hatte er bis zuletzt im Briefverkehr mit Keble sein Erschrecken geäußert, sein Erschrecken vor den verborgenen Wegen der Providenz, sein Erschrecken vor der Ungeborgenheit, in die diese Providenz ihn geführt hatte (CK 225, 301, 315, 317; ähnlich an Faber ebd. 253; vgl. sein Gebet um Klärung CK 314–318). Er erklärte sich zu allem bereit, was die Providenz zeigt (AM II, 343).
Die katholische Zeit
Was der Übertritt in eine andere Glaubensgemeinschaft im Zeitalter konfessionalistischer Milieus für einen Konvertiten bedeutete, davon kann man sich vom Standort eines pluralistischen Individualismus aus kaum eine zureichende Vorstellung machen. Für Newman war der Abbruch mancher Freundschaft besonders schmerzhaft. Selbst das Gespräch mit John Keble versiegte. Newman fand sich in einer anderen Welt; er hatte sich an andere Erwartungen, an andere Umgangsformen, an andere Instanzen zu gewöhnen. Auch die kirchlichen Probleme stellten sich in der katholischen Binnensicht anders dar als vorher in der anglikanischen Außensicht. Schmerzhaft war für Newman, dass sich gerade diejenigen, die den gleichen Weg gegangen waren, nun in der katholischen Kirche auf dem ultramontanen Flügel eingeordnet hatten und nun seine Gegner geworden waren.
Newman nahm sich Zeit für eine Neuorientierung. Zwar stellte er fest: „dass man mir noch nicht gerecht geworden ist. Aber ich muss all das ihm überlassen, der weiß, was tun mit mir“ (LD XII, 32).10 Seine Weggefährten suchte er zu überzeugen: „Wir sind gewiss in die Kirche Gottes zu etwas berufen worden und nicht für nichts. Lasst uns abwarten und fröhlich sein und sicher, dass für uns etwas Gutes bestimmt ist und dass wir zu etwas nützlich sein sollen“ (LD XI, 96).11 Um den richtigen Ort zu finden, ging er nach Rom und unterzog sich so demütigenden Prozeduren wie einem theologischen Examen. Nach der Rückkehr zeichneten sich in England indes Aufgaben ab, die ihm durchaus angemessen erschienen. So die Aufgabe, in Irland eine katholische Universität zu gründen. Das kam seinen elementaren Interessen entgegen. Bei den irischen Bischöfen allerdings fand er mit seinen Vorstellungen von einer weltoffenen katholischen Universität wenig Verständnis.12 Die Entwicklung der Universität wurde blockiert, bis Newman erschöpft vom Rektorat zurücktrat. Seine Ernennung zum Bischof wurde in Rom hintertrieben. Obgleich er zum Vorsteher aller Oratorianer in England ernannt war, bildete sich im Londoner Oratorium eine „Fraktion“ und suchte sich, dank römischer Kontakte erfolgreich, unabhängig zu machen. Das Projekt einer englischen Bibelübersetzung wurde Newman anvertraut. Aber die englische Bischofskonferenz ließ es wieder fallen. Den „Rambler“, eine Zeitschrift selbstbewusster katholischer Laien, suchte Newman als Herausgeber im Konflikt mit den Bischöfen zu retten; doch er wurde von einem Bischof an der römischen Kurie der Häresie verdächtigt. In der katholischen Kirche schienen sich alle Möglichkeiten verschlossen zu haben. Hatte Gottes Providenz ihm keine Aufgabe mehr zugedacht? „Ist es nicht merkwürdig“, so wunderten sich selbst seine Gegner, „dass Father Newman in keiner seiner Unternehmungen Erfolg hat?“ (LD XVII, 559) Newmans Herz hing an dem Plan, in Oxford ein Oratorium zu gründen, „dem einzigen Platz, wo ich der katholischen Sache einen Dienst erweisen könnte“ (SB 347). Auch dieser Plan wurde im letzten Moment von Rom aus verhindert. Newman sollte von Oxford ferngehalten werden. Er sei Englands „gefährlichster Mann“13. Die Ungleichzeitigkeit zwischen dem katholischen Milieu und den vorgreifenden Einsichten Newmans, die systemisch entstellten Umgangsformen, die bestellten Interventionen aus Rom, die „Wolke des Verdachts“14 über ihm und persönliche Unzulänglichkeiten ließen es kalt und einsam werden um ihn. Im Tagebuch schrieb er: „Seit ich katholisch bin, habe ich mich stets angestrengt, habe gearbeitet und mich abgemüht, letzten Endes, wie ich glaube, nicht für irgendeinen Menschen auf Erden, sondern für Gott im Himmel, aber doch mit einem lebhaften Wunsch, denen zu gefallen, die mich an die Arbeit setzten. Nächst dem souveränen Urteil Gottes, habe ich, wenn auch in einer anderen Ordnung, ihr Lob gewünscht. Und doch habe ich es nicht nur nicht erlangt, sondern bin auf verschiedene Weise immer nur geringschätzig und unfreundlich behandelt worden. Weil ich mich nicht vorgedrängt habe, weil es mir nicht im Traum eingefallen ist, zu sagen: ‚Seht da, was ich tue und getan habe‘ – weil ich leeres Geschwätz nicht weiter erzählt, den Großen nicht geschmeichelt und mich nicht zu dieser oder jener Partei bekannt habe, bin ich eine Null. Ich habe keinen Freund in Rom, und in England habe ich nur gearbeitet, um missdeutet, verleumdet und verhöhnt zu werden. Ich habe in Irland gearbeitet und immer wieder wurde mir die Tür vor der Nase zugeschlagen. Anscheinend war vieles ein Fehlschlag, und, was ich gut mache, wurde nicht verstanden.“ (SB 326)
Früher war Newman sich gewiss, dass Gott „jeden an eine bestimmte Stelle mit bestimmten Aufgaben gestellt hat“ (BG 42–46). Jetzt sah er sich auf ein „Nichtstuerleben“ abgestellt, ein Leben ohne Aufgabe, ohne erkennbare Berufung (SB 339). Die Providenz schien mit ihm nichts mehr vor zu haben. „Otium cum indignitate“, Müßiggang in Würdelosigkeit nennt er das (SB 343). „Heute morgen beim Aufwachen überfiel mich die Empfindung, nur den Platz zu versperren, so stark, dass ich mich nicht dazu bringen konnte, unter meine Dusche zu gehen. Ich sagte mir, was nützt es denn, seine Kraft zu erhalten oder zu vermehren, wenn nichts dabei herauskommt. Wozu für nichts leben? … Was tue ich eigentlich für irgendein religiöses Ziel?“ (SB 329f.) „Vanitas vanitatum“, völlige Sinnleere (SB 342). Er selber zitiert hier Kohelet. Das Leben lässt keine Providenz mehr erfahrbar werden. Die Rede davon versiegt in diesen Jahren. Er trifft eine merkwürdige Unterscheidung: „Wie war doch mein Leben einsam und grämlich, seit ich katholisch geworden bin. Hier war der Gegensatz – als Protestant empfand ich meine Religion grämlich, aber nicht mein Leben, und nun, als Katholik, ist mein Leben grämlich, aber nicht meine Religion.“ (SB 330) Die schonungslose, desillusionierte Offenheit eines Konvertiten und eines Theologen, der sein Leben unauflöslich an Religion und Kirche gebunden hatte.
Die ungeheure Energie, mit der Newman zu seiner „Apologia pro vita sua“ ausholte, war nicht nur gegen die Polemik Kingsley gerichtet. Er hatte seine Selbstachtung wiederzugewinnen. Es war nach der Wucht des Falls der Rückprall am Tiefpunkt (SB 338). Die Apologie war der „Wendepunkt“. Die wiedergewonnene Gunst der Protestanten und die Zustimmung des katholischen Klerus gab ihm den Mut, aufs Neue nach Aufgaben auszuschauen (SB 338f.), obgleich die maßgeblichen Leute innerhalb der katholischen Kirche weiterhin von seinen Talenten keinen Gebrauch zu machen wussten.15 Der Akzent, den er seiner Rede von der Providenz nun unterlegt, ist allerdings ein anderer geworden: ein anderer als in der Zeit, in der er seine akademische Karriere im Auge hatte, ein anderer als in der Zeit, in der ihn die Kirchenreform auf ungangbare Wege führte. Er sieht nun (1869) schärfer das Paradox, das in der Behauptung von Gottes Providenz für sein Leben liegt. „Die Vorsehung Gottes war mein ganzes Leben hindurch wunderbar über mir. Da ist etwas, was mir heute morgen als ein Widerspruch aufgefallen ist, den ich schon oft in seinen Einzelheiten durchdacht hatte, ohne den Kontrast zu bemerken, in dem diese Einzelheiten zueinander stehen. Ich meine, dass meine Leiden immer von denen kamen, denen ich geholfen hatte, und meine Erfolge von meinen Gegnern.“ (SB 346f.) Und er bemerkt, dass es seine Krankheiten waren, aus denen schließlich Gutes geworden war (SB 348).
In seiner „Zustimmungslehre“ kommt Newman gelegentlich des Illative-sense auf Providenz zu sprechen. Er ist, wenn man von der festgefügten Ordnung der Dinge ausgeht, bestürzt, dass Gottes „Oberaufsicht über die lebendige Welt eine so indirekte, und sein Handeln ein so verborgenes ist“ (Z 278). Und dann: „Was dem Geist so stark und so peinlich auffällt, ist seine Abwesenheit (wenn ich so sagen darf) von seiner eigenen Welt. Es ist ein Schweigen, das redet. Es ist, wie wenn andere von seinem Werk Besitz ergriffen hätten.“ (Ebd.) Mit diesen Worten Newmans ist das Prekäre auch unserer Lage getroffen, wenn wir heute im 21. Jahrhundert das Wort Providenz im Mund führen. Es ist auch unsere Peinlichkeit, die er spürt: „Warum ist es ohne Absurdität möglich, seinen (Gottes H.P.S.) Willen, seine Attribute, seine Existenz zu leugnen?“ (Z 279) Und ebendort: „Er aber ist im Gegenteil in ganz besonderer Weise ‚ein verborgener Gott‘ (Jes 45, 15).“ Die Schöpfung ist in einen so entfernten Selbstand, in eine solche Autonomie entlassen, dass eine Entsprechung von Leben und Religion, von Wirklichkeit und theologischem Begriff kaum mehr sichtbar ist. Im Leben, auch im Leben der Kirche, ist kaum mehr ein Ort auszumachen, wo das noch greift, wovon mit dem Wort Providenz die Rede ist. Diese Entfernung leuchtet herein in seine Erfahrung, die er nun mit der Katholischen Kirche macht. Er musste lernen, für die Rede von der Providenz in ihrer Zerbrechlichkeit und Bezweifelbarkeit auf neue Weise die richtige Sprache zu finden.
Dankbarkeit und Selbstachtung
In Newmans späten Jahren gewinnt sein Glaube an Gottes Providenz nochmals einen anderen Ton. In einem Tagebucheintrag vom 30. Oktober 1867 erinnert er sich an ein Gespräch mit Kardinal Barnebò, dem Präfekten der vatikanischen Propagandakongregation. Mit ihm lag er unter anderem wegen der Gründung des Oratoriums in Oxford im Konflikt. Die Tagebuchnotiz lautet: „Ich habe zu Kardinal Barnebò gesagt: ‚Viderit Deus‘, Gott habe ich meine Sache anheim gestellt … und wie der allmächtige Gott 1864, nach Ablauf von 20 Jahren, in den Augen der Protestanten mein Verhalten gerechtfertigt hat (durch die Apologia H.P.S.), so wird es am Ende auch mit meinem katholischen Lebensweg ergehen, wenn ich nicht mehr da bin, Deus viderit! Diese Worte gebrauchte ich nicht leichthin, wenn sie sich auch anscheinend im Geist Kardinals Barnebòs sehr ungünstig festgesetzt zu haben scheinen – ich denke auch im Traum nicht daran, sie zu widerrufen. … Ich meine, Vertrauen auf Vorgesetzte irgendwelcher Art kann bei mir niemals mehr erblühen“ (SB 340). „Viderit Deus“: Das tönt aus der souveränen Distanz des Glaubens gegenüber jeglicher menschlichen, auch kirchlichen Instanz. „Viderit Deus“: Das entzieht den obrigkeitlichen Anordnungen ihre vorgebliche Sicherheit. Es klingt in seiner Gelassenheit fast drohend. „Viderit Deus“ meldet aber auch der eigenen Meinung gegenüber denselben Vorbehalt an: „… Aber dann denke ich: Was geht mich das an? Gott wird vorsorgen – er weiß, was das Beste ist. Ist er für die Kirche weniger besorgt, weniger imstande, sie zu verteidigen als ich es bin? Warum soll ich mich darüber grämen? Was bin ich denn? Meine Zeit ist vorüber. Ich bin passé. Ich mag zu meiner Zeit etwas geleistet haben. Aber jetzt kann ich nichts mehr tun. Andere sind an der Reihe. … Für mich genügt es jetzt, mich auf den Tod vorzubereiten, denn auf mich wartet jetzt nichts anderes mehr, nichts anderes ist mehr zu tun. Und er, der mein ganzes Leben lang so wunderbar bei mir gewesen ist, wird mich auch jetzt nicht verlassen“ (SB 351). „Viderit Deus“: Es kann Gott überlassen bleiben.
2 Dieses und das folgende Kapitel basieren auf dem Artikel: Die Rede von der Providenz. Newmans Einweisung ins Unverfügbare für ein Leben in der Moderne, in: Roman A. Siebenrock / Wilhelm Tolksdorf (Hg.), Sorgfalt des Denkens, Internationale Cardinal-Newman-Studien XIX. Folge, Peter Lang Frankfurt 2006, 107–126.
3 Newmans Werke werden zitiert nach den Siglen wie bei Günter Biemer, Die Wahrheit wird stärker sein. Das Leben Kardinal Newmans, Internationale Cardinal-Newman-Studien XVII. Folge, Peter Lang Frankfurt 2000, 12–17: A: Apologia pro vita sua, Ausgewählte Werke Newmans I, Grünewald Mainz 1951; Z: Entwurf einer Zustimmungslehre, Ausgewählte Werke VII ebd. 1960; SB: Selbstbiographie nach seinen Tagebüchern, Schwabenverlag Stuttgart 1959; AM I–II: Anne Morley (Ed.), Letters and Correspondence of J.H. Newman during his Life in the English church, London 1891; LD: Letters and Diaries of J.H. Newman, London 1961; DP I–XII: Deutsche Predigtausgabe I–XI, Schwabenverlag Stuttgart 1948–1962; CK: Correspondence of J. H. Cardinal Newman with John Keble and others, Birmingham Oratory 1917; Proph Off: Lectures on the prophetical Office of the church, London-Oxford 1838; BG: Betrachtungen und Gebete, Kösel München 1952; Mir: Two Essays on Biblical and Ecclesiastical Miracles, London 1870; PhNb: The Philosphical Notebooks of J.H. Newman, Birmingham Oratory 1970; U: Vom Wesen der Universität, Ausgewählte Werke V, Grünewald Mainz1960; ECH I–II: Essays Critical and Historical, London 1871.
4 Vgl. dazu den Begriff „neodurkheimisch“ in: Charles Taylor, Ein säkulares Zeitalter, Suhrkamp Frankfurt a. M. 2009, 458f.
5 Dass die spätere, sogenannte „Frühbekehrung“ zum Evangelikalismus von 1816, also mit fünfzehn Jahren keinen allzu großen Bruch bedeutet hat, ist einer Tagebuchnotiz zu entnehmen: Es habe sich eher um eine Rückkehr zu früheren Prinzipien gehandelt (SB 223).
6 Vgl. Bernhard Waldenfels, Der Stachel des Fremden, Frankfurt a. M. 1990, insbes. 57–79.
7 Günter Biemer, Die Wahrheit wird stärker sein, Internationale Cardinal-Newman-Studien XVII. Folge, Frankfurt a. M. 2000, 97f.
8 G. Biemer, Die Bedeutsamkeit von Newmans Sizilien-Erfahrung für die Selbstinterpretation der individuellen Heilsgeschichte seines Lebens, in: Rosario La Delfa e Alessandro Magno a cura, Luce Nella Solitudine. Viaggio e crisi di Newman in Sizilia 1833, Palermo 1989, 35–49.
9 G. Biemer, Die Wahrheit wird stärker sein [Fn. 6], 103.
10 Zitiert nach der Übersetzung in G. Biemer, Wahrheit [Fn. 6], 233.
11 Ebd. 221.
12 Ebd. 288.
13 Ebd. 368.
14 Ebd. 324.
15 Biemer, Sizilien [Fn. 7], 44.