Kitabı oku: «Identitätskonzepte in der Literatur», sayfa 4

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Das Institut „Moderne im Rheinland“ – Zum Forschungsprojekt und seinem identitätskritischen Ansatz einer „Rhetorik der Region“

Gertrude Cepl-Kaufmann, Düsseldorf

Ein Blick in die Geschichte des Instituts „Moderne im Rheinland“

„Identitätskonzepte in der Literatur“, so lautet das Thema der Tagung, auf die sich dieser essayistische Rückblick bezieht. Die Einladung zum Eröffnungsbeitrag, den er vermittelt, verdankt sich der spezifischen Erfahrung des Instituts „Moderne im Rheinland“ an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf mit dem Thema. Meinen Beitrag verstehe ich entsprechend als eine Möglichkeit, ein Institut vorzustellen, dessen Forschungsfeld Identitätsdiskurse quasi immanent sind.

Der Fokussierung auf die Literatur in diesem Band möchte ich mit eben diesem Konzept entgegentreten: Rhetorik hatte und hat immer mehr im Blick als eine Sparte, so lehrt uns die Traditionslinie dieses seit der griechischen Antike ausdifferenzierten Systems der Redelehre, das letztendlich mit seinen septem artes liberales zu einem Eckpfeiler des mittelalterlichen Bildungsprogramms wurde und in der Geschichte der Nachkriegszeit mit der Tübinger Rhetorikschule eines Walter Jens seine einstige Bedeutung als Fundierung einer Öffentlichkeitstheorie in Zeiten der Demokratie wiedergewonnen und darüber hinaus differenziert weitergeschrieben hat. Jens’ Anspruch war, wie einst in der – wenn auch retrospektiv idealisierten – attischen Republik ganzheitlich, wenn auch – und hier darf die Literatur sich als prima inter pares verstehen – der Sprachkunst nicht nur eine wesentliche Funktion zukommt, sondern sie zugleich die Substanz ausmacht, die die hohen Ziele eines vir bonus überhaupt erst erreichbar macht. Vir bonus und vir bonus dicendi sind ein wunderbares Synonym – und heute würden wir selbstverständlich noch eines draufsetzen: auf diesen Plan gehört auch die – femina bona dicendi. Mehr an Persönlichkeit ließ sich in der damaligen Gesellschaft nicht erreichen und dass sie an die Kunst der Sprache gebunden war, das gibt auch und gerade der Literatur und ihrer Wissenschaft bis heute ein hohes Maß an Deutungskompetenz.

Gerne sage ich an diesem Ort, der Hauptstadt des Saarlandes, zugleich Grenzregion aus Frankreich und Deutschland, dass es der Romanist Ernst Robert Curtius war, der mit seinem 1948 erschienenen opus magnum Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter die Ganzheitlichkeit des kulturtragenden Systems von Sprache und Literatur ebenso einklagte wie die Rückkehr der Hochzeiten einer emanzipativen Rhetorik nach den zwölf Jahren ihrer diktatorischen Unterdrückung gegenüber einer lauten, aber unlauteren Propaganda. Curtius hatte sich schon zu Beginn des Jahrhunderts nach dem Ersten Weltkrieg in die Konflikte Deutschlands mit dem „Erbfeind“ Frankreich eingemischt. Konkret mahnte er im Kontext der Besetzung des Rheinlandes, genauer, der von Maurice Barrès vertretenen Annektionspolitik der „penetration pacifique“, die Gemeinsamkeiten der Kulturen an, insbesondere gerade der Literatur, der intellektuellen Kultur und europäischen Denktradition in dieser historisch gesättigten Topographie rund um den Rhein. Diese Topographie und ihre Geschichte gehört zum Gegenstandsbereich des Instituts „Moderne im Rheinland“.

Das Saarland ist heute in der mentalen Selbstpositionierung der Zeitgenossen weiter weg vom Rheinland, als es lange Zeit war. Das sollte nicht so sein. Auch auf diesem Wissenschaftsfeld lohnt es, an alternative Vergangenheiten anzuknüpfen. Die Autoren im „Bund rheinischer Dichter“, der zum Gegenstandsbereich der Forschungen des Instituts zählt, dachten z.B. vor hundert Jahren wieder einmal ganzheitlich und verstanden das Saarland als Teil der Herausforderung, die ihre Zeit bereithielt. Sie wollten nach dem Ersten Weltkrieg einen ‚Völkerfrühling‘, der in Gedichten, Manifesten und Reden beschworen wurde.1 Damit vertraten sie ein Projekt der europäischen Identität, das in unseren Diskurs gehört. Doch zwischen dem Literaturarchiv Saar-Lor-Lux-Elsass, dem sich diese Tagung verdankt, und unserem Institut gibt es schon eine Geschichte, die hier und heute weitergeschrieben wird. Das Symposium zu Yvan Goll, bei dem wir hier, an der Universität des Saarlandes und dem Literaturarchiv Saar-Lor-Lux-Elsass, zu Gast sein durften, um diesen Europäer und für beide Institute wichtigen Zeitgenossen der Moderne einmal in den Blick zu nehmen, haben wir als großen Gewinn erfahren. Und so nehme ich den Verweis auf Curtius noch einmal auf und betone die wissenschaftliche, kulturpraktische und, last but not least, die persönliche Bereicherung, die diesen Diskurs möglich machen, auch die Anreicherung, die wir hier einmal mehr in den gemeinsamen Topf hineingeben. Ich bedanke mich für die Einladung, die Arbeit und das Konzept des Instituts hier vorzustellen und damit eine weitere, nun auf das wissenschaftliche Selbstverständnis des transdisziplinären Diskurses zur Identitätsproblematik zielende Perspektive zu eröffnen.

Wir treffen hier zusammen als gelernte Literaturwissenschaftler:innen, und sind doch immer auch Historiker:innen, Medien- und Kulturwissenschaftler:innen. Wir haben uns innerhalb unserer Disziplin bewegt, es hat uns bewegt, wir wurden bewegt. Wo begegnen wir uns aktuell, können wir uns hier und jetzt betreffen lassen? Um das herauszufinden, tauschen wir Erfahrungen aus, lassen uns in die Karten schauen. Ich spreche hier in Absprache und Rollenverteilung mit Jasmin Grande, der stellvertretenden Leiterin des Instituts „Moderne im Rheinland“. Mit ihr habe ich gemeinsam Vieles erarbeitet, zurzeit stehen Reste zum Thema „100 jahre bauhaus im westen“ und das Projekt „Die Bonner Republik. Forschung – Diskurs – Öffentlichkeit“ an. Letzteres ist transdisziplinär, insbesondere auf der Ebene der Philosophischen Fakultät angestoßen, also im Bemühen, eine fächersprengende Identität in der aktuellen, oft allzu spartengläubigen Universitätslandschaft zu realisieren. Ist das Neuland?

Es gibt bekanntlich keine historische „Stunde Null“, die Jasmin Grande für das Projekt „Bonner Republik“ als Narrativ der Nachkriegszeit als Herausforderung angenommen hat, auch nicht für die Forschungen, die uns hier, heute und morgen beschäftigen werden. Und so gibt es auch keine ‚Stunde Null‘ hinsichtlich der Fundierung unserer Beschäftigung mit Regionen. Unsere Antwort auf diese wissenschaftliche Herausforderung ist die „Rhetorik der Region“. Diese theoretische und methodische Leitlinie ist in diesem Diskurs des Instituts seit langem virulent vorhanden. Konkret wurde sie mit der Titelgebung „Rhetorik der Region“. Es handelt sich um einen seit den späten 1990er Jahren vertretenen Forschungsansatz, der uns seither begleitet und natürlich weitergedacht wird.

Für uns, das Institut „Moderne im Rheinland“, gab und gibt es Haltepunkte bei der Suche nach Ausdifferenzierung der theoretischen und methodischen Implikationen des Zugangs zur Analyse von Kulturtopographien:

1 Die 1990er Jahre: Die Existenz zweier An-Institute an der Heinrich-Heine-Universität, nämlich analog zum Moderne-Institut das Eichendorff-Institut, das sich der Erforschung Oberschlesiens widmete, führte zu komparatistischen Blicken auf kultursoziologische und literarhistorische Zusammenhänge. Schon in diesem Diskurs war das Literaturarchiv Saar-Lor-Lux-Elsass dabei. Das Vergleichsmoment ergab sich insbesondere mit den literarischen Quellen. Oft sind es poeta minores oder allzu heimattümelnde, ja, bedingt durch die für alle drei Regionen vergleichbaren aggressiven Grenzdiskurse entsprechende Kontexte, durch vergleichbare Herrschaftsdiskurse mit annektionistisch instrumentalisierten Autoren auch ideologisch armierte Texte. Wenn uns nicht dieses kulturwissenschaftliche Interesse geleitet hätte, wäre es uns schlecht ergangen. Jedes methodische, an den Maximen der Werkimmanenz und ihrer Vorliebe für eine rein ästhetisch dimensionierte Höhenkammliteratur orientierte Programm hätte eine wahre Kassationsorgie zur Folge haben müssen. Der verbleibende Rest an Literatur hätte sehr bescheiden ausgesehen! Noch folgenreicher: Das eigentliche Interesse an Literatur und Kultur in Regionen ließ sich damit überhaupt nicht angehen. Ein paradigmatischer Wechsel in der Fragestellung musste vollzogen werden.

2 Das erste Jahrzehnt in den 2000er Jahren bot weitere Perspektiven mit zwei DFG – Tagungen: „Kulturtheorie und Region“; und „Konstruktionsprozesse der Region unter dem Aspekt der europäischen Moderne“2 sollten die Forschungen zur Kultur in der Region fundieren. Hier wurde der gezielte Rekurs auf das tradierte und erstaunlich leistungsfähige Element der artes liberales noch ein wenig als Provokation in den Diskurs eingeführt. Doch die Perspektive wurde deutlich herausgearbeitet: Kultur ist, im Denken und der Pragmatik der Rhetorik, Gestus, erkennbar in Strukturen und generell als Transfer von Bedeutung zu lesen: produktions- und rezeptionsästhetisch relevant.

3 Das zweite Jahrzehnt begann mit einem EU-Antrag im Rahmen des „Seventh Framework Programme“ zum Thema „TRIANGLE – Tri border areas as reality, paradigm and challenge for Europe“. Es führte aus dem Dilemma heraus, jede Region, die historisch als Grenzregion eine spezifische Geschichte mit sich führt, in bipolaren Mustern zu denken, diesseits und jenseits der Grenze Identität und Alterität zu verankern. Genau das, so zeigte sich mit der Ausdifferenzierung der Forschungen zur Erinnerungskultur, über Pierre Nora bis zu Jan und Aleida Assmann, ist zu eng gedacht.

4 In den vergangenen Jahren haben Jasmin Grande und ich eine eigene Forschungsperspektive ausgearbeitet. Sie umfasst die Weiterentwicklung und Anwendung der „Rhetorik der Region“, darüber hinaus hat Jasmin Grande den Diskurs weiterbewegt, wie sich im nachfolgenden Beitrag erkennen lässt. Konstant bleibt dabei das Denkbild Dreiländereck. Das wollten und wollen wir als Paradigma entwickeln, um jeder bilateralen Versuchung trilateral zu entkommen. Damals war TRIANGLE ein EU-Antrag in der dort weitgehend festgelegten Dimension einer „large Challenge“. Wir mussten dennoch zugreifen, um das Thema der grenzüberschreitenden kulturhistorischen Forschung zu vertiefen. Konkret musste unser Projekt Mindestkosten von vier Millionen Euro einplanen. Das Geld für die Antragstellung hatte uns das Wissenschafts-Ministerium des Landes Nordrhein-Westfalen zum zehnjährigen Bestehen des Instituts geschenkt. Wir haben den Zuschlag bei einer zu erwartenden Erfolgsquote von 7,5% für EU-Projekt im Bereich Kultur nicht bekommen, aber etliche internationale Diskurse zu Dreiländerecken vom Bodensee bis zur Gemengelage von Kaschuben, Polen und Deutschen in Danzig zu „Konferenzen“ und Kooperationen generiert. Immer im Blick: das Paradigmatische des dreidimensionalen Blicks und die dazu entwickelten methodischen Konzepte: damals in Zusammenarbeit mit u.a. einem sozialwissenschaftlichen Institut in Wien, das mit dem Ansatz der Sozialkapitalforschung eine Vergleichsebene ausdifferenzierte und für die Untersuchung von nationalen Nachbarschaften fruchtbar machte. Wir haben daraus z.B. eine Möglichkeit entwickelt, solche Nachbarschaften in Dreiländerecken, also komplexe Zusammenhänge vermittels der „Sympathograhie“ erkennbar zu machen. Diese Form der Analyse der jeweiligen Urteile über den angrenzenden ‚Anderen‘ sind für nationale Literaturdiskurse geradezu ideal. In einem der Diskurse, nämlich auf der Suche nach der „Gedächtnistopographie“ waren die Saarbrücker Forschungen beteiligt. Konkret war es das mit der Universität Danzig und dem dortigen Kaschubischen Institut realisierte Symposion „Gedächtnistopographien in trilateralen Räumen“. Es gab viele Fragen: Gibt es Gedächtnis-Identitäten: natürlich und sehr laut und im Blick auf die Literaturgeschichte: ja! Wie begegnen sich die Ebenen? Wo werden sie greifbar? – Für das Institut gab es zu diesem Zeitpunkt eine klare Linie, ja, eine Antwort. Im Bescheidenheitsgestus formuliert: der Versuch einer Antwort. Wie in der Antike eine Vorstellung davon herrschte, dass das Gehirn ein Ort des Gedächtnisses ist, der die Gegenwart analysierbar und sinnvoll strukturierbar macht, lässt sich auch heute noch ein Ort ausmachen, sozusagen das heuristische Land, auf dem die Regeln dieses Systems anwendbar sind: Nennen wir sie: Kulturtopographie.

5 Das Institut Moderne im Rheinland ist dabei, mit diesem Begriff Kulturtopographie kultursoziologische Arbeitsschwerpunkte, z.B. zu literarisch-kulturellen Gruppenbildungen, etwa „Künstlerkolonien“ zu bündeln und auszubauen. Genau genommen vertritt auch das Institut „Moderne im Rheinland“ selber eine Kulturtopographie. Im Kontext einer Tagung zur Erinnerung an 100 Jahre Sonderbund im Kölner Walraff-Richartz-Museum haben wir diese nationale Besonderheit für die Moderne in Deutschland sozusagen für uns reklamiert. Mit dieser Vergangenheit ergibt sich ein Konstrukt und doch auch lebendige Gegenwart, wie hier zu sehen, doch zukünftig auch weiter zu fassen sein würde, z.B. mit Fragen nach dem, was die Bonner Republik zu einer Kulturtopographie macht; und was mit dieser kulturwissenschaftlichen Sicht auf historische Zusammenhänge der Geschichtsforschung überlegen ist, wenn es um das Verständnis der Formate, der leitenden Ideen, der kulturellen Identität geht, die eo ipso den Verlauf der Geschichte lenken.

Die Aktualität der Rhetorik

Einen Rückgriff auf längst überholt Scheinendes bedarf der Legitimation und Erprobung:

Die Rhetorik war in der Antike eine anwendungsorientierte Kulturtheorie und -praxis. Diesen Standpunkt haben wir genutzt und sprechen von der „Rhetorik der Region“. Das Thema impliziert eine Frage: Ist der Begriff „Rhetorik“ nicht schon längst zu eng? Das wollte auch das Wissenschaftsportals L.I.S.A. der Gerda Henkel-Stiftung im Hinblick auf die Leistungsfähigkeit von regionaler historischer Forschung wissen.1 Ja und nein: Der Begriff „Rhetorik“ verweist auf eines der tragenden Elemente unserer europäischen Bildungsgeschichte und es wäre ein Fehler, ihn in einem arroganten Akt als überflüssig oder überholt zu streichen. Tatsächlich lässt sich „Rhetorik der Region“ geradezu als Leitfaden, als unerschöpfliche Versicherung lesen für die Stabilität, die in die Streitdiskurse um die Identität von Regionen immer im Spiel ist, und wie man gerade im Blick auf die Streitdiskurse um den realen oder/und symbolischen Ort im Feld „Hauptstadtregion“, das wir uns gerade im Rahmen des Forschungsprojektes „Die Bonner Republik“2 anschauen, durchaus sehen kann. Der Stabilität, die der Begriff und die Geschichte der Rhetorik in sich tragen, begegnet mit dem Begriff „Region“ ein weitaus weniger leistungsfähiger Referenzort. Einen solchen suchen wir, wenn es um eine „Rhetorik der Region“ gehen soll.

Dennoch: Aus der Erkenntnis der vergangenen und gegenwärtigen Forschungsprojekte sollte der Begriff Region durch den Begriff Landschaft nicht getilgt, aber ausdifferenziert werden. Landschaften sind Teil von fluiden Topographien. Sie sind Konstrukte mit hohem Symbolwert, machen Regionen generierbar. Sie bergen die latente Kraft, Veränderungen und Verschiebungen zu suchen, zu fördern, kulturpraktisch (etwa mit der poetischen Version) zu begleiten. Eine Landschaft ist mehr als ein Konstrukt mit geologischen Besonderheiten. Ja, das materiale und zeitlose Phänomen „Region“ zieht als „Landschaft“ einen mehrfachen Schriftsinn an sich. Ein Blick auf den Rhein und das, was darüber geschrieben wurde und wie er in die Politik einwirkte, beweist das. Da geht es z.B. um eine Entwicklung vom ‚romantischen Rhein‘ zum ‚eisernen Rhein‘. Der Blick auf das romantische Herzstück des Rheins zwischen Koblenz und Bingen und die Genese der Seelenlandschaft, die wir damit verbinden und in der Literatur reichlich bedient finden, wandelt sich in den 1920er Jahren zum Ruhrgebietsrhein. Die Industrialisierung spielt eine Rolle, ebenso die politische Landschaft. Beides hat die Autoren im „Bund rheinischer Dichter“ bewegt. Sie verabschiedeten sich von der Romantik, die im Zuge der Genese einer „Politischen Romantik“ die fatale Erbfeindschaft zwischen Frankreich und Deutschland hochgeschraubt hatte, und siedelten sich um Duisburg als zentralem Ort des „eisernen Rheins“ und der kulturellen Moderne des 20. Jahrhunderts wieder an. Die „Ruhrbesetzung“ lässt sich in diesem Zusammenhang ebenfalls als politisches Ereignis lesen, aber auch als Adaption einer Region für die Literatur. Dieser Wechsel einer Landschaft bestimmte die 1920er Jahre. Ein weiteres Beispiel, das eng mit dieser Bedeutungsverschiebung zu tun hat: Von Westfalen als traditioneller agrarischen Landschaft ging es in dieser Zeit ins Ruhrgebiet. Ein Teil, Ostwestfalen und Schaumburg-Lippe blieben weitgehend in ihrer Identität erhalten, der westliche Teil Westfalens verbündete sich mit dem Ruhrgebiet. So entstanden das eigentliche „Ruhrgebiet“, die Ansammlung von Städten mit Kohle- und Stahlindustrie, und dem Teil eines „Ruhrgebiet-Westfalen“, das zwischen Industrialisierung und verbleibender und erinnerter agrarisch-stammesbiologisch behaupteter Identität beiden Seiten gerecht zu werden versuchte oder opponierte. Literarische Gruppen wie die „Ruhrland-Gemeinschaft“ haben diesen Landschaftswechsel literarisch aufgegriffen. Die Dortmunder Gruppe 61 fundierte in der Nachkriegszeit die erst in den späten 1920er Jahren zögerlich ansetzende Literatur eines Ruhrgebiets, das bereit war, sich über den Begriff „Arbeit“ befragen zu lassen.

Fazit: Unser Projekt ist dem Erkenntniswert differenzierter Landschaftskonstrukte verpflichtet. Dabei richtet sich das Interesse auf das Landschaftskonstrukt „Rheinland“ – ebenso wenig mit genauen Grenzen festzuzurren wie der mäandernde Rhein selbst. Stromlandschaften sind, wie gesagt, fluide Topographien. Solch poltisch-gesellschaftlich geprägte Landschaftskonstrukte, die sich wandeln, sind ein Indikator für Regionen, lassen fragen, wie differenziert und nachhaltig (= LVR-Jargon) diese Verschiebung ist und als wie verwandlungsfähig sich dieser Hang zur Identitätssuche erweist. Der wissenschaftliche Zugriff ist die daraus folgende Aufgabe zur Vergewisserung, Auseinandersetzung. Daraus folgt die Frage nach dem Beitrag zur Prägung von Landschaft insgesamt. War die Veränderung eine kulturelle Erneuerung? War sie ein positiver Impuls? War sie oktoyiert, oder auch eine symbolische, wütende Abwehr à la Carl Einstein, dem im rheinischen Neuwied und in Karlsruhe, in unmittelbarer Nachbarschaft zu Frankreich aufgewachsenen Schriftsteller und Ästhetiktheoretiker: „Landschaft ist eine archaische Frechheit – zerschlagen wir uns direkt“.3 Folgt daraus ein ästhetisches Prinzip? Wie vollzieht es sich? Wie z.B. wurde aus der sensiblen Rheinromantik die Rhein-Wein-Lyrik? Wie und wo ist dieser Wandel ablesbar, wird ein Gestus daraus? Eine Menge an Fragen. Aber genau dies macht die Rhetorik aus: Sie ist die Kultur des Befragens.

Für solche Befragungen haben wir einen Standpunkt, vertreten die Interessen einer Topographie, wissen um die fluide Topographie und denken immer ein Drittes mit: eine Heterotopie. Doch ein weiteres Element ist in der Titelmatrix des Instituts angelegt: die „Moderne“. Was hat es damit auf sich?

Regionen sind abstrakte terrae, geologisch zu vermessen und zu analysieren. Sie werden von politisch wirkenden Kräften verwaltet, ins Spiel gebracht, mal gut und mal schlecht behandelt. Landschaften sind mehr, binden Natur und Kultur zusammen und haben ihre eigene Würde. Sie sind nichts ohne die, die sie erkennen und auf den Punkt bringen, die ihrerseits nicht minder abhängig von etwas sind, was diesen Landschaften offensichtlich zu eigen ist und sich zu einem identitätsbildenden Prozess anbietet. Ein solcher Prozess kommt, wie z.B. gänzlich landschaftsunabhängig scheinende Intellektuelle und Dichter beweisen, da vor, wo wir sie am wenigsten vermuten. Das gilt für die produktionsästhetische Seite wie für die rezeptionsästhetische. Sie sind vor allem deshalb für eine Kulturwissenschaft, wie sie das Institut „Moderne im Rheinland“ mit seiner theoretischen Fundierung mit einer „Rhetorik der Region“4 vertritt, von Belang, weil sie sowohl mit ihrer subversiven Kraft überzeugen, als auch wegen ihres Identitätsbegriffs schlechthin unabdingbare Notwendigkeit sind im Diskurs um den Identitätsbegriff schlechthin, den Begriff von „Heimat“. Sie werden geradezu als Zeugen gegen jede Heimattümelei und einen sentimentalen wie rückwärtsgewandten Heimatbegriff auftreten. Sie retten etwas, was als sensus literalis keinen Anspruch auf Rettung haben dürfte, weil ein solcher Anspruch auf Heimat nichts mehr als einen Herrschaftsanspruch, ins Private verabsolutiert, bedeutet. Ihm zur Seite ein Verständnis von Heimat, das nicht mehr zu bieten hat als die Funktion eines Fluchtraumes. Der Identitätsbegriff „Heimat“, im Sinn unserer literarischen Zeitzeugen verstanden, meint dagegen keinen grenzziehenden, markierten und exklusiven Raum, sondern etwas weit Ausstrahlendes, wie bei Einstein, eben jene geistig-historische Landschaft mit ihren markanten Zentren, die wie eine Semiophore mehr verwaltet als ein persönliches Interesse oder Vorrecht. Sie muss quasi ‚dreieckig‘ angeordnet sein: jede ins Absolute drängende Aneignung und Ins-Rechtsetzung gegenüber dem Anderen, nicht Dazugehörenden, würde vom Dritten widerlegt. Nur so lässt sich nach „Moderne“ als dem Verhältnismäßigen fragen, ohne einem populistischen Verdikt zu folgen. Bipolare Seitenwechsel verengen!

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