Kitabı oku: «Europäisches Marktöffnungs- und Wettbewerbsrecht», sayfa 35

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1. Teil Grundlagen › 3. Kapitel Das System unverfälschten Wettbewerbs › § 11 Wettbewerbsschutz gegenüber Drittstaaten

§ 11 Wettbewerbsschutz gegenüber Drittstaaten

Inhaltsverzeichnis

I. Autonomes EU-Recht (extraterritoriale Anwendung)

II. Völkerrechtliche Verträge

I. Autonomes EU-Recht (extraterritoriale Anwendung)

Literatur:

Meessen Völkerrechtliche Grundsätze des internationalen Kartellrechts (1975); ders. Kollisionsrecht der Zusammenschlusskontrolle (1984); Basedow Wirtschaftskollisionsrecht, RabelsZ 52 (1988) 8; Mestmäcker Staatliche Souveränität und offene Märkte, Konflikte bei der extraterritorialen Anwendung von Wirtschaftsrecht, RabelsZ 52 (1988) 205; Veelken Interessenabwägung im Wirtschaftskollisionsrecht (1988); Schnyder Wirtschaftskollisionsrecht (1990); Meng Extraterritoriale Jurisdiktion im öffentlichen Wirtschaftsrecht (1994); Schwarze Die Jurisdiktionsabgrenzung im Völkerrecht – Neuere Entwicklungen im internationalen Wirtschaftsrecht (1994); Basedow Weltkartellrecht (1998); Schwarze Die extraterritoriale Anwendung des EG-Wettbewerbsrechts – Vom Durchführungsprinzip zum Prinzip der qualifizierten Auswirkung, WuW 2001, 1190; Immenga Internationales Wettbewerbsrecht: Unilateralismus, Bilateralismus, Multilateralismus (2004); Baetge Globalisierung des Wettbewerbsrechts (2009); Rehbinder Internationaler Anwendungsbereich, in: Immenga/Mestmäcker (Hrsg.) Wettbewerbsrecht, Band 1/2 Teile – Kommentar zum Europäischen Kartellrecht (5. Aufl. 2012) IntWbR A., 83; Wagner-von Papp/Wurmnest Internationaler Anwendungsbereich des Wettbewerbsrechts, in: MüKoEuWettbR (2. Aufl. 2015), Einl. I. III, 542 ff.

1. Völkerrechtlicher Ausgangspunkt

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Aus der Öffnung des EU-Binnenmarkts für den Marktzutritt von Unternehmen aus Drittstaaten ergibt sich das Problem des Schutzes des „Systems unverfälschten Wettbewerbs“ vor Beschränkungen, die außerhalb der EU veranlasst worden sind. Allerdings geht es insoweit nur um die Anwendung der unternehmensbezogenen Wettbewerbsregeln (Kartellverbot, Verbot des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung, Verbot wettbewerbswidriger Unternehmenszusammenschlüsse).[1] Adressaten der staatsbezogenen Wettbewerbsbestimmungen des Unionsrechts (Beihilfenverbot, Verbot von Diskriminierung im Rahmen des öffentlichen Beschaffungswesens, Schranken für hoheitliche Einwirkungen auf das Unternehmensverhalten) sind von vornherein nur die Mitgliedstaaten der EU. Eine einseitige Erstreckung auf Drittstaaten wäre der EU ohnehin unmöglich, sie bedürfte einer völkervertraglichen Grundlage (vgl. insoweit unten Rn. 478 ff.).

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Die grenzüberschreitende wirtschaftliche Betätigung von Unternehmen berührt zwangsläufig die Hoheitsgebiete, Zuständigkeitsbereiche (Jurisdiktionen) und Rechtsordnungen mehrerer Staaten. Im Hinblick auf den Wettbewerbsschutz liegt es zwar grundsätzlich in der Zuständigkeit jedes einzelnen Staates, die Voraussetzungen für die (extraterritoriale) Anwendung der Wettbewerbsregeln auf außerhalb des Hoheitsgebiets veranlasste Wettbewerbsbeschränkungen zu bestimmen. Es gibt aber völkerrechtliche Grenzen. Entsprechendes gilt auch für die EU als einer gem. Art. 47 EUV mit Rechtsfähigkeit – wenn auch nicht mit unbeschränkten Kompetenzen wie ein Staat – ausgestatteten supranationalen Organisation, die ebenfalls über ein Hoheitsgebiet, einen Zuständigkeitsbereich (Jurisdiktion) sowie eine eigene Rechtsordnung verfügt und die auch als Völkerrechtssubjekt anerkannt ist. Auch für die EU sind daher im Verhältnis zu Drittstaaten die allgemeinen völkerrechtlichen Normen verbindlich, welche die Abgrenzung der Jurisdiktionen im Hinblick auf die Erfassung internationaler Sachverhalte durch Gesetzgebung, (behördliche oder gerichtliche) Rechtsanwendung bzw. hoheitliche Rechtsdurchsetzung regeln.[2]

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Zunächst stellt die Frage, ob Völkerrechtssubjekte im Ausganspunkt frei sind, den internationalen Anwendungsbereich ihrer Wettbewerbsregeln zu bestimmen, vorbehaltlich bestimmter völkerrechtlicher Grenzen, oder ob ihre Regelungs-, Anwendungs- und Durchsetzungsbefugnis einer entsprechenden positiven völkerrechtlichen Kompetenzgrundlage bedarf, die von vornherein auch ihre Grenzen absteckt. Im Anschluss an das grundlegende Urteil des Ständigen Internationalen Gerichtshofs im Fall Lotus[3] ist bis heute umstritten, ob von einer Vermutung der völkerrechtlichen Freiheit oder Bindung der Staaten im Hinblick auf die Ausübung ihrer Hoheitsgewalt auszugehen ist. Während das genannte Urteil den Grundsatz formuliert hat, dass den Staaten alles erlaubt ist, wofür das Völkerrecht keine Verbotsnorm enthält, verlangt die gegenteilige Auffassung für jegliche staatliche Hoheitsausübung eine Erlaubnisnorm.[4] Die Differenzen zwischen den beiden Ansätzen sind allerdings im Hinblick auf die Bestimmung des völkerrechtlich zulässigen Anwendungsbereichs der unionsrechtlichen Wettbewerbsregeln kaum relevant.

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Die völkerrechtlichen Grundlagen sowohl der Zuweisung als auch der Begrenzung der Regelungsbefugnisse von Hoheitsträgern sind zum einen das Territorialitätsprinzip, zum anderen das Personalitätsprinzip. Im Sinne einer Erlaubnisnorm gestattet das Territorialitätsprinzip einem Staat, seine legislativen, judikativen und exekutiven Befugnisse jedenfalls in Bezug auf Personen, Handlungen und Gegenstände innerhalb seines Hoheitsgebiets auszuüben. Andererseits untersagt es im Sinne einer Verbotsnorm jedem Staat, Hoheitsakte auf dem Territorium eines anderen Staates vorzunehmen,[5] vorbehaltlich einer (beispielsweise völkervertraglichen) Gestattung. Demgegenüber verleiht das Personalitätsprinzip jedem Staat die entsprechende Zuständigkeit gegenüber seinen eigenen Staatsangehörigen. Allerdings findet es hinsichtlich der Rechtsdurchsetzung seine Grenze wiederum am Verbot, Hoheitsakte auf fremdem Territorium vorzunehmen. Demgemäß beschränkt sich jedenfalls der rechtliche Geltungsbereich der EU Wettbewerbsregeln auf das Territorium der EU. Sie kann ihr Recht nur innerhalb ihres eigenen Hoheitsgebietes durchsetzen.

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Dasselbe gilt jedoch anerkanntermaßen nicht ohne weiteres für den räumlichen Anwendungsbereich der Wettbewerbsregeln. Insbesondere ist es der EU nicht verwehrt, auch durch Verhaltensweisen außerhalb der EU veranlasste Wettbewerbsbeschränkungen ihren Wettbewerbsregeln zu unterwerfen. Die gesetzliche Regelung des Verhaltens von Personen im Ausland verletzt als solche noch nicht das Territorialitätsprinzip, weil darin noch nicht die Vornahme eines Hoheitsaktes auf fremdem Staatsgebiet zu sehen ist. Dazu könnte es erst im Rahmen der verfahrensmäßigen Durchsetzung der Wettbewerbsregeln gegen die betroffenen Unternehmen im Wege von Ermittlungs- oder Vollstreckungsakten im Ausland kommen. Grundsätzlich bewegt sich die EU daher im Rahmen des völkerrechtlich Erlaubten, solange sie sich darauf beschränkt, die Wettbewerbsregeln nur innerhalb ihres eigenen Territoriums mittels hoheitlicher Vollstreckungsakte durchzusetzen.

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Dennoch ist auch der internationale Anwendungsbereich der Wettbewerbsregeln an völkerrechtliche Voraussetzungen gebunden. Sie ergeben sich aus dem völkerrechtlichen Erfordernis einer sinnvollen Verknüpfung (genuine link) der von den Wettbewerbsregeln erfassten Sachverhalte mit dem Hoheitsgebiet, dem Zuständigkeitsbereich (der Jurisdiktion) bzw. der Rechtsordnung der EU.[6] Der internationale (extraterritoriale) Anwendungsbereich der EU-Wettbewerbsregeln erschließt sich daher nur aus einer Zusammenschau ihrer Tatbestandsmerkmale, die den Bereich der erfassten Verhaltensweisen von Unternehmen definieren, und der völkerrechtlichen Kriterien, die für eine sinnvolle Verknüpfung eingehalten werden müssen (dazu sogleich im Folgenden unter 2.). Selbst soweit im Ausland veranlasste Wettbewerbsbeschränkungen diese Kriterien erfüllen, ergeben sich aus dem Völkerrecht weitere Einschränkungen im Hinblick auf die hoheitliche Durchsetzung der Wettbewerbsregeln (dazu im Folgenden unter 3.).

2. Extraterritorialer Anwendungsbereich

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Für die Bestimmung des internationalen Anwendungsbereichs von Rechtsnormen zum Schutz des Wettbewerbs sind die allgemeinen kollisionsrechtlichen Prinzipien des Internationalen Privatrechts unangemessen. Sie wären auf die Feststellung der auf einen internationalen Sachverhalt anwendbaren heimischen oder ausländischen Kartellrechtsordnung gerichtet, und zwar anhand von Anknüpfungsmerkmalen, die unabhängig von den konkreten Sachnormen die jeweils engste Beziehung zwischen einem Sachverhalt und der zur Anwendung berufenen Kartellrechtsordnung definieren würde. Dieser für privatrechtliche Normen typische Ansatz beruht auf der Prämisse, dass im Prinzip in- und ausländische privatrechtliche Normen, die den Ausgleich der Interessen von Privatrechtssubjekten zum Gegenstand haben, trotz aller Unterschiedlichkeit im Einzelnen gleichwertig und daher austauschbar sind. Demgemäß kann es für inländische Rechtsanwendungsorgane (insbesondere Behörden und Gerichte) keine rechtliche Verpflichtung geben, ausschließlich das (inländische) Recht des Forums anzuwenden. Demgegenüber geht es im Bereich des Wettbewerbsrechts als Teil des Wirtschaftsrechts um die Regulierung privatrechtlicher Verhältnisse im öffentlichen Interesse am Schutz des Wettbewerbssystems gegen Beschränkungen. Da dieser Wettbewerbsschutz von Rechtsordnung zu Rechtsordnung durchaus sehr unterschiedlich ausgeprägt ist und sich in der Regel ohnedies nur auf den Schutz des jeweils inländischen Wettbewerbs bezieht, sind in- und ausländische Wettbewerbsregeln nicht ohne weiteres gleichwertig und austauschbar. Aus diesem Grunde müssen die inländischen Rechtsanwendungsorgane (Behörden und Gerichte) grundsätzlich stets das eigene Recht anwenden. Ihre Rechtsanwendungszuständigkeit ergibt sich somit aus den wettbewerbsrechtlichen Sachnormen selbst.

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Der internationale Anwendungsbereich des Wettbewerbsrechts muss daher aus der Perspektive der jeweiligen Rechtsordnung bestimmt werden, genauer: aus der Perspektive des Schutzzwecks der jeweiligen Wettbewerbsregeln. Aus ihnen ist insbesondere die jeweils maßgebliche Verknüpfung eines zu beurteilenden unternehmerischen Verhaltens mit der internen Wettbewerbsordnung zu entnehmen. Die Abhängigkeit der Anknüpfung des anwendbaren Rechts vom Regelungszweck der materiellrechtlichen Normen ist generell typisch für das Wirtschaftskollisionsrecht.[7] Eine vom Schutzzweck der Wettbewerbsregeln gelöste Anknüpfung (etwa an die Staatsangehörigkeit oder den Aufenthaltsort der an der Wettbewerbsbeschränkung beteiligten Personen oder gar an den Ort der Veranlassung des Wettbewerbsverstoßes) wäre insbesondere für den unionsrechtlichen Schutz des Systems unverfälschten Wettbewerbs als einer tragenden Säule der Wirtschaftsverfassung der EU dysfunktional, weil dieser Schutz dann nur sehr unvollkommen wäre. Die Suche nach der im unionsrechtlichen Kontext maßgeblichen Anknüpfung muss somit mangels einer ausdrücklichen Regelung dieser Frage im AEUV bei den EU-Wettbewerbsregeln selbst ansetzen.

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Die Tatbestandsmerkmale der EU-Wettbewerbsregeln enthalten nun einen eindeutigen territorialen Bezug zum Hoheitsgebiet der EU: Es geht nach dem eindeutigen Wortlaut der Wettbewerbsregeln stets um das Verbot von unternehmerischen Verhaltensweisen, die den Handel zwischen Mitgliedstaaten sowie den Wettbewerb innerhalb des Binnenmarkts beschränken.[8] Diese Verbote sind also unabhängig davon anzuwenden, ob die Wettbewerbsbeschränkungen durch Verhaltensweisen innerhalb oder außerhalb der EU veranlasst worden und ob die handelnden Unternehmen in der EU oder in Drittstaaten ansässig sind. Anderenfalls ließen sich die Verbote ohne weiteres umgehen und der Schutz des Systems unvollständigen Wettbewerbs im Binnenmarkt wäre höchst unvollkommen. Unerheblich ist daher auch, ob die handelnden Rechtssubjekte Unionsangehörige sind oder nicht. Auf der Grundlage des Personalitätsprinzips könnten nur Wettbewerbsbeschränkungen von Unionsangehörigen erfasst werden.[9]

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Entscheidend ist also der bereits in den Wettbewerbsregeln der EU selbst enthaltene territoriale Bezug der verbotenen unternehmerischen Verhaltensweisen aufgrund ihrer Auswirkungen auf den Wettbewerb im Binnenmarkt. Damit kodifizieren die unionsrechtlichen Wettbewerbsregeln implizit das sogenannte Auswirkungsprinzip, das sich unschwer als eine Variante des sogenannten „objektiven“, dh von der Lokalisierung der handelnden Subjekte und ihres Verhaltens losgelöste und stattdessen auf die Handlungsfolgen ausgerichtete Variante des Territorialitätsprinzips erkennen lässt. Seinen Ursprung hat das Auswirkungsprinzip (effects doctrine) in der US-amerikanischen Rechtsprechung. In schrittweiser Abkehr vom strengen Territorialitätsprinzip, dem zu Folge im Ausland veranlasste Wettbewerbsbeschränkungen nicht vom inländischen Antitrust-Recht der USA erfasst werden konnten,[10] hat der amerikanische Court of Appeals (2nd Circuit) in seiner berühmten ALCOA-Entscheidung[11] aus dem Jahre 1945 die wettbewerbsschädigenden Auswirkungen im Inland genügen lassen, um unternehmerisches Verhalten im Ausland dem US-amerikanischen Antitrust-Recht zu unterwerfen.[12] Auch das deutsche Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen hat sich von Beginn an ausdrücklich zum Auswirkungsprinzip bekannt.[13]

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Im Kontext des EU-Rechts war allerdings bis vor kurzem keine ganz einheitliche Linie festzustellen. Während die Kommission sich von Anfang an[14] durchweg für das Auswirkungsprinzip ausgesprochen hat und darin wiederholt von Generalanwälten beim EuGH unterstützt worden ist,[15] sind die Europäischen Gerichte bisher zurückhaltender gewesen. Dies dürfte daran liegen, dass es Mitgliedstaaten gab, die das „Auswirkungsprinzip“ als völkerrechtswidrigen Übergriff auf das Territorium und die nationale Souveränität fremder Staaten ablehnten. Das gilt noch heute für das Vereinigte Königreich. Der EuGH hat es daher bis in die jüngste Zeit stets vermieden, die Anwendbarkeit des Kartellverbots des Art. 101 Abs. 1 AEUV mit den innergemeinschaftlichen Wettbewerbswirkungen zu begründen, sondern sich stattdessen auf andere Verknüpfungen des zu beurteilenden Sachverhalts mit dem Hoheitsgebiet der EU gestützt. So wurde im Fall Teerfarben[16] auf die wirtschaftliche Einheit zwischen den in der Gemeinschaft ansässigen Tochterunternehmen und den ausländischen Mutterunternehmen abgestellt, um die territoriale Präsenz der am fraglichen Preiskartell beteiligten ausländischen Unternehmen im Binnenmarkt zu begründen.[17] Im Fall Zellstoff[18] stellte der Gerichtshof darauf ab, dass der Ort der „Bildung“ des fraglichen Preiskartells zwar außerhalb der Gemeinschaft lag, das Kartell aber innerhalb der Gemeinschaft „durchgeführt“ worden war, weil es sich auf Waren bezog, die in die Gemeinschaft eingeführt wurden. Der EuGH konnte sich damit auf den Standpunkt stellen, dass sich die von ihm gerechtfertigte extraterritoriale Anwendung des Kartellverbots durchaus im Rahmen des Territorialitätsprinzips hielt.[19] Im Fall Zementkartell hat auch das EuG diesen Standpunkt bestätigt.[20]

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Erst im Fusionskontrollfall Gencor[21] hat das EuG im Hinblick auf die Anwendbarkeit der FKVO eine Hinwendung zum Auswirkungsprinzip erkennen lassen. Es ging um eine Auslandsfusion, die im Binnenmarkt eine Verengung der Marktstruktur zum Duopol bewirkt hätte. Die Urteilsbegründung ist allerdings ambivalent: Einerseits hat sich das EuG auf das Kriterium der „gemeinschaftsweiten Bedeutung“ des Zusammenschlusses gestützt und die dafür erforderlichen innergemeinschaftlichen Umsätze bzw. die ihnen zugrunde liegenden innergemeinschaftlichen Verkäufe als hinreichende territoriale Verknüpfung mit der Gemeinschaft im Sinne des nach der Zellstoff Entscheidung maßgeblichen Kriteriums der „Durchführung“ innerhalb der Gemeinschaft angesehen;[22] andererseits hat das Gericht darauf abgestellt, dass der geplante Zusammenschluss wegen der Verengung der Marktstruktur „eine unmittelbare und wesentliche Auswirkung“ innerhalb der Gemeinschaft haben würde.[23] Das Urteil schwankt somit zwischen Territorialitätsprinzip[24] und Auswirkungsprinzip.

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Der Unterschied zwischen dem Auswirkungsprinzip und dem Territorialitätsprinzip ist durchaus nicht unerheblich. Das zeigt sich weniger in Fällen einer Beschränkung des Wettbewerbs durch positives Handeln (etwa in Gestalt der Bildung und Durchführung eines Kartells), in denen die Unterscheidung zwischen den „Auswirkungen“ und der „Durchführung“ der Wettbewerbsbeschränkung oft künstlich erscheint, weil beide praktisch zusammenfallen. Der Unterschied zeigt sich aber in Fällen einer Beschränkung des Wettbewerbs durch Unterlassen: wenn beispielsweise Unternehmen in Drittstaaten vereinbaren, keine Waren in die EU zu liefern, oder wenn von einem in einem Drittstaat ansässigen Unternehmen, das im Binnenmarkt über eine marktbeherrschende Stellung verfügt, beispielsweise eine missbräuchliche Lieferverweigerung gegenüber Abnehmern im Binnenmarkt ausgeht oder eine missbräuchliche Verdrängungsstrategie gegenüber ebenfalls außerhalb der EU ansässigen Konkurrenten zum Nachteil der Abnehmer im Binnenmarkt praktiziert wird, dann kann dieses Verhalten wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen in der EU auch dann haben, wenn es zu keinen „Durchführungshandlungen“ im Sinne der Rechtsprechung des EuGH kommt. Wie der Fall Gencor[25] zeigt, verhält es sich ebenso bei einer reinen Auslandsfusion, die zur Entstehung oder Verstärkung einer beherrschenden Stellung im Binnenmarkt führt. Die durch eine solche Fusion bewirkte Verengung der Marktstruktur im Binnenmarkt bedarf keiner innergemeinschaftlichen „Durchführungshandlung“, um den innergemeinschaftlichen Wettbewerb zu beeinträchtigen.

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Eine endgültige Hinwendung der Rechtsprechung zum Auswirkungsprinzip deutet sich aber erst in jüngster Zeit mit dem Urteil des EuG im Fall Intel[26] an. Das auf dem Markt für Mikroprozessoren weltweit beherrschende amerikanische Unternehmen Intel hatte versucht, seinen wichtigsten – ebenfalls amerikanischen – Konkurrenten AMD vom Zugang zu den führenden amerikanischen und asiatischen Computerherstellern durch missbräuchliche Treuerabatte und Exklusivitätsprämien abzuschotten. Damit verhinderte Intel insbesondere, dass mit AMD-Prozessoren ausgestattete Computer auf den europäischen Markt kamen. Eine überzeugende kollisionsrechtliche Lösung im Hinblick auf die extraterritoriale Anwendung von Art. 102 AEUV war in diesem Fall weder mit dem Konzept der wirtschaftlichen Einheit, noch mit dem Konzept der „Durchführung“ der Wettbewerbsbeschränkung zu erreichen, obwohl das Gericht diesen letzteren Ansatz nicht verworfen, sondern als „alternativen“ Ansatz beibehalten hat. So hat das Gericht durchaus in Erwägung gezogen, dass die fraglichen Verdrängungsstrategien von Intel innerhalb der EU „durchgeführt“ wurden, indem die in diese Strategien eingebundenen – ebenfalls ausländischen – Abnehmer der Mikroprozessoren den Vertrieb von mit AMD-Prozessoren ausgestatteten Computern in die EU zum Nachteil der europäischen Verbraucher einstellten bzw. einschränkten.[27] Damit ist das Konzept der „Durchführung“ einer wettbewerbswidrigen Strategie aber deutlich überdehnt und nicht einmal auf das marktbeherrschende Unternehmen selbst beschränkt worden. Entscheidend ist dagegen, dass das EuG sein Gencor-Urteil, auf das es sein Intel-Urteil ausdrücklich stützt, nunmehr selbst ganz im Sinne des Auswirkungsprinzips interpretiert und ihm damit seine ursprüngliche Ambivalenz genommen hat.[28] Es hat ausdrücklich hervorgehoben, dass das Konzept der „Durchführung“ und das Auswirkungsprinzip nicht kumulativ sondern alternativ anwendbar seien.[29] Das Gericht hat demgemäß die Anwendbarkeit von Art. 82 EG [jetzt: Art. 102 AEUV] auch nach dem Auswirkungsprinzip mit der Erwägung begründet, dass die fraglichen Verdrängungsstrategien von Intel geeignet waren, sich negativ auf die Marktstruktur und die Verbraucher innerhalb der EU auszuwirken.[30] Es steht daher nunmehr fest, dass die internationale Reichweite sowohl der FKVO als auch des Art. 102 AEUV durch das Auswirkungsprinzip definiert wird. Was nach dem Intel-Urteil für Art. 102 AEUV gilt, muss dann aber auch für das Kartellverbot des Art. 101 AEUV gelten.

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Die Frage, ob es sich beim Auswirkungsprinzip noch um eine „sinnvolle Anknüpfung“ im Sinne des Völkerrechts handelt, war zwar lange Zeit umstritten, wird aber heute weitestgehend bejaht. Allerdings besteht insoweit ein Unterschied zwischen den tatbestandsmäßig erforderlichen und den international zuständigkeitsbegründenden Auswirkungen eines unternehmerischen Verhaltens auf den Wettbewerb im Binnenmarkt.[31]

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Die für die intraterritoriale Anwendung der Wettbewerbsregeln – dh für die innergemeinschaftliche Feststellung eines Wettbewerbsverstoßes – erforderlichen wettbewerbsbeschränkenden Wirkungen eines bestimmten unternehmerischen Verhaltens kann die EU grundsätzlich frei und ohne Bindung an das Völkerrecht definieren. Nach der Entscheidungspraxis der Unionsorgane werden im Rahmen von Art. 101 AEUV grundsätzlich alle unmittelbaren und mittelbaren, tatsächlichen oder potentiellen, objektiven oder auch nur hinreichend vorhersehbaren wettbewerbsbeschränkenden Auswirkungen bzw. Beeinträchtigungen des zwischenstaatlichen Handels erfasst.[32] Allerdings verlangt die Kommission, um tätig zu werden, die „Spürbarkeit“ der innergemeinschaftlichen Auswirkungen.[33] Im Rahmen von Art. 102 AEUV wird der Anwendungsbereich des Missbrauchsverbots durch die Existenz einer marktbeherrschenden Stellung auf dem Binnenmarkt oder auf einem wesentlichen Teil desselben eröffnet. Im Rahmen der FKVO 139/2004 kommt es auf die Erfüllung der quantitativen Kriterien an, die gem. Art. 1 die „gemeinschaftsweite Bedeutung“ eines Unternehmenszusammenschlusses definieren.

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Demgegenüber kann die extraterritoriale Anwendung der EU-Wettbewerbsregeln unter völkerrechtlichen Aspekten nur auf unmittelbare, wesentliche und vorhersehbare Auswirkungen auf den innergemeinschaftlichen Wettbewerb gestützt werden. Dem entspricht auch die Entscheidungspraxis der Unionsorgane. So hat sich das EuG im Fall einer Auslandsfusion mit wettbewerbsbeschränkenden Auswirkungen innerhalb der Union im Hinblick auf die Vereinbarkeit der Anwendung der FKVO mit dem Völkerrecht eindeutig zu diesen Kriterien bekannt.[34] Mit der Entscheidung des EuG im Fall Intel hat dieser Grundsatz nunmehr generelle Akzeptanz auch im Hinblick auf die Anwendung von Art. 102 und Art. 101 AEUV gefunden.[35] Ganz entsprechend hat auch der US-amerikanische Gesetzgeber – im Unterschied zur Rechtsprechung[36] – durch den Foreign Trade Antitrust Improvement Act von 1982 in § 6a Sherman Act qualifizierende Kriterien eingeführt, nach denen die Auswirkungen auf den inländischen Wettbewerb unmittelbar, wesentlich und vernünftigerweise vorhersehbar (direct, substantial and reasonably foreseeable) sein müssen.[37]

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Mit dieser völkerrechtlich gebotenen Qualifikation der zuständigkeitsbegründenden Auswirkungen auf den Wettbewerb im Binnenmarkt darf also das weitere in Art. 101 und 102 AEUV enthaltene Tatbestandsmerkmal der Beeinträchtigung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten nicht verwechselt werden. Dieses Kriterium dient allein als Anknüpfungsmerkmal zur EU-internen Abgrenzung des Unionsrechts gegenüber den nationalen Wettbewerbsrechtsordnungen der Mitgliedstaaten (siehe hierzu ausführlicher Rn. 903 f., 1140 ff.). Grundsätzlich können in ein und demselben Fall sowohl die mitgliedstaatlichen als auch die unionsrechtlichen Wettbewerbsregeln „parallel“ angewendet werden, die letzteren aber nur, sofern die „Zwischenstaatlichkeitsklausel“ erfüllt ist. Im Konfliktfall gilt der Grundsatz des Vorrangs des EU-Rechts. Im Rahmen der Zusammenschlusskontrolle nach der FKVO 139/2004 sind hingegen Fälle von „gemeinschaftsweiter Bedeutung“ von vornherein ausschließlich dem Unionsrecht zugewiesen, andere Fälle den nationalen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten.