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5 Andere Sprachen II: SynchronieSynchronie und Moderne

Insofern die Latwju DainasDainas auf sprachliche SynchronisierungSynchronieSynchronisierung aus sind, scheinen sie in ihrem Umgang mit SprachvielfaltSprachvielfalt einem Modell zuzuarbeiten, das sich recht gut mit dem Paradigma der languelangue-LinguistikLinguistik vereinbaren lässt. Die andere, proto-mythische Seite der Sammlung leistet einer solchen modernen theoretischen Subsumption allerdings Widerstand. Um dies zu sehen und auch ganz allgemein den Stellenwert von sprachlichem diversity management in der Moderne besser abschätzen zu können, lohnen sich abschließend einige grundlegendere Überlegungen.

Zunächst ist festzuhalten, dass BaronsBarons, Krišjānis – während nur kurze Zeit später die languelangue-LinguistikLinguistik als methodische Voraussetzung festschreibt, dass EinzelsprachenEinzelsprache als Gegenstand der synchronen Beschreibung schlicht gegeben und die Bedingung der Möglichkeit von Sprechen sind – sich an der schieren Vielfältigkeit des Sprechens abarbeitet, um sie überhaupt erst als Ausfluss einer einheitlichen, aber noch sichtbar zu machenden EinzelspracheEinzelsprache ausweisen zu können. Ähnlich wie vor ihm AlunānsAlunāns, Juris reagiert Barons damit auf eine Anforderung, die sich in der Neuzeit zunehmend an die Sprachen EuropasEuropa stellt: die der StandardisierungStandardStandardisierung qua SynchronisierungSynchronieSynchronisierung.

Man kann darin – siehe AndersonAnderson, Benedict – einen MedieneffektMedien sehen. Der BuchdruckBuchdruck erzwingt als Technologie, die auf allen Ebenen auf SynchronizitätSynchronieSynchronizität setzt, die flächendeckende Durchsetzung von StandardsStandard. Die große Sorgfalt, die HerderHerder, Johann Gottfried und BaronsBarons, Krišjānis auf die Anordnung ihrer Sammlungen verwenden, zeigt, dass sie auf die synchrone Erscheinungsweise gedruckter Werke genau reflektieren. Schon das Produktionsverfahren stellt ja gegenüber der Handschrift von Serialität auf SynchronizitätSynchronieSynchronizität um (mit einem Arbeitsgang werden die Zeichen eines ganzen Bogens gedruckt); vor allem aber bewirken die in allen Details für alle Exemplare (zumindest der Tendenz nach) identische Anordnung des Texts auf den gedruckten Seiten und seine Einrichtung auf das Erscheinen zu einem Zeitpunkt, dass (genau genommen natürlich kontrafaktischKontrafaktikkontrafaktisch) von einer gleichzeitigen Rezeption in einem großen Territorium ausgegangen werden darf. Und die IdentitätIdentität/identity des Texts an allen Orten dieses Territorium wiederum katalysiert sprachliche StandardisierungStandardStandardisierung.

Allerdings ist das MediumMedienMedium des Drucks nur ein Faktor, der StandardisierungStandardStandardisierung begünstigt. Man sollte daher nicht, wie es gerade in der Mehrsprachigkeitsforschung oft geschieht, jede Form der einsprachigenEinsprachigkeiteinsprachig, auf StandardisierungStandardStandardisierung ausgerichteten SprachpolitikSprachpolitik vorschnell als engstirniges und potentiell xenophobes Beharren auf dem Eigenen verurteilen. Die Semantik der Muttersprachlichkeit, wie sie HerderHerder, Johann Gottfried artikuliert, die bei ihm wie bei AlunānsAlunāns, Juris zu beobachtende domestizierende ÜbersetzungÜbersetzung/translation, die languelangue-LinguistikLinguistik usw. sind, wenn man auf eine allgemeinere Ebene geht, Ausdruck eines Sprachdenkens, das tief in der Grundstruktur der modernen Gesellschaft verankert und für diese Gesellschaft ebenso funktional ist wie das vor allem bei Herder sich artikulierende Bedürfnis nach (sprachlicher) Kreativität.

In der Forschung ist in Anlehnung an Yasemin YildizYildiz, Yasemin (2012) oft vom EinsprachigkeitsparadigmaEinsprachigkeitEinsprachigkeitsparadigma/Einsprachigkeitsnorm die Rede, das eng an die Semantik der MutterspracheMuttersprache/mother tongue gekoppelt sei. Ich ziehe dem eine eher technische Beschreibung vor, die den Vorteil hat, erklären zu können, warum sich EinsprachigkeitEinsprachigkeit in der Moderne durchgesetzt hat – und die uns letztlich auch wieder auf die Frage von GegenwartsbezugGegenwartGegenwartsbezug und SynchronizitätSynchronieSynchronizität zurückführt. Diese Erklärung für die Durchsetzungskraft der modernen Einsprachigkeit lautet, dass sie einerseits die Inklusion von Individuen in gesellschaftliche Prozesse erleichtert (darauf kann ich hier aber nicht eingehen1); und dass sie andererseits, weil sie mit einer massiven StandardisierungStandardStandardisierung des SprachgebrauchsSprachgebrauch einhergeht, spezifisch modernen Gesellschaftsstrukturen zuarbeitet, die z.B. auf stardardisierte Terminologien angewiesen sind, um funktionieren zu können. Die Wissenschaft ist ein gutes Beispiel dafür. Im Interesse eben dieser StandardisierungStandardStandardisierung liegt es schließlich, durch ÜbersetzungÜbersetzung/translation dafür zu sorgen (oder zumindest den Anschein zu wecken), dass die unterschiedlichen EinzelsprachenEinzelsprache ineinander transponierbar sind. Daraus resultiert die moderne ÜbersetzungsindustrieÜbersetzung/translation, die in den europäischenEuropaeuropäisch Institutionen ihren paradigmatischen Ausdruck gefunden hat. Diese funktionieren gerade deshalb, weil sie kontrafaktischKontrafaktikkontrafaktisch davon ausgehen, die vielen qua ÜbersetzungÜbersetzung/translation entstandenen Sprachversionen der europäischenEuropaeuropäisch Gesetzgebung seien Ausdruck ein- und derselben Rechtsnormen. Man sollte nicht vergessen, welche Entwicklungen die moderne Einsprachigkeit begünstigt hat: Eine Sprache, mit der eine große Gruppe von Menschen emotional verbunden und die gleichzeitig ausreichend standardisiert ist, um in den unterschiedlichsten Kontexten zu funktionieren, ermöglicht beispielsweise die Etablierung eines öffentlichen Raumes, von Demokratie und von Bildungsstandards. Und von der ÜbersetzungsindustrieÜbersetzung/translation profitieren der Buchmarkt wie überhaupt der überregionale Handel, die Diplomatie, das Recht, das Erziehungssystem, die Literatur. David GramlingGramling, David hat in seinen Arbeiten über die ‚Erfindung der Einsprachigkeit‘ die Verbindung von Muttersprachensemantik und Übersetzbarkeitsversprechen mit dem aus der angewandten LinguistikLinguistik übernommenen Begriff der „glossodiversityGlossodiversität/glossodiversity“ belegt (Gramling 2016: 31–36). GlossodiversitätGlossodiversität/glossodiversity ist eine Form der Vorstellung von sprachlicher Vielfalt, die es für unproblematisch hält, ein und denselben Inhalt in verschiedenen IdiomenIdiom auszudrücken, die jeweils für sich als distinkte, wohldefinierte, in ihren Muttersprachlerinnen verkörperte Einheiten gelten.

Natürlich werden die mit der modernen Idee der EinsprachigkeitEinsprachigkeit verbundenen Vorstellungen von Menschen, Sprachen und Gesellschaften damit im Prinzip nicht richtiger. Genau wie im Falle der NationNation handelt es sich bei der Einsprachigkeit, mit Naoki Sakai (2009) gesprochen, um ein Regulativ im Kantischen Sinne des Wortes: eine kontrafaktischeKontrafaktikkontrafaktisch Annahme, die aber ansonsten womöglich ungerichteten Prozessen Orientierung bietet – so wie das Dogma der Gleichursprünglichkeit im Falle der europäischenEuropaeuropäisch Gesetzgebung. Sprachen sind eben keine distinkten und wohldefinierten Einheiten, die gleichwohl qua ÜbersetzungÜbersetzung/translation ineinander überführt werden können. Sprechen ist nicht notwendigerweise Sprechen in einer Sprache, vielmehr sind im SprachgebrauchSprachgebrauch immer zugleich zentripetale und zentrifugale Kräfte am Werk. Ohne die zentripetalen Kräfte wäre StandardisierungStandardStandardisierung und damit ein Verständnis unmöglich; aber ohne die Zentrifugalkräfte gäbe es keine Sprachentwicklung und damit keine Anpassung an neue Gegebenheiten. GramlingGramling, David hat für die schiere Vervielfältigung der Ausdrucksmöglichkeiten im Sprechen, also die ständige Entwicklung neuer Arten und Weisen, Bedeutsamkeit und Bedeutung zu erzeugen, den Begriff der „semiodiversitySemiodiversität/semiodiversity“, SemiodiversitätSemiodiversität/semiodiversity, geprägt. Und doch hat die Vorstellung der GlossodiversitätGlossodiversität/glossodiversity, auch wenn sie im Prinzip die Realität der Sprachproduktion nicht trifft, diese Realität dennoch verändert. Die Sprachen, die wir größtenteils verwenden, sind tatsächlich sehr stark standardisiert und voneinander abgegrenzt. Man kann relativ einfach erkennen, was z.B. ein wohlgeformter Satz der deutschenDeutschlanddeutsch Sprache ist; Fehler lasse sich recht genau und eindeutig konstatieren, auch wenn man ihn womöglich als rhetorische Figur lesen kann (dazu Martyn 2004).

Bringt man diese Beobachtungen mit den eingangs angestellten Überlegungen zur SynchronieSynchronie zusammen, so zeigt sich, dass die Funktionalität der modernen GlossodiversitätGlossodiversität/glossodiversity damit zusammenhängt, dass sie einander äquivalent geltende sprachliche Ressourcen gleichzeitig präsent hält bzw. zumindest diesen Eindruck verschafft. Standardisierte Möglichkeiten des Ausdrucks sind sozusagen weltgesellschaftlich anwendbar. Die eigentliche Crux liegt darin, dass diesem SynchronizitätsSynchronieSynchronizität- und Standardisierungbedarf jener Bedarf nach sprachlicher Erneuerung und Anpassungsfähigkeit zuwiderläuft, den die Neuzeit eben auch hervorbringt.

Vor diesem Hintergrund gewinnt die Tatsache, dass die Semantik der GlossodiversitätGlossodiversität/glossodiversity die Spannung zwischen (postulierter) synchroner Sprachstruktur und kreativer Sprachentwicklung unsichtbar macht, politischePolitik/politicspolitisch/political Relevanz. Der blinde Fleck der modernen Sprachauffassung erschwert den bewusst produktiven Umgang mit SprachvielfaltSprachvielfalt im Sinne von SemiodiversitätSemiodiversität/semiodiversity. SprachpolitikSprachpolitik vollzieht sich dann offiziell oder zumindest offiziös im Namen von EinzelsprachenEinzelsprache (von der Schule bis zur sogenanten auswärtigen KulturpolitikPolitik/politicsKulturpolitik und zur Académie Française) und überlässt die ‚wilde‘ Sprachfortbildung Populärkultur, Literatur und Unternehmertum. Diese Marginalisierung von SemiodiversitätSemiodiversität/semiodiversity hat sehr weitreichende Folgen, von der Benachteiligung nicht-muttersprachlichen Sprechens in Schulsystemen bis hin zum Umgang mit Anderssprachigkeit in der MedienöffentlichkeitMedien.

Die literarischen Sprachpolitiken, die HerderHerder, Johann Gottfried, AlunānsAlunāns, Juris und BaronsBarons, Krišjānis entfalten, sind letztlich auch Symptome des Widerstreits zwischen offizieller Glossidiversität und inoffizieller, gleichwohl aber essentieller SemiodiversitätSemiodiversität/semiodiversity. Herder versucht, ihn durch das Konzept einer inner-einzelsprachlichen Kreativitätssteigerung qua ÜbersetzungÜbersetzung/translation (im weitesten Sinne) zu lösen. Alunāns geht einen ähnlichen Weg, wenn er die lettischeLettland/Latvialettisch Sprache in der Auseinandersetzung mit moderner Anderssprachigkeit erneuern möchte. Barons hingegen verfolgt einen anderen Impuls Herders weiter, indem er aus fremdFremdheitfremd werdenden ‚eigenen‘ Sprechweisen eine im Grunde neue NationalspracheNationNationalsprache generiert und mit dem Mythos eines nationalenNationnational Lebens verbindet. Damit konnte die SynchronisierungSynchronieSynchronisierung der lettischenLettland/Latvialettisch NationNation natürlich nicht abgeschlossen sein. Die Auseinandersetzung um Fest- und Fortschreibung der lettischenLettland/Latvialettisch dainasDainas dauert vielmehr bis heute an. Das aber wäre ein anderes Thema.

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Sprache und Schrift im baltischen Raum

Liina Lukas

Abstract: In einem multilingualenMehrsprachigkeitmultilingual Kulturraum wie dem (früheren) BaltikumBaltikum, sind Sprache und SchriftSchrift immer eine Angelegenheit der PolitikPolitik/politics gewesen. Die Geschichte des BaltikumsBaltikum kennt Sprachstreit und Schriftkriege, kurzfristige Sprach- und Schriftwechsel, Verlust von Sprachen, Funktionswechsel der Sprachen, Erneuerung der Sprachen. In meinem Beitrag werde ich einen historischenhistorisch Überblick über die komplizierten mündlichenMündlichkeitmündlich wie schriftlichenSchriftschriftlich Sprachverhältnisse im BaltikumBaltikum geben und verschiedene Modelle von Zwei- (oder Mehr-)sprachigkeit in den Literaturen des BaltikumsBaltikum in der Geschichte und heute anführen.

Keywords: Das Baltikum; estnische Literatur; deutschbaltische Literatur; estnischrussische Literatur; Mehrsprachigkeit; Zweisprachigkeit

1 Gesprochene und geschriebene Sprachen

Die Verbreitung der SchriftSchrift nach Alt-LivlandAlt-Livland (dem Gebiet des heutigen EstlandEstland/Estonia und LettlandLettland/Latvia) fand im Zuge der deutschDeutschlanddeutsch-dänischendänisch Eroberung am Ende des 12. Jahrhunderts und zu Beginn des 13. Jahrhunderts ihren Anfang. In EuropaEuropa war das die Periode der „Explosion der SchriftlichkeitSchriftSchriftlichkeit“ (Stein 2006: 159–170). Zu diesem Zeitpunkt hatte die Schrift, die bisher hauptsächlich in der elitären lateinsprachigen Sphäre gepflegt wurde, auch schon die VolkssprachenVolkVolkssprache erreicht und umfasste nun außer der kirchlichen Sphäre auch die säkulare, regelte sowohl politischePolitik/politicspolitisch/political, juristische, administrative als auch gesellschaftliche Beziehungen.

Die Urbevölkerung Alt-LivlandsAlt-Livland war der SchriftSchrift unkundig. Man sprach finno-ugrischefinno-ugrisch und baltische Sprachen: auf dem Gebiet des heutigen EstlandEstland/Estonia die nordestnischeEstland/Estoniaestnisch Sprache und die südestnische Sprache, auf dem Gebiet des heutigen LettlandLettland/Latvia LettgallischLettgallisch, SemgallischSemgallisch, SelonischSelonisch, LivischLivisch und KurischKurisch samt deren DialektenDialekt/Mundart.

Unschriftlichkeit eines VolksVolk heißt natürlich nicht, dass man es irgendwie außerhalb der „Kultur“ situieren und als „kulturlos“ auffassen könnte. In primär mündlichenMündlichkeitmündlich Kulturen gab es eigene – und auch durchaus effektive – Kommunikationsmedien, Gedächtnistechniken und kulturelle Praktiken zur Vermittlung und Tradierung von Bedeutungen.

Trotzdem hatten die Schriftkundigen eine ganze Reihe von Vorteilen. Mit Hilfe der SchriftSchrift konnte man kommunikative Grenzen einer mündlichenMündlichkeitmündlich Kultur überwinden. Eine schriftlicheSchriftschriftlich Kultur hat sich immer von einer rein mündlichenMündlichkeitmündlich KommunikationskulturKommunikation unterschieden. SchriftlichkeitSchriftSchriftlichkeit verstärkt das Bedürfnis nach Lernen, sie steht im Zusammenhang mit Schulen und Ausbildung. Als KommunikationsmediumKommunikation ist Schrift ein Instrument der Machtausübung: wer der Schrift kundig ist, besitzt mehr Macht als ein der Schrift Unkundiger. Dasselbe gilt auch für die Sprachen.

Die gesprochenen SprachenSprache, gesprochene Alt-LivlandsAlt-Livland hatten ungleichen Zugang zur SchriftSchrift. Die Schrift fixierte nicht alle Sprachen, die im BaltikumBaltikum gesprochen wurden. Die Schrift, die im Zuge der Kolonisation am Ostufer der Ostsee eingeführt wurde, blieb lange Zeit Bestandteil eines kolonialenKolonialismuskolonial Gefüges, ein Mittel zur Festigung neuer Machtstrukturen, während die Urbevölkerung mehrheitlich nach wie vor einer mündlichenMündlichkeitmündlich Kultur zugehörte.

Im Laufe des Mittelalters hat sich in Alt-LivlandAlt-Livland eine Hierarchie der Sprachen herausgebildet. Auf der obersten Stufe stand das LateinischeLateinLateinisch, um eine Stufe niedriger folgte als VolksspracheVolkVolkssprache die Sprache der KolonistenKolonialismusKolonisten: das NiederdeutscheDeutschlandNiederdeutsch. Über den schriftlichenSchriftschriftlich Gebrauch des Dänischendänisch liegen keine Belege vor, wohl auch deswegen, weil bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts, also bis zum Ende der dänischendänisch Herrschaft im Norden des heutigen EstlandEstland/Estonia, die Funktion schriftlicherSchriftschriftlich Verständigung vor allem dem LateinischenLateinLateinisch oblag.

In den Städten des BaltikumsBaltikum, in denen die schriftlicheSchriftschriftlich Verrichtung von Alltagsangelegenheiten schon damals auch volkssprachlich vor sich ging, stammte die Mehrheit der KolonistenKolonialismusKolonisten aus NorddeutschlandDeutschland, Rheinland und Westfalen (Johansen/Mühlen 1973: 96–97), und bediente sich untereinander des MittelniederdeutschenDeutschlandNiederdeutsch – der gemeinsamen Sprache des HansebundesHanse(bund). Weil man aus unterschiedlichen Regionen stammte und allerlei Sprachvarianten mitgebracht hatte, war die Sprache der baltischenBaltikumBaltisch Stadtbevölkerung einem ständigen Wandel unterworfen und variierte je nach Stadt, in Abhhängikeit von der jeweiligen Herkunft der Einwanderer (in Kurland mehr Einflüsse preussischer DialekteDialekt/Mundart, in Riga westfälischer). Die meisten Entlehnungen im NiederdeutschenDeutschlandNiederdeutsch, das im BaltikumBaltikum von damals gesprochen wurde, stammten jedoch aus dem EstnischenEstland/EstoniaEstnisch/Estonian, LettischenLettland/LatviaLettisch/Latvian und RussischenRusslandRussisch/Russian, in geringerem Maße aus dem JiddischenJiddisch, SchwedischenSchwedenSchwedisch und PolnischenPolenPolnisch/Polish.

Im 16. bis 17. Jahrhundert geriet das NiederdeutscheDeutschlandNiederdeutsch schon allmählich außer öffentlichen schriftlichenSchriftschriftlich Gebrauch, verdrängt vom aufsteigenden HochdeutschDeutschlandHochdeutsch. In der mündlichenMündlichkeitmündlich Sphäre konnte sich das NiederdeutscheDeutschlandNiederdeutsch immerhin gelegentlich noch bis zum 19. Jahrhundert behaupten. Die geschriebenen und die gesprochenen SprachenSprache, gesprochene im BaltikumBaltikum gingen stark auseinander und das gilt auch für das DeutscheDeutschlandDeutsch: Man sprach im BaltikumBaltikum eine provinziell gefärbte hochdeutscheDeutschlandHochdeutsch Umgangssprache mit zahlreichen niederdeutschenDeutschlandNiederdeutsch Elementen (Masing 1923), man schrieb aber ein „ordentliches“ HochdeutschDeutschlandHochdeutsch. Es geht um ein für die KolonialkulturKolonialismusKolonialkultur typisches Phänomen: Einerseits äußerte sich in diesem sprachlichen Gestus ein Abgrenzungsbedarf, ein Versuch, die vor allem durch die Sprache vermittelte kulturelle IdentitätIdentität/identity zu bewahren, andererseits wollte man dadurch die Zuhörigkeit zum „Mutterland“ unterstreichen und sich dort verständlich machen.

Eine kleine russischeRusslandrussisch MinderheitMinderheit gab es in Alt-LivlandAlt-Livland schon seit dem frühen Mittelalter. Am Ende des 17. Jahrhunderts dann sind die russischenRusslandrussisch Altgläubigen aus RusslandRussland nach EstlandEstland/Estonia eingewandert. Sie entwickelten eine eigene, archaische russischeRusslandrussisch MundartDialekt/Mundart; gelesen und geschrieben haben sie aber Kirchenslavisch. Obwohl EstlandEstland/Estonia und LivlandLivland seit 1710 zu RusslandRussland gehörten, spielte die russischeRusslandrussisch SchriftspracheSchriftSchriftsprache noch im 18. Jahrhundert bei der kulturellen und geistigen Gestaltung der Region noch eine geringe Rolle. Der Verkehr mit der Zentralmacht erfolgte hauptsächlich auf DeutschDeutschlandDeutsch. In den Schulen wurde mit der Russischunterricht erst am Ende des 18. Jahrhunderts angefangen. Als Kultur- und BildungsspracheBildungssprache im BaltikumBaltikum behauptete das RussischeRusslandRussisch/Russian sich im Laufe des 19. Jahrhunderts, im Zusammenhang mit der (Neu-)ergründung der Universität, zunehmend am Ende des 19. Jahrhunderts unter großem Druck der Zentralmacht (durch die von Alexander IIIAlexander III. angestrebte RussifizierungspolitikRussifizierung): Im Jahre 1892 wurden die deutschsprachigenDeutschlanddeutschsprachig Gymnasien geschlossen, ein Jahr darauf die Kaiserliche Universität Dorpat in Императорский Юрьевский университет umbenannt; das RussischeRusslandRussisch/Russian wurde als Verwaltungssprache, Universitätssprache und sogar als Umgangssprache eingeführt. Die Zeit der Russifizierung war jedoch zu knapp, um die bisherige kulturelle Dominante ersetzen zu können. Als Zeichen des zunehmenden russischenRusslandrussisch Einflusses finden sich aber im DeutschbaltischenDeutschbaltenDeutschbaltisch zahlreiche Lehnworte aus dem RussischenRusslandRussisch/Russian.

Als SchriftsprachenSchriftSchriftsprache haben im BaltikumBaltikum auch das AltgriechischeAltgriechisch, das SchwedischeSchwedenSchwedisch, das PolnischePolenPolnisch/Polish und das FranzösischeFrankreichFranzösisch Verwendung gefunden: das AltgriechischeAltgriechisch innerhalb der akademischen Sphäre (in geringem Maße), das SchwedischeSchwedenSchwedisch und das PolnischePolenPolnisch/Polish in der Zeit der schwedischenSchwedenschwedisch bzw. kurzen polnischenPolenpolnisch Herrschaft als AmtssprachenAmtssprache, seit der Mitte des 18. Jahrhunderts auch das FranzösischeFrankreichFranzösisch, das als die gesamteuropäische BildungsspracheBildungssprache am Hof des russischenRusslandrussisch Kaisers gern gesprochen wurde.

Auf der untersten Stufe der Sprachhierarchie des BaltikumsBaltikum standen die Sprachen der Urbevölkerung, auf dem Gebiet des heutigen EstlandEstland/Estonia die nordestnischeEstland/Estoniaestnisch und die südestnische Sprache, auf dem Gebiet des heutigen LettlandLettland/Latvia LettgallischLettgallisch, LivischLivisch, SemgallischSemgallisch, SelonischSelonisch, und KurischKurisch. Dies waren Sprachen, die lange Zeit nicht schriftlichSchriftschriftlich verwendet wurden. Die letzten drei sind schon bis zum 16. Jahrhundert ausgestorben. Zu einer SchriftspracheSchriftSchriftsprache brachten es davon nur vier Sprachen: das Südestnische, das Nordestnische, das LettischeLettland/LatviaLettisch/Latvian und das LettgallischeLettgallisch. Die neuen SchriftsprachenSchriftSchriftsprache waren von örtlichen Pastoren, die in der Regel deutscheDeutschlanddeutsch Muttersprachler waren, geschaffen worden, um die christlichen Glaubensinhalte auch in den einheimischen Sprachen des BaltikumsBaltikum besser vermitteln zu können. Im Laufe des 17. Jahrhunderts fing man allerdings an, in diesen Sprachen auch immer mehr säkulare Texte juristischen, wirtschaftlichen, belletristischen und sonstigen Inhalts zu verfassen.

Da die SprachkenntnisseSprachkenntnisse der "Schöpfer" der estnischenEstland/Estoniaestnisch und lettischenLettland/Latvialettisch SchriftsprachenSchriftSchriftsprache nicht gut waren und es weder Wörterbücher noch GrammatikenGrammatik gab (die mussten erst zusammengestellt werden), wurden die in dieser Weise entstandenen SchriftsprachenSchriftSchriftsprache von den mündlichenMündlichkeitmündlich Trägern dieser Sprachen als fremdFremdheitfremd empfunden und nur allmählich angeeignet. Das Schriftestnische (bzw. -lettischeLettland/Latvialettisch) fungierte als Instrument der Christianisierung und KolonialisierungKolonialismusKolonialisierung. Die Diskrepanz zwischen MündlichkeitMündlichkeit und SchriftlichkeitSchriftSchriftlichkeit ist im BaltikumBaltikum wohl um einiges langfristiger und prägender gewesen als es in vielen anderen Regionen EuropasEuropa der Fall war. Erst im Laufe des 19. Jahrhunderts erweiterte sich allmählich das Verwaltungsgebiet der SchriftSchrift und aus einem überaus elitären, exklusiven MediumMedienMedium zum Wissenserwerb wurde ein MediumMedienMedium für jedermann, vom Mittel der Fremdbeschreibung eines der Selbstbeschreibung. Das BaltikumBaltikum ist ein sehr interessanter Fall für die Erforschung dieser (Aneignungs-, ÜbersetzungsÜbersetzung/translation-, Adaptions-)Verhältnisse. Dennoch unterschied sich die Situation erheblich von späteren „Kolonialsituationen“, bei denen eine kolonisierende Kultur den Kolonisierten ihre Sprache aufgezwungen hat. Im BaltikumBaltikum hat die kolonisierende Kultur vielmehr die Sprache der Kolonisierten erlernt und versucht, sie nach eigenen Modellen, nach bekannten Mustern aus dem DeutschenDeutschlandDeutsch oder LateinischenLateinLateinisch, zu gestalten.

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