Kitabı oku: «Letzte Erfahrungen», sayfa 3
2. Die Rede von der Providenz und im Kontext unserer Zeit
Naturgesetze und die Providenz
Die Frage, ob das, was ein Leben im 19. Jahrhundert umgetrieben hat, im 21. Jahrhundert noch jemanden tangiert, ist bis jetzt offen geblieben. Sie soll nun explizit gestellt werden: Hat die Rede von der Providenz heute irgendeine Chance, verstanden zu werden? In welchem Kontext hat sie eine solche Chance? Und was bringt sie in diesen Kontext ein? Ich nehme an, dass die wesentlichen Fragen, die damals Newman umgetrieben haben, uns immer noch nicht losgelassen haben, sondern sich auch heute noch stellen.
Der Widerspruch zwischen den ausnahmslos gültigen, unverletzlichen Naturgesetzen und den biblischen und kirchlichen Wundern war eines der Argumente, mit denen die neuzeitliche Religionskritik der französischen und englischen Aufklärung und dann in der deutschen Aufklärung mit Reimarus angetreten ist. Dahinter stand von den Erfahrungen der Naturkatastrophen herkommend das Interesse, die Natur beherrschbar zu machen. Newman sieht wohl, dass für die Naturwissenschaften mit der Möglichkeit von Gottes Interventionen, mit seinen Wundern, die Zuverlässigkeit der Naturgesetze aufgehoben zu sein scheint (Mir 4). Ist also die ausnahmslose Geltung der Naturgesetze mit der Providenz zu vereinbaren? Drei typisch analytische Argumente trägt Newman vor. Erstens: Die Ausnahmslosigkeit der Naturgesetze ist eine apriorische Präsumption, die erst noch einer empirischen Verifizierung bedarf. Zweitens: Eine solche Präsumption unterwirft die Natur der Herrschaft menschlicher Vernunft. Deshalb muss einem solchen Gebrauch der Vernunft der Totalitätsanspruch entzogen werden (PhNb 139–149). Drittens: Was in der Sicht der naturwissenschaftlichen Systeme unverträglich erscheint, braucht in einer anderen Sicht, etwa in der Sicht des alltäglichen praktischen Lebens oder der göttlichen Gnadenordnung nicht so unverträglich erscheinen (Mir 4). Das heißt: Die Naturgesetze und die Interventionen Gottes, also seine Vorsehung, brauchen sich so gesehen nicht auszuschließen (Z 82). Sie gehören verschiedenen Aspekten an. Von aktueller Bedeutung scheint mir besonders Newmans Kritik des Totalitätsanspruchs der verfügenden, also „technischen“ oder „instrumentellen“ Vernunft zu sein. Auf sie darf die Wirklichkeit nicht reduziert werden.
Selbstbestimmung und Providenz
Im 18. und 19. Jahrhundert tritt tendenziell die moralische Autonomie mit dem Glauben an die göttliche Providenz in eine zunehmend verschärfte Konkurrenz.16 Die Wirklichkeit im Ganzen hat sich nun vor dem Tribunal der autonomen Vernunft zu rechtfertigen. Das rational nicht durchdringbare Schicksal und in einem damit auch Gottes Providenz können vor dem Richterstuhl des rationalen Bewusstseins nicht mehr bestehen. Anders als noch bei Leibniz lässt sich angesichts des Leidens seiner Kreatur die Gerechtigkeit Gottes und dann seine Existenz überhaupt nicht mehr vor dem Richterstuhl der menschlichen Vernunft rechtfertigen. Sie hat keine Glaubwürdigkeit. Das hat zur Folge, dass Gottes Vorsehung mit ihrer Rolle als Klägerin, als Anwältin und als Richterin des Menschen im Gange der Weltgeschichte nun auch die Rolle der Verantwortlichen und Angeklagten verliert. Gott wird von der Verantwortung für die Naturund Geschichtskatastrophen entlastet, entlastet jedoch zu Lasten des menschlichen Omnipotenzanspruchs. Um es mit Stendhal (Marie-Henri Beyle) zu sagen: Gott wird dadurch entlastet, dass es ihn nicht gibt. So fällt die Verantwortung nun allein auf den Menschen.17 Freiheit und Vernunft beanspruchen, den Raum des logisch Möglichen total ausfüllen zu können. Feuerbach fordert polemisch in seinem Brief an Hegel: „Es wird und muss endlich zu dieser Alleinherrschaft der Vernunft kommen.“18 Ein Raum jenseits dieser Alleinverantwortung des Menschen scheint der Providenz nicht mehr zugestanden werden zu können.
In Newmans Denken spielt dieser philosophische Disput direkt keine Rolle. Aber die verschärfte Konkurrenz zwischen dem Totalitätsanspruch des freien Willens und der Providenz Gottes spiegelt sich praxisnah erstens in den Auseinandersetzungen von Newmans eigener spirituellen Lebensgeschichte, zweitens in den kirchlichen Auseinandersetzungen seiner katholischen Zeit. Die Konflikte seiner spirituellen Lebensgeschichte, insbesondere seiner akademischen Zeit, stehen typisch für die Christen in der Neuzeit: Der Wille zum Erfolg, zur Karriere, das Verlangen, die eigene Begabung zu verwirklichen, die Sorge um die akademische Laufbahn bringt einen ständigen Konflikt mit dem Gottvertrauen, dem Glauben an die Providenz, dem Geborgenheitsgefühl in Gottes Willen, dem Frieden des Herzens. In den kirchenpolitischen Konflikten seiner katholischen Zeit hat Newman, wie vorher auch, immer gegen den Liberalismus gekämpft und zugleich eine eindeutig liberale Haltung gezeigt in seinem Eintreten für die freie Meinungsäußerung, für die Forschungsfreiheit und in der Inanspruchnahme freimütiger Kritik; in all dem Kants Vorstellung von der Aufklärung entsprechend.19 In seiner katholischen Zeit aber kam eine besondere Erfahrung hinzu: ein Leben – so schien es ihm – ohne Berufung. Das Schweigen, das uneinholbare Voraus und Gegenüber einer anderen, unverfügbaren, den Menschen berufenden, souveränen Freiheit. Sie bleibt ihm entzogen, unhintergehbar und unverfügbar. Newmans Gebet „Kindly light“ und darin die Bitte um Führung im undurchschaubaren Dunkel ist noch einmal angeschärft aktuell: „der fernen Bilder Zug begehr ich nicht zu sehen: ein Schritt ist mir genug.“ Gerade Gotthold Ephraim Lessing steht ihm in dieser Erfahrung sehr nahe: „Geh deinen unmerklichen Schritt, ewige Vorsehung! Nur lass mich dieser Unmerklichkeit wegen an dir nicht verzweifeln. – Lass mich an dir nicht verzweifeln, wenn selbst deine Schritte mir scheinen zurückzugehen! – Es ist nicht wahr, dass die kürzeste Linie immer die gerade ist. Du hast auf deinen ewigen Wegen so viel mitzunehmen! So viel Schritte zu tun! … “20
Funktionale Wirklichkeit und Providenzerfahrung
Edmund Husserl hat gesehen, dass in der Gegenwart unser von Sinn geleitetes Handeln systemisch gestört wird.21 Es folgt auf weite Strecken nicht mehr einem von uns intendierten Sinn. Die Wissenschaften zum Beispiel sind solche von unserem Handlungssinn weitgehend abgelösten Systeme. Damit solche Systeme nicht total werden, suchte Husserl ihnen einen sie begrenzenden Ort zu geben: die nicht noch einmal hintergehbare Lebenswelt. Die Lebenswelt ist Horizont und Boden jedes Handelns. Nicht die Lebenswelt darf auf das System Wissenschaft zurückgeführt werden, sondern die Wissenschaft hat ihren Ort innerhalb der Lebenswelt, sie durchaus auch weiterführend und korrigierend. Jürgen Habermas ist in seiner Theorie kommunikativen Handelns diesem gegenwartskritischen Grundriss Husserls gefolgt.22 Weil die kommunikative, von sinnorientiertem Handeln bestimmte Lebenswelt äußerst komplex geworden ist, bedarf sie aber doch auch rationaler Reduktion und entlastender Handhabung durch funktionale Systeme wie Markt, Verwaltung, Information, Verkehr und Technik. Diese funktionalen Systeme tendieren allerdings dazu, sich gegenüber der Lebenswelt zu verselbständigen, ihre Orientierungaufgaben zu übernehmen und dann ihr gegenüber Totalitätsansprüche zu stellen. Der Markt kolonisiert den Sport, die Freizeit, die Kunst, die Unterhaltung, die Landwirtschaft, die Politik. Die funktionalen Systeme werden global, verzerren die Lebenswelt und mit ihr die Kultur. Die Lebenswelt droht hintergangen zu werden, nicht durch die göttliche Providenz, sondern durch systemische Funktionen. Die „unsichtbare Hand" Adam Smiths, die den Markt und mittels seiner unsere Lebenswelt lenkt, ist nicht die Hand Gottes.23 Die funktionalen Systeme sind die lenkenden Mächte und keine Orte für die Erfahrung göttlicher Providenz. Sie stehen selber in keinem unbegreiflichen Horizont. Sie sind nur anonyme Lenkungsmechanismen: unsichtbare Hände. Der Gedanke des Mysteriums, des Unverfügbaren kommt in ihnen höchstens als dysfunktionale Störung, als noch ungelöstes Rätsel vor.
Bei Newman hat dieses von Habermas in seiner Theorie kommunikativen Handelns ausgearbeitete Verhältnis von Lebenswelt und funktionalen Systemen ein Vorspiel. In seinen Vorträgen „Zum Wesen der Universität“ geht es ihm in erster Linie um „freie Bildung“. Die berufliche Qualifikation ist noch nicht freie Bildung. So wichtig eine solche zweckbestimmte Ausbildung sein mag, freie Bildung hat keinen Zweck außer ihrer selbst. Sie ist Übung des Geistes, der Vernunft und der Reflexion. Das Paradigma des freien Gebildeten ist der Gentleman. Um Newmans Gedanken in die Analyse der Lebenswelt einzutragen: Die freie Bildung und der Charakter des Gentleman sind „transfunktional“24. Sie negieren die funktionalen Systeme nicht, aber sie unterbrechen diese und führen sie der Frage nach einem Lebenssinn zu. In einer transfunktionalen Lebenswelt ist der Zeitgenosse auch überhaupt erst fähig, die unverfügbare und in keinen funktionalen Zusammenhang passende Providenz wahrzunehmen. Andernfalls muss er sich den unsichtbaren Händen funktionierender Systeme überlassen. Der Markt ist nur eines davon. Die Rede von der Providenz dagegen reklamiert und behauptet in der gemeinsamen Wirklichkeit für jeden einen Ort, seine Freiheit, seine unvertauschbare Lebensaufgabe und damit seine Verantwortung. Dies gilt für den Behinderten, den Sterbenden, für das noch ungeborene Leben, für den jungen Menschen, der keine Stelle findet oder im Examen versagt, der in der menschlichen Gesellschaft überflüssig zu sein scheint und sich in die Ausweglosigkeit der Drogen flüchtet. Die Rede von der Providenz behauptet diesen Ort gegen die funktionalen Systeme.
Funktionale Religion und Providenz
Nicht nur Markt, Verwaltung, Information und Verkehr, auch die Religion wird in unserer Lebenswelt als ein funktionales System gebraucht. Die Soziologie hat seit Durkheim zahlreiche Begriffe von Religion entwickelt und sie nach Funktionen unterschieden. Solche Funktionen von Religion sind zum Beispiel Kontingenzbewältigung, gesellschaftliche Integration, Legitimation von Moral und Politik, Beschaffung von Grundwerten, Gewährleistung von Lebenssinn. So gesehen ist Religion funktional notwendig, um das seelische und gesellschaftliche Gleichgewicht aufrecht zu erhalten. Sie soll auf funktionale Weise den Zusammenhang der Lebenswelt stärken. Religion in dieser funktionalen Bedeutung verschließt Individuum und Gesellschaft ins Schicksal und macht sie einer „unsichtbaren Hand“ fügsam.
Newmans Beschreibung sowohl des religiösen Liberalismus, wie des Evangelikalismus trifft genau dieses Modell funktionaler Religion. Das Verhältnis von Staat und Kirche in der englischen Staatskirche, wie er es zum Beispiel bei der Einsparung irischer Bischofssitze durch die englische Regierung kritisiert hat, ist eine solche funktionale Einheit von Staat und Religion.25 Die englische Religion kritisiert er als Gefühlsreligion, weil sie religiöse Bedürfnisse befriedigt, ohne sich an die ihr eigene Grundlage das Dogmas zu binden (Z 272; U 34). Diese Art von Religion ist Traum und Blendwerk (A 71). Da ist „nichts Himmlisches im Antlitz der Gesellschaft“ (DP IV, 297). Sie ist geheimnislos. Sie stärkt einseitig den funktionalen Zusammenhang der Gesellschaft, ohne transfunktionale und kritische Energien freizusetzen, die für die jüdische und christliche Religion so bezeichnend sind,26 und wie sie zum Beispiel in der Unterbrechung des Sabbat einen elementaren, in der Lebenswelt und ihrer Praxis niedergelegten Ausdruck finden.27 Der funktionale Gebrauch von Religion sei es für hygienische, gesundheitliche oder soziale Zwecke sakralisiert nur das biographisch und weltgeschichtlich verhängnisvolle Fatum,28 statt es zu unterbrechen.
Providenz und Alterität
Innerhalb der funktionalen Religion kann auch so etwas wie „Vorsehung“ in Gebrauch genommen werden. Es ist dann die Vorhersehbarkeit, die Kalkulierbarkeit des Verhaltens oder das gesellschaftlich zuverlässige Funktionieren gemeint. Jede Wahlprognose, jede Erhebung durchschnittlichen, auch faktischen Verhaltens will Verhalten beeinflussen. Sie erfasst das Individuum in der allgemein vorherrschenden Durchschnittlichkeit. Diese Art von „Vorsehung“ kann politischen Interessen durchaus dienlich sein. In dieser Bedeutung ist „Providenz“ ein Mittel der Manipulation und kann versuchsweise auf alle und jeden angewendet und von jederman in Gebrauch genommen werden. Gibt es keinen Widerhalt, der Providenz dieser Beliebigkeit des Beherrschens entziehen könnte? Oder steckt in der Semantik des Wortes Providenz doch etwas Nichtfunktionalisierbares, etwas Unverfügbares?
Newman hängt eine seiner Predigten über das Thema „Gott führt jeden“ – ich habe schon darauf hingewiesen – an dem Bibeltext Gen 16, 13 auf: „Als Hagar vor ihrer Herrin in die Wüste floh, hatte sie die geheimnisvolle Erscheinung eines Engels, der sie zurückkehren hieß. … Sie erkannte die Gegenwart ihres Schöpfers und Herrn. … Darum rief sie zu ihm, der sich ihr kundgetan hatte: ‚Du, o Gott, siehst mich.‘ … Auf einmal überkam sie wie etwas neues die Wahrheit, dass inmitten ihrer Prüfung und ihres Jammers das Auge Gottes auf ihr ruhte“ (DP III, 127–141). Dieser Text will sensibel gehört werden. Wir leben so oberflächlich dahin, „weil wir vergessen und nicht wirklich erfasst haben, dass wir in Gottes Gegenwart sind“ (ebd.). „Du, o Gott, siehst mich.“ Newman lässt für einen Augenblick die endlosen religiösen Sinnproduktionen, Noesis und Noema, die intentionalen Projekte hinter sich.29 Es durchzuckt ihn. Er weiß den Blick eines Anderen auf sich gerichtet. „Plötzlich und überraschend“ (DP III, 82). Der Blick einer anderen, mich wählenden Freiheit: Das ist die „härteste“ Wirklichkeit. Die Erwählung ist die entscheidende Selbst- und Fremdbestimmung in einem. Sie erheischt eine unbedingte Realisierung.30 Andere, fremde, unverfügbare Freiheit sucht und will meine Freiheit. Sie bestimmt mich. Diese Art von Bestimmung lässt sich auch so sehen: Sie setzt mich überhaupt erst frei, spricht mich an und wirft Fragen auf, wo ich in meiner Befangenheit keine Fragen hatte. Das Sehen und Ersehen eines Blickes, der mich ins Auge fasst, zunächst der Blick des begegnenden anderen Menschen, dessen Blick ich mich nicht entziehen kann, stellt mir Weichen. Aber in diesem Blick bin ich noch von einer anderen radikaleren Wahl getroffen: vom abgründigen Blick Gottes. Das ist der Kern von Newmans Providenzerfahrung. Sie ist ein kommunikatives Ereignis, in dem eine Freiheit neben sich eine andere Freiheit will, ihr Raum und Zeit bei sich gibt, sie erwählt. So geschieht und erfährt man Providenz. Deshalb rückt Newman die Providenzerfahrung so nahe an die Berufungserfahrung: „Was ich also sagen will, ist dieses: Jene, die ein frommes Leben führen, erfahren, wie ihnen dann und wann Wahrheiten mit Macht vor Augen treten, die sie vorher nicht erkannten oder deren Erwägung sie nicht für notwendig erachteten; Wahrheiten, die Pflichten einschließen, die wirklich Gebote sind und Gehorsam verlangen“ (DP VIII, 30). Das ist der im Voraus erwählende, stets führende, aber auch bergende Blick der göttlichen Providenz.
Virtuelle Vorsehung und befreiende Providenz
Vor kurzem habe ich eine Art Parabel gesehen, was göttliche Providenz nicht ist, wohl aber wie sie als systemische Lenkung annähernd bei uns passiert: den Film „Die Truman Show“. Der Film erzählt das Unternehmen eines Regisseurs, in dem das ganze Leben eines Herrn Truman von seiner Geburt an gefilmt und es nicht nur life, sondern auch synchron zu seinem Leben dem Fernsehpublikum vorgeführt wird. Der Regisseur inszeniert die Totalität dieses Lebens. Alle, die mit dem Protagonisten Truman zu tun haben, sind Schauspieler, sind Rollenträger. Architektur und Landschaft sind Kulisse. Der Regisseur versteht sich selber als „Schöpfer“ dieser totalen virtuellen Welt. Der einzig „echte“ in dieser Schau ist Truman. Er weiß von der bloßen Virtualität dessen, was er für Wirklichkeit hält, nichts. Er hält als einziger alles für echt. Von ca. 5000 Kameras wird er überall und immer gesehen und kontrolliert. Die Filmaufnahmen von ihm sind meist durch das Objektiv der Kamera oder auf dem Monitor des Fernsehpublikums zu sehen. Trumans Entscheidungen sind in jedem Fall vorhergesehen. Unvorhergesehenes wird abgeblockt. Selbst seine Ehefrau wird von einer Schauspielerin dargestellt, wenngleich diese manchmal von der Kälte dieser Aufgabe überfordert ist. Aus ihrer Rolle als Schauspielerin aber fällt eine andere Frau. Da begegnet Truman ein Blick, der mit seiner empfindsamen, verletzbaren Unbedingtheit von jenseits dieser Virtualität herkommt. Diese Rollenträgerin durchbricht ihre Rolle, gerät deshalb in Konflikt mit dem Regisseur, kündigt ihre Rolle auf und findet damit wieder selber auf den Boden der Wirklichkeit. Im kritischen Moment sucht sie Truman ihre eigene und seine Lage verständlich zu machen: „Alles ist gefälscht“; die Filmemacher „wissen alles“. Truman allerdings versteht zunächst nicht. Aber dann fängt er an, das Ganze zu durchschauen. Das Kamerateam ist nicht mehr sicher, ob nicht vielmehr Truman in das Objektiv der Kamera sieht und mit dem Kamerateam spielt. Es gelingt ihm nun, durch ein Loch in der Decke den Augen der omnipräsenten Kameras zu entkommen. Die Kameras suchen ihn, bis sie ihn auf dem Meer in einem Segelboot entdecken auf dem Weg nach „Fidschi“. Der Regisseur versucht ihn mit allen Mitteln zurückzubringen und wieder in seine „Vorsehung“ zu integrieren. Truman fügt sich nicht mehr. Da stößt er mitten auf dem Meer und seinem endlosen Horizont mit einem Krach auf die Kulisse, die diesen Horizont bildet. Es die Grenze der manipulierten Illusion. Der Schöpfer der virtuellen Welt ersucht Truman, doch weiter in der wohlbehüteten Welt seiner Bilder zu bleiben. Truman aber beendet den Film. Er verlässt die für ihn vorgesehene Bilderwelt.
Ich halte die Truman Show für die Parabel eines von den Medien total „vorgesehenen“ Lebens. Die Truman Show zeigt den virtuellen „Lebensstil“ des Fernsehens. Dieser Lebensstil zerbricht an der Bestimmung des Menschen zur Wirklichkeit, zur Wahrheit, zur Freiheit. Newman hat dazu einen Widerspruch formuliert, der mit dem Bild des platonischen Höhlengleichnisses die virtuelle Totalität unserer Gegenwart enthüllt. Die Providenz dagegen führt sein Leben „ex umbris et imaginibus in veritatem“, aus Schatten und Bildern zur Wahrheit.31
16 Ludwig Weimer, Wodurch kam das Sprechen von Vorsehung und Handeln Gottes in die Krise? Analyse und Deutung des Problemstandes seit der Aufklärung, in: Theodor Schneider und Lothar Ullrich (Hg.), Bennoverlag Leipzig 1988, 17–71.
17 Odo Marquard, Der angeklagte und der entlastete Mensch in der Philosophie des 18. Jahrhunderts, in: ders., Abschied vom Prinzipiellen, Reclam Stuttgart 1984, 39–66.
18 Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Werkausgabe Suhrkamp Frankfurt a. M. I, 355.
19 Immanuel Kant, Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?, in: Bd. VI der Kritischen Ausgabe von Wilhelm Weischedel.
20 Gotthold Ephraim Lessing, Erziehung des Menschengeschlechts. Reclam Stuttgart, § 91 und 92.
21 Edmund Husserl, Die Krisis der europäischen Wissenschaften und die transzendentale Phänomenologie, Hg. v. Elisabeth Ströker, Meiner Hamburg 1996.
22 Jürgen Habermas, Theorie kommunikativen Handelns, Frankfurt a. M. 1981, hier insbes. Band II.
23 O’Donovan, tempi – Bildung im Zeitalter der Beschleunigung, Bildungskongress der Kirchen am 16. November 2000 in Berlin, hrg. Zentralstelle Bildung der Deutschen Bischofskonferenz.
24 O’Donovan [Fn. 22] ebd.
25 G. Biemer, Wahrheit [Fn. 6], 104.
26 F.X. Kaufmann, Wie überlebt das Christentum? Herder Freiburg i. Br. 2000, 62.
27 O’Donovan [Fn. 22], ebd.
28 Hier ist an die Religion der Deutschen Christen zu erinnern.
29 Vgl. Emmanuel Levinas, Totalität und Unendlichkeit, Freiburg i, Brg.1987, 183.
30 Bernhard Casper, Der Zugang zu Religion im Denken von Emmanuel Levinas, in: Franz Joseph Klehr, Den Andern denken. Philosophische Fachgespräch mit Emmanuel Levinas, Hohenheimer Protokolle Bd. 31, 37–50, Akademie Stuttgart-Hohenheim 1988.
31 Inschrift auf einem Gedenkstein im Oratorium zu Birmingham.