Kitabı oku: «Identitätskonzepte in der Literatur», sayfa 5

Yazı tipi:

Die Rhetorik als „Lehre“ zur Identitätsfindung

Warum lässt sich von der Region zur Landschaft, nicht aber von der Rhetorik ins Postrhetorische wechseln? Sie, die Rhetorik, hat das Wechseln sozusagen im Blut! Es gehört zu ihren Generierungsregeln:

Rhetorik betrachtet die Produktions- und Wirkungsästhetik von Sprache bis zu dem Sprachspielen und materialen Äquivalenten auf der Ebene der Produktion, ebenso aber auch als lebendiges Feld aktiver Rezeptionen und letztlich als Erinnerungskultur, die zu enträtseln und beschreibbar zu machen keine andere Kulturtechnik so geprägt hat wie die Rhetorik. Ihr naiver Ansatz der inventio ist nichts anderes als ein Bild für das kulturelle Gedächtnis. Politik, Kultur, Bildung, nichts existiert davon ohne die Verständigung über das Element Sprache, Bild, Gestus, zugleich auch die Verständigung über die Regeln des Verstehens: Theorie und Methodik als Säulen von Wissenschaft waren hier immer im gemeinsamen Boot, selbst in den Zeiten von Ideologie und intendiertem Nichtverstehen.

Es gibt Gründe, für die Rhetorik zu werben: Die Tübinger Rhetorikschule, von der ich gesprochen habe, hat den Zusammenhang von Welt und Gesellschaft als substantielle Faktoren, denen mit der Funktion der Rhetorik erst die Möglichkeit einer adäquaten diagnostischen Korrespondenzdisziplin gegeben wurde, eindringlich formuliert. Dort ist auch das Grundgesetz einer demokratischen Rhetorik aufgestellt worden, mit der die Identität von Reden und Wollen festgeschrieben und deren gesellschaftliche Relevanz bewiesen wird. Nicht von ungefähr geht dies zeitgleich mit dem Gadamer / Habermas Diskurs zum Universalitätsanspruch der Hermeneutik. Wenn aber zeitgleich das Rhetoriksystem in den Anwendungsbereichen Werbung und Managerschulung ausgeschlachtet wurde, so zeigt dies zwar die konstante, gegenwartsadäquate Leistungsfähigkeit, zugleich aber auch die Gefahren einer nur die Oberfläche persuasiver Kommunikation abschöpfenden Anwendung. Dass diese funktionale Beschränkung nicht notwendig, sondern die Rhetorik in einem viel weiter reichenden Sinn nutzbar zu machen ist, könnte ihr Einsatz in der kulturwissenschaftlichen Forschung beweisen.

Rhetorik ist vom Denkbild her geradezu auf das Phänomen Erinnerung fixiert. Sie zeigt aber auch, dass Erinnerung nur dann rezipierbar ist, wenn sie in eine Form gegossen als Kulturträger anzutreffen ist. Nicht zuletzt gibt sie den Weg an, wie sie entstanden ist, also ins Zeichen gefunden hat, und wie sie wieder dechiffrierbar wird. Dazu lässt sich die Theorie der loci hervorragend einsetzen. Begriffe wie „Denkbild“, „Erinnerungskultur“ und deren Varianten, Erinnerungsorte, Memorialia etc., haben hier ihren Platz. Hatten die alten Griechen in anschaulicher Weise nach den Örtern ihres Gedächtnisses gefragt, wenn sie sich auf eine Rede vorbereiteten, lässt sich auch heute noch für jede Form der Mündlichkeit, für jede Rede, aber auch für jede Form der Schriftlichkeit die antike Locus- oder Toposlehre mit Gewinn heranziehen. Ist es das private Gedächtnis, das Auskunft gibt über die loci ad personam, die in einer epideiktischen Rede zu bedenken sind, entsprechen dem die Akten in der Juristerei, die Archivalien in den Geschichts- und Geisteswissenschaften, nicht zuletzt das Wissenschaftssystem, das Träger vieler Schubladen ist, aus denen schriftliche und mündliche Zeugnisse hervorgezaubert werden können, um Erkenntnisse zu reproduzieren. Das Rhetorik-Lehrbuch von Gert Ueding und Bernd Steinbrink bietet einen differenzierten Katalog kritischer Fragen, der nur noch für das anstehende Problem der komparatistischen Regionalforschung wei­tergeschrieben werden muss.1 Ist es die loci-Lehre, die eine quellenkritische Arbeit und damit die Qualität von Forschung sichert, wird es keine mündliche und schriftliche Äußerung geben können, die ohne negative Konsequenzen auf die Denkbilder der Redeproduktion verzichten könnte. Ihre Phasen der Produktion folgen ebenfalls nicht nur der Tradition, sondern sind auch einem anthropologisch und in abendländischer Tradition angereicherten und dem Gedächtnis inskribierten Ablauf unterworfen. Jeder Manager, der eine Rede vor seinen Aktionären hält, jede Werbung, vermittels derer Buttermilch oder Babywindeln verkauft werden sollen, wird diesen Fundus wahrnehmen. Überschreibungen des Gedächtnisses, wie sie die kulturwissenschaftliche Forschung so sprachreich analysiert, hat ohne Kollisionen in dieser antiken Theorie und Praxis Platz. Die in die Kulturwissenschaften drängenden Ansätze der Gedächtnisforschung, etwa durch die Arbeiten von Maurice Halbwachs2 oder Pierre Nora3, geben diesen Vorstellungen ein naturwissenschaftlich begründetes Unterfutter. Achim Landwehr4 hat mit seinem „Essay zur Geschichtstheorie“ unter dem Titel Die anwesende Abwesenheit der Vergangenheit 2016 eine Fundierung für die Gegenwart vorgelegt. Doch nicht nur unsere Fakultät arbeitet daran:

Hier wären die Forschungen und die durchaus offensive Wissenschaftspraxis des Münchner Neurowissenschaftlers Ernst Pöppel von Bedeutung. Als Leiter des Humanwissenschaftlichen Zentrums an der Maximilians-Universität hatte er als einer der Pioniere im Sinne einer „Sinnesphysiologie“ die neurologische Vernetzung zu seinem Thema gemacht. Ganz im Sinne der Rhetorik kommt er zu einem Begriff, der deren Fundierung aufgreift und weiterschreibt. Die Leistung des Gehirns, das eine Fülle von Informationen ungeordnet aufnimmt und sie intern vernetzt, lässt sich in diesem Begriff „Syntopie“ anschaulich machen und damit unserem Bild von „Kulturtopographie“ wie eine Art Skelett oder besser Röntgenaufnahme zur Seite stellen. Pöppel wird mit seiner Syntopie zum Vermittler einer aktualisierten Rhetorik, die zugleich eine Synthese der Wissenschaften, implizit damit der Kulturen und kulturellen Praktiken leistet. Im Interview mit Christiane Fricke hat Pöppel den Begriff „syntopische Landschaft“ umschrieben. In Pöppels Definition sind Bild und Speicher faktisch zwei Seiten eine Medaille:

Der Begriff […] ist mit einer personalen Identität verbunden. Wenn man sich fragt, was macht eigentlich mein Ich aus, […] dann stellt man fest, dass es die Bilder sind, die ich aus meiner Vergangenheit in mir trage. Es prägen sich also in mir Bilder ein, die meine Lebensgeschichte erst eigentlich ausmachen, und zwar aus einem abrufbaren bildhaften Gedächtnis. Diese Bilder sind immer mit Orten verbunden. Es sind immer Orte, an denen etwas geschehen ist. Das heißt für mich, dass Syntopie die Grundlage bzw. der Begriff ist, um per­sonale Identität fassbar zu machen. […] Ich vertrete im Übrigen die These, dass die Orte wieder wichtiger werden, weil wir immer virtueller kommunizieren.5

Die Rhetorik überzeugt bis heute als elaboriertes methodisches Konzept eines systematischen Erfragens. Hier begegnet es sich mit den Aufgaben einer Kulturwissenschaft und macht, wie gezeigt, das gesamte Feld der topoi/loci-Lehre interessant und aktualisierbar. Dies gilt auch im Verbund mit weiteren Bereichen dieser erkenntnisträchtigen Disziplin. So ordnet sich die topoi/loci-Lehre in das System der partis artis, der Konzeption der fünfphasigen Bearbeitung jeder Rede ein:

Befragt man das System der Rhetorik, so zeigt es sich gerade in dieser Redelehre und den sie anthropologisch stützenden Anweisungen als kompetenter Partner. Die Leistungen der Rhetorik sind für jede der partes artis von beträchtlichem Wert und können in bemerkenswerter Weise für die wissenschaftlich-analytische Ar­beit an einer Kulturgeschichte der Region übertragen und genutzt werden:

1 Die inventio wird weitergeschrieben in einer Theorie der Erinnerung. Sie ist mit dem topoi/loci-Verständnis der Antike gegeben. Die topoi/loci-Lehre vermittelt einen Fundus von Zeichen, der sich als Erinnerungsschatz in allen bewahrenden Institutionen und Medien, aber auch der privaten Erinnerung bereithält.

2 Die dispositio prägt den strukturierenden, intentionalen Umgang mit der Erinnerung. Hier setzt die Fundierung der Erforschung von Räumen und Regionen über die Analyse ihrer unbewussten, intendierten und subversiven Wirkungsmuster an, z.B. der politischen Programmschriften, in denen sich die planerischen Investitionen zur Erreichung politischer Ziele zeigen, z.B. die offiziellen Vorgaben für die groß angelegten Jahrtausendfeiern, nach denen sich alle lokalen Ereignisse auszurichten hatten. Texte und Zeichen waren immer auch bewusste Inanspruchnah­me des Erinnerungsarsenals.

3 Die elocutio und das darin aufgehobene System des ornatus spielt im kultu­rellen Feld naturgemäß eine wesentliche Rolle. Hiermit können die lite­rarischen und künstlerischen Zeugnisse in ihre Gestalt- und Zeichenhaf­tigkeit erkannt werden, z.B. gibt die Veränderung des Loreley-Mythos bis in die Kompilation von Loreley und Germania ein ausdifferenziertes Spektrum von Beschreibungsmöglichkeiten. Der Wechsel der Bildsprache etwa, die an die Stelle des üppigen Blondhaares eine Pickelhaube setzt, die sinnliche Nacktheit der mythischen Figur, die durch einen rüstungsstarren Panzer ersetzt wird, lassen Erkenntnisse über die Entwicklungen der regionalen und die impliziten Überschreibungen mit der nationalen Identität zu.

4 Die memoria gibt die Logik und Praxis der Erinnerungskultur ab, denn schon die Alten wussten, dass das Gedächtnis ein vorstrukturierter, ebenso anthropologisch übergreifender Kulturträger ist, dem man nicht entgegen arbeiten kann. So wird die Memorierung der Rede sich an deren Struktur anbinden, wie umgekehrt die Verfertigung der Rede nicht ohne die Beachtung ihrer Vermittlungsregeln sinnvoll möglich ist. So ließe sich die Fülle inszenierter memoria einmal durch eine Feldforschung zur Vernetzung der in jeweiligen Zeiten mit der entsprechenden Kompetenz ausgezeichneten Sammler kultureller Erinnerung – Archive – und der heutigen Struktur regionaler Erinnerungsträger – Archive und Forschung – weiterführen.

5 Die pronunciatio motiviert zu einem Blick auf die Adressaten der kulturel­len Produktion bis hin zu den Systemen, derer sie zur Vermittlung be­darf und die sie nutzt. Hier bedarf es einer Fülle von Einzeluntersu­chungen, die einfließen in eine Analyse der Medien und Institutionen, die für die Ankunft von Botschaften sensibilisieren – alle Sozialisationsinstanzen von der Wiege bis zur Bahre –, die den Transfer tragen oder unterwandern – von den Zeitungen, Büchern, Rundfunk- und Fernsehanstalten bis zur grauen Literatur, von den großen und kleinen, scheinbar bedeutenden bis unscheinbaren Gruppen, die Abnehmer von Spra­che und Zeichen sind.

Die Übertragung bzw. Anwendung der Bearbeitungsphasen, der partes oratoris ließen sich auf der Produktionsseite ebenso verfolgen wie auf der der Rezeption und zwar bis in die Strukturierung von Aussagen, z.B. den Texten und der Bildsprache eines Denkmals oder einer Münze. Sie lassen sich darüber hinaus mit dem System der Tugenden sprachlicher Darstellung, den virtutes elocutionis, kritisch prüfen.

Auch die Aufgaben des Redners können der Entschlüsselung seiner Absichten, aber auch seiner Kompetenz dienen: Als officia oratoris ist in ihnen Logik, Ethos und Pathos zu sichten, somit die intellektuellen und affektiven Muster wahrzunehmen. Auch hier bietet sich ein immenses Anwendungsfeld, beispielsweise in der Ausarbeitung der Gestaltung von Ausstellungen, wie bereits ein flüchtiger Blick auf eine Ausstellung wie die über „entartete Kunst“, mit denen sich die Nationalsozialisten öffentlich machten, beweist.

Diese analytische, in der Weiterschreibung und Aktualisierung der Rhetorik fundierte Praxis einer Erforschung von Region/Landschaft hätte nach dem Prinzip der Evidenz einige Chancen, nicht nur die Stereotype quantitativ und qualitativ herausstellbar zu machen, sondern auch die progressiven Muster, politische Zielvorstellungen und die ihnen zutiefst zugrunde liegenden und eingeschriebenen Humanitätsmuster zu zeigen.

Vor allem ist die Rhetorik überaus neugierig. Eine wunderbare, wissenschaftsträchtige Fundierung: Sie macht aus Prinzip neugierig, unsere Regionen zu befragen und sie zu einer komparatistischen Rhetorik von Region und Landschaft weiterführen, Kultur als Gestus ernst zu nehmen.

Literaturbegriffe und Literaturwissenschaften im Kontext von Kulturtopographien – Mit einem Fokus auf die Matrix des An-Instituts „Moderne im Rheinland“

Jasmin Grande, Düsseldorf

2019 und 2020 jährte sich die Gründung der „Moderne im Rheinland“ als Arbeitskreis ebenso wie als An-Institut zum 30. bzw. 20. Mal.1 Ausgangspunkt für den ministeriellen Gründungsappell zum Arbeitskreis Ende der 1980er Jahre war der Mangel an interdisziplinärer Forschung zur Region. Mit der Anbindung zunächst an die Aachener Germanistik über den damaligen Lehrstuhlinhaber Dieter Breuer und seit 2001 an die Düsseldorfer Germanistik über Gertrude Cepl-Kaufmann, steht die home base der „Moderne im Rheinland“ in der Germanistik. Ausgehend von einem komparatistischen Wissenschaftsbegriff arbeitet das An-Institut über Regionen und Modernen, insbesondere das Rheinland und dessen Moderne. Über Jürgen Wiener als zweitem Vorsitzenden des Arbeitskreises hat in den letzten Jahren verstärkt eine Anbindung an das Institut für Kunstgeschichte der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf stattgefunden.

Die Moderne im Rheinland hat in der Vergangenheit, mit ihrer Befragung der Rhetorik der Region, der Gedächtnistopographien im Vergleich sowie der Arbeit an einer Kulturtopographie der Bonner Republik Schwerpunkte gesetzt, die auf die Relevanz von Ausstellungen für die Region,2 den Kirchenbau in der Moderne,3 den Transfer von Avantgarde im Wissensbegriff4 oder auch das Spannungsfeld einer regionalen Moderne zwischen Kunst, Literatur, Engagement und Diskurs aufmerksam gemacht. Mit dem Forschungsschwerpunkt der „Bonner Republik“ gerät insbesondere im Vergleich zur frühen Moderne ein Zeitraum in den Blick, in dem sich die Literatur an ihrem raumbeschreibenden Potential in der Erkundung eines bundesrepublikanischen Profils erprobt hat. Sei es in Form von Schriftstellervereinigungen wie der Dortmunder Gruppe 61,5 der eine vergleichbar enge Kooperation mit Künstler:innen, wie es 1919 z.B. im „Jungen Rheinland“ oder im Aktivistenbund stattfand, nicht nahe lag. Sei es in Form von poetologischen Strategien, wie Rolf-Dieter Brinkmanns Auseinandersetzung mit Köln oder Karin Strucks Texten aus den 1970er Jahren,6 die in ihrer Arbeit an Unmittelbarkeit und Authentizität einen mentalitätsgeschichtlichen, von der Region her gedachten literarischen Raum der BRD entwerfen.7 Wo die Anfänge der Moderne ein Plädoyer für das Miteinander der Künste führen, versucht die deutschsprachige Postmoderne die Befragung von Bild und Text über den Text zu lösen.

Nicht zuletzt die Position zwischen den Disziplinen und der daraus motivierten Blickwechsel haben die literatur- und kulturtheoretischen Reflexionen des eigenen Forschungszugriffs motiviert, in die auch wissenschaftstheoretische Fragen hineinspielen. Dementsprechend ist das Nachdenken darüber, wann die Forschungsobjekte der Kunst und wann sie der Literatur zugehören, inwiefern dies die Perspektiven auf die Region verändert ebenso wie der Vergleich der theoretischen Positionen der Disziplinen und der divergenten Forschungspraktiken Teil des Diskurses im Institut. Denn bekanntermaßen hat die Ausdifferenzierung der Disziplinen zu Verständigungshürden zwischen den Vertreter:innen der einzelnen Fächer geführt, z.B. in Form divergierender Moderne-Begriffe in der Kunstgeschichte, der Geschichte und der Germanistik.8 Und während im 19. Jahrhundert die „historische Betrachtungsweise“ als verbindendes Element, „um die kaum noch existierende, aber dringend benötigte Geschichte einer Kulturnation zu rekonstruieren“,9 eine gemeinsame Wissensidentität für die Fächer der Philosophischen Fakultäten ermöglicht hat, so haben bereits die Autor:innen, Theoretiker:innen, Künstler:innen etc. der Moderne auf die Probleme einer historiographischen Systematik hingewiesen: „Es ist notwendig, das Gedankenwerk einer einheitlichen Historie zu zerstören. Jede Zeit schafft sich ihre Geschichte, durch die ihr gemäße Auswahl.“10 In der Literatur- und Kulturhistoriographie der Moderne spielen also neben Fragen nach den disziplinär motivierten Perspektiven eine ebenso große Rolle wie die Frage, wie die Vergangenheitsnarrative angeordnet und konstruiert sind und welchen Erkenntniswert der Anteil der Geschichte darin einnehmen kann.

Wie also funktioniert regionale Literaturgeschichtsschreibung im Kontext der Moderne? Eine Antwort auf diese Frage haben unlängst Britta Caspers, Dirk Hallenberger, Werner Jung und Rolf Parr publiziert. Sie arbeiten darin mit dem Konzept der Kulminations-/Knotenpunke:

Auf regionale Literaturgeschichtsschreibung übertragen bedeutet dies, das Handlungssystem Literatur (auf das die bisherigen Arbeiten zur regionalen Literaturgeschichtsschreibung hauptsächlich abheben) mit dem Symbolsystem Literatur (und damit der konkreten Ästhetik der einzelnen Texte) kurzzuschließen.11

Die Grundlage des Ansatzes bildet ein „interdiskurstheoretischer Zugriff“, der „nach denjenigen diskursiven Elementen [fragt], die Texte und Regionen gleichermaßen zugesprochen werden, […]. Damit aber können Regionen und Regionalitäten […] als ‚Kulturraumverdichtungen‘ begriffen werden […].“12

Dem Begriff der Kulturraumverdichtung ähnlich, allerdings stärker im medialen Arbeitsfeld der Kulturwissenschaften angesiedelt, ist der Begriff der Kulturtopographie, den Gertrude Cepl-Kaufmann für das Forschungsprogramm der „Moderne im Rheinland“ ausdifferenziert hat.13 Ausgehend von der Befragung einer Rhetorik der Region,14 die eine Methode zur Befragung von Ereignissen in ihrer regionenkonstitutiven Relevanz darstellt, rückte zunächst der Vergleich einer Gedächtnislandschaft im Dreiländereck15 und, daran anschließend, mit dem Forschungsschwerpunkt der „Bonner Republik“,16 die Frage nach der kulturwissenschaftlichen Verdichtung von Regionenentwürfen als Erinnerungsorten in den Blick und damit der Begriff der Kulturtopographie.17

Aus einer medien- und kulturtheoretischen Perspektive hat Hartmut Böhme das Thema der kulturellen Topographie bereits 2005 in einem umfangreichen Sammelband bearbeitet, dabei standen allerdings nicht die regionalen Aspekte deutschsprachiger Literatur, sondern vielmehr die raumtheoretischen Lesarten von Literatur im Kontext von Transnationalität im Fokus. Der Band ist damit dem Forschungsfeld der interkulturellen Literaturwissenschaft zuzuordnen, die nach den Transfers zwischen Fremdem und Eigenem fragt.18 In der Übertragung von Ereignissen und biographischen Stationen auf Karten, so zeigt Toni Bernhardt anhand der Geschichte der Literaturgeographie, ist dieses Nachdenken über das Verhältnis von Text und Raum vorgenommen worden.19

Der Schweizer Literaturwissenschaftler Michael Böhler, Co-Leiter und Nationaler Koordinator des trilateralen Forschungsschwerpunkts der Deutschen Forschungsgemeinschaft, des Österreichischen Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung und des Schweizerischen Nationalfonds zu „Differenzierung und Integration. Sprache und Literatur deutschsprachiger Länder im Prozess der Modernisierung“ arbeitet mit dem Begriff der Kulturtopographien, allerdings ohne ihn methodisch zu klären.20 Im Fokus des Forschungsschwerpunkts stand die Untersuchung von „Vielfalt und Einheit der Literatur im deutschsprachigen Kulturraum unter dem Gesichtspunkt ihrer kulturtopographischen Ordnungsstrukturen und deren Dynamik“.21 Es ging in insgesamt 35 Projekten um die Frage, welche Karte sich als verbindendes Narrativ für die Gliederungselemente von „deutschsprachig“ und „Literatur“ entwickeln ließ. Neben der Relevanz regionaler Fragestellungen in der Ablösung nationaler Diskurse sowie einer Verschiebung des Fokus’ auf europäische Identitätsfragen, legten die theoretischen Verschiebungen des Literaturbegriffs im Kontext von New Historicism, Diskursanalyse/Kulturpoetik und Wissenspoetik die Grundlage zur Einrichtung eines trilateralen Forschungsschwerpunkts. Dementsprechend stellt Michael Böhler in seinem eröffnenden Beitrag für die regionale Literaturgeschichte fest:

Zu den Folgen des Nationalsozialismus und des Abdriftens der Germanistik in eine ‚Deutsche Wissenschaft‘ gehörte in der Nachkriegszeit in unmittelbarer Reaktion darauf der fast völlige Diskussionsabbruch von Fragen um binnenkulturelle Ausdifferenzierungen des deutschsprachigen Literaturraums in unterschiedliche Kultur- und Literaturlandschaften mit je eigenen Traditionslinien und literarischen Ausprägungen, die Ausblendung jener Fragen also, die im Zusammenhang mit dem Nationalliteraturdiskurs des 19. Jahrhunderts, teilweise schon im 18. Jahrhundert, eingesetzt hatten und die in der Folge mit wechselnder Intensität und zu je unterschiedlichen Zeitpunkten in Deutschland, Österreich und der Schweiz diskutiert worden waren.22

Böhlau zeigt, wie die Frage regionaler Literaturgeschichtsschreibung anfänglich nicht nur an ihrer eigenen Wissenschaftsgeschichte,23 sondern auch im theoretischen state of the art des Faches, der werkimmanenten Textinterpretation, in den 1950ern scheitert und über die Vorstellung, dass „nur das Mindergeglückte die Spuren seines Herkommens an sich trägt“24 die Suche nach einem übergeordneten – nationalen – Narrativ dennoch seine Dominanz behauptet. Dass nun seit 20–30 Jahren die regionale Literaturgeschichtsschreibung wieder an Konjunktur gewinnt, ist sicherlich auch ein Impuls, der aus der Arbeit an der Europäischen Gemeinschaft sowie dem dazugehörigen Nachdenken über ein gemeinsames Narrativ, über das Spektrum geteilter Erinnerungsmomente resultiert: „It is, therefore, not surprising that culture and cultural heritage became an integral element of European political discourse on a collective European identity long before the EYCH, notably since the very beginning of the European project after the Second World War“,25 so der habilitierte Historiker und Forschungsadministrator im Europäischen Parlament Markus J. Prutsch. Die Suche nach verbindenden Inhalten und Perspektiven zielt dabei weniger auf Vereinheitlichung, sondern auf die Entwicklung eines Begriffs von Diversität, der zugleich verbindend ist.26 Dies findet aktuell allerdings nicht im Bereich der Literatur statt. So lässt sich das Bauhausjahr 2019,27 mit seinen zentralen Projekten „bauhaus imaginista“28 und den „Bauhaus Agenten“29 als ein Versuch verstehen, der, gleichwohl aus Deutschland heraus, an Möglichkeiten eines transnationalen Geschichtsnarrativs gearbeitet hat. Ebenso die Organisation der Erinnerung an den Beginn des Ersten Weltkriegs 2014 von Frankreich, England und Nordrhein-Westfalen aus, die u.a. an der Frage nach einer europäischen Geschichte des Ersten Weltkriegs gearbeitet haben.30 Das Potenzial von Kunst, Literatur und Kulturtheorie als transkulturelle Metanarrative hat Konjunktur und wird als gemeinsames Jahr und Jubiläum inszeniert, so auch im European Year of Cultural Heritage (EYCH) 2018.

Mit diesem Appell an die Fassbarkeit von Ambivalenz und Diversität, Gleichzeitigkeit und Ungleichzeitigkeit, Moderne und Antimoderne haben sich in den geisteswissenschaftlichen Disziplinen zuletzt vor allem die Arbeiten zur Theorie auseinandergesetzt. Für die Literaturwissenschaft kulminiert das in einem erweiterten Textbegriff, den immer auch die Debatte um das Spezifische von Texten begleitet, also das, was z.B. die Germanistik wiederum als Textwissenschaft legitimiert und damit von anderen Disziplinen abgrenzt, so z.B., ausgehend von der Diskurstheorie, über die Befragung von Texten auf ihre Wissensbegriffe, in den darin vermittelten Kultur- und Wissenspoetiken. So gilt es, auch für die regionale Literaturgeschichtsschreibung, Komparatistik, Interdisziplinarität und Textbegriff in ein Verhältnis zu setzen. Einen Differenzierungsansatz stellt dabei die Frage nach dem Impact dar, den Texte und ihre Wissenschaften auf die außertextuelle und außeruniversitäre Realität haben.

Wenn Eberhard Lämmert also auf dem Lateinamerikanischen Germanistenkongress 2003 die Relevanz der Regionalwissenschaft für die Zukunft der Germanistik betont,31 so zeigt er damit Wege der germanistischen Realitätsrelevanz auf und vernetzt das prozessuale Handlungsgeschehen in den Texten mit der außertextuellen Realität, er legitimiert das Fach. Die Beschreibung der Laokoon-Gruppe wird damit raumgestaltend. Wilhelm Amann hat, den Beitrag Eberhard Lämmerts aufgreifend, über die Definition des Begriffs Region in der Geschichtswissenschaft, der Soziologie und der Sozialgeographie u.a. in Verbindung mit dem Begriff der Globalisierung eine methodisch orientierte Definition von Region erarbeitet:

Regionen dieses Typs reagieren auf jene Transformationsprozesse, die im Kontext des alten Regionalitätstyps und seiner Fixierung auf Heimat und Nation, auf Familie, Brauchtum, Sprachnormen und vor allem Herkunft nicht mehr bewältigt werden können. Als flexible Rahmungen rechnen sie grundsätzlich mit einer heterogenen Population mit gestreuten Milieus, pluralen Lebensstilen, Migrationskulturen oder Transnationalitäten. Sie kommen also einem Zugehörigkeitsbedarf entgegen, der weniger an überkommenen Traditionen als vielmehr an Routinen und Normalitäten orientiert ist, d.h., sie haben transitorischen Charakter und setzen auch die Austauschbarkeit sogenannter regionaler Identitäten voraus.32

Mit der Befragung zweier Texte – Stefan Thomes Grenzgang (2009) und Frank Goosens Sommerfest (2012) – nach der Übertragbarkeit dieses fluiden Regionenbegriffs in die Literatur schließt Amann und zeigt, dass es schwierig bleibt:

Den zitierten Vorwurf des Protagonisten [in Frank Goosens Sommerfest], die Kulturhauptstadtkampagne arbeite mit Verklärung, muss sich der Roman selbst gefallen lassen. Dieser performative Widerspruch würde dann auch den Stellenwert von Goosens Roman in einer Literaturgeschichte der Region bestimmen, wohingegen der mit einem ähnlichen Handlungsgerüst arbeitende Roman von Thome unspektakulär über die Kontingenz regionaler Lebensräume erzählt und zu einem zeitgemäßen Verständnis des Regionalen beiträgt.33

Grundlegend für diesen kritischen Blick auf das Potenzial zweier Beispiele der Gegenwartsliteratur für die regionale Literaturgeschichtsschreibung ist dabei der Literaturbegriff und die Nähe zwischen Forschung und Forschungsobjekt sowie Moderne und Antimoderne.

Wo zuvor nach der politischen Relevanz des Faches gefragt wurde, geht es nun um die Realitätsrelevanz des Mediums. Während die Differenzierung von Regionenbegriffen in der interdisziplinären Perspektive abhängig von der Verabschiedung überkommener positivistischer Raum- und Wissensbegriffe ist sowie dem Austausch zwischen den Fächern, steht die Literatur in einem Spannungsverhältnis von Rezeptionsästhetik34 und Modernität im Sinne ihres Potenzials, zeitgemäß auf den diskurstheoretischen state of the art zu reagieren.

Drei Punkte können aus dem Forschungsdiskurs zur regionalen Literaturgeschichtsschreibung an dieser Stelle notiert werden:

1 In der Arbeit an einer regionalen Kulturgeschichtsschreibung dominiert die Germanistik.

2 Die Frage nach einer regionalen Literaturgeschichte ist fachkonstitutiv für die Germanistik.

3 Regionale Literaturgeschichtsschreibung stellt in ihrem Bezug auf politische und gesellschaftliche Entwicklungen eine Möglichkeit dar, die Sichtbarkeit und Realitätsrelevanz der Forschungsdisziplin und der Literatur zu erhöhen.

Mit der Titelmatrix der „Moderne im Rheinland“ ist nicht nur der regionale und zeitliche Zugriff vorgegeben – Moderne und Rheinland –, sondern über diese auch die Frage nach dem Verhältnis von Subjekt, Objekt und Theorie. Ausgehend von dem Verständnis, dass Forschung eine Möglichkeit der Wissensproduktion ist, wie auch Literatur und Kunst Wissen produzieren, geht es hierbei um Distanz und Nähe. Mit dem Begriffsfeld der Moderne ist die Frage nach der Konstruktion und Auflösung von Spannungsfeldern wie Natur/Kultur, Anfang/Ende, Ich/Wir35 verbunden. Diesem Denken in Gegensätzen haben die epochemachenden Protagonist:innen z.B. im Monismus widersprochen:

Dieser Einheit der Natur entspricht vollständig die Einheit der menschlichen Naturerkenntnis, die Einheit der Naturwissenschaft, oder was dasselbe ist, die Einheit der Wissenschaft überhaupt. Alle menschliche Wissenschaft ist Erkenntnis, welche auf Erfahrung beruht, ist empirische Philosophie, oder wenn man lieber will, philosophische Empirie. Die denkende Erfahrung oder das erfahrungsmäßige Denken sind die einzigen Wege und Methoden zur Erkenntnis der Wahrheit.36

Der Monistenbund hat mit Louise Dumont, Hedda und auch Herbert Eulenberg, dem Mitbegründer der Künstlervereinigung „Das junge Rheinland“ wichtige Vertreter:innen, die in der Region lebten und diese gestalteten. Die Rekonstruktion von Wissensprozessen hat auch in den transcultural studies Relevanz. Dabei verstehe ich Transkulturalität ausgehend von Kultur als differenztheoretischem37 Begriff als Möglichkeit, Regionen nicht nur aus dem Kontext ihrer Grenze, sondern in der umgekehrten Denkbewegung, ihres komplexen Miteinanders zu verstehen. So hat der Literaturwissenschaftler und Japanologe Naoki Sakai für die Area Studies einen Forschungsansatz entwickelt, der mit der Matrix der „Filter of translation“ nach den Transferprozessen zwischen Begriffen und Theorien in der Wissenschaftsgeschichte fragt.38 Ausgehend von der Frage, welche Filter jede Übersetzungsleistung, sei es eine sprachliche, sei es eine regionale, sei es eine zeitliche, einzieht, und welche Inhalte hierbei verloren gehen, zeigt Sakai auf, dass der Begriff des Westens als Trope eine Denkbewegung animiert, die mit dem Westen das meint, was nicht der Rest ist: „The west and the rest“.39 Der Westen ist ein nur scheinbar geographischer Begriff, denn tatsächlich lässt sich sein geographischer Raum nur über die Abgrenzung zum ‚Rest‘ bestimmen und dieser ‚Rest‘ generiert sich aus der jeweiligen Redesituation, nicht als fester Bestand. Insofern ist Westen eine Trope, die Machtbewegungen konzipiert und die Basis hierfür bildet eine Geisteswissenschaft, die sich selbst im ‚Westen‘ verortet und diejenigen, die nicht Teil dieses Westens sind, im Forschungsfeld der Ethnologie zusammenfasst. In diesem Zugriff besteht ein qualitativer Unterschied darin, dass der Westen die Theorien und Methoden, um über sich selbst zu forschen ebenso entwickelt wie die Methoden, die benötigt werden, den ‚Rest‘ zu erforschen. Während der Westen im Bereich der Geisteswissenschaften also sowohl Subjekt der Forschung als auch Objekt ist, ist der Rest ausschließlich Objekt. Die „spectres of the west“ sind somit z.B. koloniale Selbstverständnisse als Basis in den methodischen und rezeptionsästhetischen Gedächtnissen sowie Ritualen unserer Geisteswissenschaften. Mit seinem Zeitschriftenprojekt Traces geht Sakai seit 2001 diesen Zusammenhängen nach und lädt neben weiteren Autor:innen auch Künstler:innen ein, sich dem Themenfeld zu nähern. Für das hier skizzierte Forschungsfeld der regionalen Literaturgeschichtsschreibung erscheint Sakais Ansatz zunächst zu stark im Kontext der amerikanischen Area Studies angesiedelt, die nach 1945 aus der politischen Situation des Kalten Krieges als interdisziplinäres Forschungsfeld aus Wirtschaftswissenschaft, Politikwissenschaft und Kulturwissenschaft gegründet wurden und Herrschaftswissen über andere Regionen und Nationen generieren sollten. Für die regionale Literaturgeschichtsschreibung können bei Sakai jedoch neben der Hantologie die Aushebelung der Distanznahme zwischen forschendem Subjekt und zu erforschendem Objekt übertragen werden; oder anders, die Frage, aus welcher Perspektive der Zugriff auf die Kulturtopographien erfolgt. Wissenschaftstheoretisch ist die Fragestellung brisant, macht sie doch den Transfer von Wissensproduktion und -transfer aus der Universität in andere Institutionen und in die Öffentlichkeit, z.B. Wikipedia, sichtbar und findet aktuell z.B. in Ansätzen und Begriffen wie artistic research, ästhetisches Denken, TheoryPractice oder der Transgression im Kontext von Avantgarde statt. In Mieke Bals Trias der Kulturanalyse – „kulturelle Prozesse, Intersubjektivität und Begriffe“40 – spiegelt sich die Befragung des Objektes und das notwendige Vermittlungspotential im Begriff der Intersubjektivität wieder. Wenn Gertrude Cepl-Kaufmann ihren Band 1919 – Zeit der Utopien. Zur Topographie eines deutschen Jahrhundertjahres als „Wimmelbild“ bezeichnet, so zielt sie damit auf eben dieses Miteinander von Theorie und Weiterschreibung ab. Bernhard Siegert hat in seiner Einleitung in das Cluster „Repräsentationen diskursiver Räume“41 drei mögliche Lesarten von Karten als Topographien gelistet:

₺2.427,92
Türler ve etiketler
Yaş sınırı:
0+
Hacim:
511 s. 2 illüstrasyon
ISBN:
9783772001628
Telif hakkı:
Bookwire
İndirme biçimi:
epub, fb2, fb3, ios.epub, mobi, pdf, txt, zip