Kitabı oku: «Sozialraumorientierung 4.0», sayfa 5

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3.Anforderungen an die Fachkräfte

Die Umsetzung des Prinzips der Willensorientierung fordert die Fachkräfte auf drei Ebenen: Haltung, Aufgaben und Handwerkszeug.

A. Haltung

„Lasst die Menschen ihre Lernerfahrungen machen, in ihrer Umgebung, mit ihren Sinngehalten, mit ihren Werten und mit ihren Zielen.“ (Hinte 2005, S. 94). So ein Plädoyer der non-direktiven Pädagogik, auf der das Fachkonzept Sozialraumorientierung mit dem Prinzip der Orientierung am Willen u. a. fußt. Das der non-direktiven Pädagogik zugrunde liegende Menschenbild basiert auf der Humanistischen Psychologie, die die Einzigartigkeit des einzelnen Menschen betont: „Der Wille und die Identität des Individuums sind für die Humanistischen Psychologen unantastbare Werte. Sie wollen Menschen nicht klassifizieren, sondern sie in ihrem Verhalten, Denken und Fühlen verstehen, um auf dieser Grundlage psychisches Wachstum zu fördern. Voreilige Interpretationen wie ‚Sie sind schizophren‘, ‚Sie sind anal gestört‘ oder ‚Sie sind psychotisch‘ erschweren dieses Wachstum.“ (Hinte 2005, S. 59).

Mit dieser Haltung lässt sich gut und leicht arbeiten, vorausgesetzt, der leistungsberechtigte Mensch hat einen Willen, der uns Fachkräften gut gefällt, den wir nachvollziehen können und der uns keine Sorgen bereitet. Was aber, wenn der Wille aus unserer Perspektive problematisch oder gar „gefährlich“ ist? An dieser Stelle wird es für manche Fachkräfte heikel. Sie sprechen dann von der Fürsorgepflicht, die sie sich für bestimmte Menschen/Menschengruppen zuschreiben. Bei einem Menschen in der teilbetreuten Wohngruppe, der endlich alleine in seinen eigenen vier Wänden leben möchte und dem das auch von allen zugetraut wird, ist es leicht, am Willen orientiert zu arbeiten. Bei einem Menschen in der teilbetreuten Wohngruppe, der für sich entscheidet, nicht mehr mit seiner Assistentin einkaufen gehen zu wollen (weil die ihm immer nur gesundes Zeug einreden will), sondern mit der freundlichen Nachbarin (die genauso gerne Chips und Tiefkühlpizza kauft wie er), wird es ein wenig schwieriger. Bei einem Menschen im Wohnheim, der abends liebend gerne seine vier bis fünf Wurstbrote isst, obwohl der Arzt mahnt, dass er immer dicker wird und das Risiko von lebensbedrohlichen Krankheiten steigt, ebenfalls.

Und bei einem Menschen im Wohnheim für Senioren, der viel trinkt, schnupft, raucht und sich aus Sicht der Fachkräfte nicht mehr selbst regulieren kann, kommt man möglicherweise an ethische oder auch rechtliche Grenzen der Willensorientierung – bis hin zur Grenze in den Kontext der Abwendung von Selbst- oder Fremdgefährdung. Hier nicht aus der Haltung zu fallen erfordert eine ständige Reflexion der eigenen fachlichen Einstellung. Am Beispiel der vier bis fünf Wurstbrote: „Wie gehen wir damit um, dass wir am Willen orientiert arbeiten und Herr X. immer dicker wird, der Arzt von drohender Fettleber spricht, er selbst aber mit seiner Ernährung vollauf zufrieden ist?“. So – oder so ähnlich – könnte eine Leitfrage der kollegialen Beratung zur Klärung eben solcher Haltungsfragen lauten. Es wäre natürlich ganz pragmatisch, Herrn X. im Wohnheim von vier bis fünf Wurstbroten auf drei bis vier Wurstbrote runterzubringen und ihm dafür noch etwas Rohkost anzubieten. Wäre das auch ethisch vertretbar und würde man dann auch noch am Willen orientiert arbeiten?

B. Aufgaben

Kontextklärung

Wie im Beitrag bereits erläutert, braucht die Arbeit mit dem Willen eine konsequente Abgrenzung zu Zwangskontexten in der Sozialen Arbeit. Es macht einen Unterschied, ob ich selbst interessiert daran bin, mein Leben auf eine bestimmte Art zu gestalten oder zu verändern, oder ob die Aufforderung dazu von außen an mich herangetragen wird und ich dem nachkommen muss und andernfalls mit Konsequenzen konfrontiert werde. Daraus resultiert die Aufgabe, Kontextklärung auf Basis geltenden Rechts vorzunehmen, sofern Selbst- oder Fremdgefährdung vermutet wird, droht oder akut im Raum steht.

Informieren

Nicht jeder Wille hat etwas mit Sozialer Arbeit zu tun und nicht jeder Kontakt zum helfenden System bedeutet, dass Menschen, die Kontakt suchen oder für die Kontakt hergestellt wurde, einen Willen haben, der etwas mit Sozialer Arbeit zu tun hat. Das bedeutet in vielen Fällen, dass Fachkräfte darüber aufklären, wie Soziale Arbeit (im Unterschied zu so gut wie allen anderen Dienstleistungssektoren unserer Gesellschaft) vorgeht und welche Konsequenz das für die Leistungsempfänger bedeutet. Gerne auch, indem Soziale Arbeit Verantwortung für die potentiellen Missverständnisse übernimmt:

„Es tut mir leid, wenn ich Ihnen den Eindruck vermittelt habe, ich könnte Ihr Problem mit Ihrem Sohn lösen. Das kann ich tatsächlich nicht. Das Einzige, was ich Ihnen anbieten kann, ist, dass ich Sie dabei unterstütze, herauszufinden, wie Sie Ihre Situation verbessern können. Wären Sie daran interessiert? Auch wenn das für Sie als Mutter richtig harte Arbeit bedeuten könnte?“ Kommen Menschen auf Sozialarbeitende zu, weil andere Instanzen das von ihnen einfordern oder erwarten, gilt es darüber zu informieren, was Hilfe im Kontext von Freiwilligkeit bedeutet. Auch hier wieder gerne, indem die Fachkräfte Verantwortung für das vorliegende Missverständnis übernehmen: „Es tut mir leid, dass wir Ihnen offensichtlich den Eindruck vermittelt haben, dass Sie mit uns zusammenarbeiten müssen. Das müssen Sie tatsächlich nicht. Niemand kann Sie in Ihrer Situation verpflichten, mit uns zu arbeiten. Wenn Sie wollen, können wir uns jetzt schon voneinander verabschieden. Für Sie führt das zu keinerlei Konsequenzen.“

Problemkonstruktionen als subjektive Sichtweise erfassen

Auch wenn Sprachfiguren wie „Was ist das Problem?“ suggestiv eine Opfer- und Inkompetenzwahrnehmung unterstützen und ungünstige Realitätskonstruktionen stärken (s. dazu Schmidt 2004, S. 90), ist der Versuch, die Problemkonstruktion des hilfesuchenden Menschen zu verstehen und zu würden, in vielen Fällen der Einstieg in die Willenserkundung.

Unterstützung von Selbsthilfekräften

Weil der Wille Ressourcen voraussetzt und sich Menschen in der Zusammenarbeit mit Sozialarbeitenden nicht immer in einem ressourcenvollen Zustand befinden, geht mit der am Willen orientierten Arbeit die Unterstützung von Selbsthilfekräften und das Fischen von persönlichen, sozialen und sozialräumlichen Ressourcen einher. Wenn ich diesen Zusammenhang in Trainings zum Fachkonzept Sozialraumorientierung betone, dann finden die Teilnehmenden in der Regel viele gute Worte, die den Prozess und das Ziel dieser Arbeit umschreiben: Es geht um Befähigung, um ein Gefühl von Selbstwirksamkeit, um Empowerment oder um Selbstermächtigung. Im weiterführenden Dialog wird mit Fachkräften immer wieder deutlich, dass das diesen Umschreibungen zugrunde liegende Prinzip der konsequenten Ressourcenorientierung allen Fachkräften und allen Organisationen zu eigen zu sein scheint. Alle arbeiten ressourcenorientiert.3 Frage ich weiter nach, wie das in der Praxis konkret passiert (nicht nur auf dem Papier oder im Aktenschrank, sondern als tatsächlich gelebte Praxis), wird es oft still. Darauf wissen nicht viele eine Antwort. Die Aufgabe der Unterstützung von Selbsthilfekräften scheint präsent zu sein (und auch die Verbindung zur Ressourcenorientierung wirkt klar), dennoch gibt es in der Berufsfeldpraxis Engpässe in der konsequenten Umsetzung.

C. Drei Hinweise

Reflexion

Die Orientierung am Willen erfordert in vielen Fällen ein kontinuierliches Schärfen von Haltung und ein Überprüfen eigener Menschenbilder und ethischer Fragestellungen. Wenn es heikel und herausfordernd wird, weil Menschen aufgrund individueller Lebensentwürfe und Lösungswege unbequem werden, zu scheitern drohen oder gesellschaftliche Normen verletzen, braucht es reflexive Einheiten (z. B. in Form von kollegialer Beratung) zur Klärung von Haltungsfragen.

Disruptives Denken

Menschen wollen nicht immer das, was anderen Menschen (und Institutionen) gut in den Kram passt. Und so kommt es bei der konsequent am Willen orientierten Arbeit zwangsläufig zu Spannungsfeldern zwischen den Klienten/innen und Mitarbeitenden bzw. Verantwortungsträgern/innen öffentlicher und freier Träger, beispielsweise, wenn der Wille eines einzelnen Menschen nicht mehr mit dem Leistungskatalog oder der Struktur der Einrichtung kompatibel ist. Beispiel: Frau Y. will nicht mehr in die Werkstatt gehen, muss aber gehen, weil das Wohnheim tagsüber personell nicht besetzt ist. Die pragmatische Lösung ist: Frau Y. geht in die Werkstatt. Ethisch vertretbar? Am Willen orientiert? Eine zweite pragmatische Lösung könnte sein: Man stellt sich die Frage, ob Frau Y. noch in die Einrichtung passt oder ob es nicht besser ist, für sie einen neuen Platz in einer anderen Einrichtung zu suchen. Am Willen orientiert? Zu einfach? Zu pragmatisch? Man könnte aber auch einen kreativen Impuls aus dem Spannungsfeld ableiten, der dazu einlädt, das Bestehende radikal in Frage zu stellen: „Wie müssen wir uns als Organisation verändern/weiterentwickeln, sodass wir (agilere) Arrangements gestalten können, die dazu beitragen, dass Menschen auf ihre (eigensinnige) Art und Weise ‚klar kommen‘?“ Wenn man dann (neben dem Prinzip der Orientierung am Willen) weitere Leitgedanken des Fachkonzepts Sozialraumorientierung bei der Gestaltung ebendieser Arrangements berücksichtigt (Unterstützung von Selbsthilfekräften und Eigeninitiative, Ressourcenorientierung, zielgruppen- und bereichsübergreifende Aktivitäten, Vernetzung und Integration der verschiedenen sozialen Dienste), dann geht es beim disruptiven Denken nicht darum, den Leistungskatalog auszuweiten (und sich als Organisation möglicherweise weiter aufzublähen), sondern vielmehr darum, auf Basis sozialräumlicher Ressourcen einfache, elegante und effektive Wege zu finden, Menschen bei der Realisierung ihres Willens zu begleiten. Möglicherweise auch mit dem Nebeneffekt, die eigene Institution zurückzubauen.

Handwerkszeug

Weil es eben nicht leicht ist, gehört zur Willenserkundung ein breiter Fundus an Werkzeugen und Instrumenten. In unseren Fortbildungen zur Arbeit mit dem Willen trainieren oder empfehlen wir v. a. folgende:

Aktives Zuhören, Fragen stellen (offen – geschlossen, lösungsfokussiert – ressourcenfokussiert – zielorientiert, zirkulär), Meta-Modell-Fragen, Pacing/ Leading/Rapport, SMART+3-Ziel-Arbeit, Motto-Ziel-Arbeit, Überprüfung der Willens- und Zielökologie, Ressourcenfischen (unter Einsatz diverser Instrumente, wie z. B. Ressourcenkarte, Eco-Map etc.), Embodiment, Framing, Pre-Framing, Reframing, Genogrammarbeit, Kollegiale Beratung, Familienrat, Motivational Interviewing.

4.Schluss

Aktuell gibt es v. a. drei Kritikpunkte an der am Willen ausgerichteten Sozialen Arbeit:

1.Es gibt den einen Willen nicht.

2.Klient/innen Sozialer Arbeit haben keinen Willen.

3.Der Wille eignet sich nicht, um die Leistungsberechtigung zu überprüfen.

Da der erste Punkt im Grunde kaum Gewicht hat, die Antwort mit einem „Na und?“ reichlich kurz ausfällt und der zweite Punkt bereits diskutiert wurde (s. auch Raspel 2019, S. 67-84), möchte ich mich auf das dritte Argument konzentrieren.

Bei der Orientierung am Willen geht es nicht um die regelgeleitete Feststellung der formalen Leistungsberechtigung. Ausgangslage von Hilfen sind meist subjektiv empfundene und zum Teil objektiv nachvollziehbare Problemlagen der Betroffenen. Dadurch ist ein erster Zugang zum Unterstützungssystem möglich. Häufig werden nach dem Überprüfen der formalen Leistungsberechtigung Ziele formuliert – manchmal mit der Person, oft auch für die Person – und daran anschließend werden Maßnahmen zur Unterstützung angeboten. Das helfende System folgt mit diesem Vorgehen allerdings eher einer Logik der zu platzierenden Angebote als einer Logik der Begleitung von Entwicklung und Veränderung. Und genau hier setzt die Orientierung am Willen an, die auf der Haltung beruht, dass sich ohne den Willen der Person weder Entwicklung noch Veränderung ethisch vertretbar realisieren lassen (s. Gromann 2019, S. 326-328). Es geht dann nicht mehr (nur) darum, unter vorgefertigten Hilfeangeboten das passendste auszuwählen, es geht darum, einzuschätzen, ob Veränderung und Entwicklung gewollt sind und somit potentiell gelingen können.

Die in der Sozialraumorientierung postulierte Orientierung am Willen stellt die Frage des Bedarfs nicht als eine von Fachkräften zu beantwortende Frage in den Raum, sondern schafft ein professionelles Setting, in dem Fachkräfte die vom Klientensystem dargestellten Problemkonstrukte zu verstehen versuchen. Der Bedarf wird lebensweltorientiert erfasst.

Haben Helfersystem und Klientensystem den Eindruck, verstanden zu haben, worum es geht, wird daraus nicht automatisch die Installation einer Hilfe abgeleitet. Es geht dann vielmehr um einen co-kreativen Prozess der Entscheidungsfindung bei dem Klienten/der Klientin: Möchte ich wirklich in die Veränderung/Entwicklung gehen, was v. a. bedeutet, dass ich selbst aktiv werde und mich wahrscheinlich ganz schön fordern wird? Damit ist die Feststellung des institutionellen Leistungsanspruchs nicht ersetzt, sie wird aber ergänzend qualifiziert.

Literatur

Bandler, Richard/Grinder, John (2011): Metasprache und Psychotherapie. Die Struktur der Magie I, 12., neu übersetzte Auflage. Paderborn

Biene, Michael (2017): Systemische Interaktionstherapie und -beratung. Unveröffentlichte Seminarunterlagen

Bieri, Peter (2001): Der Wille: Was ist das? In: Bieri, Peter (2001): Das Handwerk der Freiheit. München/Wien

Burns, David (2011): Feeling Good. Depressionen überwinden. Selbstachtung gewinnen. Wie Sie lernen, sich wieder wohlzufühlen, 3. Auflage. Paderborn

De Shazer, Steve/Dolan, Yvonne (2008): Mehr als ein Wunder. Lösungsfokussierte Kurztherapie heute. Heidelberg

Fehren, Oliver/Hinte, Wolfgang (2013): Sozialraumorientierung – Fachkonzept oder Sparprogramm? Berlin

Früchtel, Frank/Budde, Wolfgang/Cyprian, Gudrun (2013): Sozialer Raum und Soziale Arbeit. Fieldbook: Methoden und Techniken, 3., überarbeitete Auflage. Wiesbaden

Gehring, Ulrich/Straub, Christoph (2019): Motivierende Gesprächsführung in der suchtmedizinischen Grundversorgung. In: Bastigkeit, Matthias/ Weber, Bernd (Hg.) (2019): Suchtmedizinische Grundversorgung. Kursbuch zum Curriculum der Landesärztekammern. Stuttgart

Gromann, Petra (2019): Zur Bedeutung selbstbestimmter Ziele bei der Gesamt- und Teilhabeplanung und für die sogenannte „Wirkungsorientierung“ im Bundesteilhabegesetz. In: Nachrichtendienst des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge e.V. (NDV), 7/2019, S. 326-329

Hinte, Wolfgang (2019): Das Fachkonzept „Sozialraumorientierung“ – Grundlage und Herausforderung für professionelles Handeln. In: Fürst, Roland/Hinte, Wolfgang (2019): Sozialraumorientierung. Ein Studienbuch zu fachlichen, institutionellen und finanziellen Aspekten, 3. Auflage, S. 13-32. Wien

Hinte, Wolfgang/Treeß, Helga (2014): Sozialraumorientierung in der Jugendhilfe. Theoretische Grundlagen, Handlungsprinzipien und Praxisbeispiele einer kooperativ-integrativen Pädagogik, 3., überarbeitete Auflage. Weinheim/München

Hinte, Wolfgang (2005): Non-direktive Pädagogik. Eine Einführung in Grundlagen und Praxis des selbstbestimmten Lernens, 1. Auflage, Nachdruck. Wiesbaden

Lüttringhaus, Maria/Streich, Angelika (2006): Zielvereinbarungen sichern Qualität: Wo kein Wille ist, ist auch kein Weg. In: Evangelische Jugendhilfe (EREV), 5/2006, S. 304-316

Raspel, Julia (2019): Können Menschen wollen? Philosophische und neurologische Grundlagen für die Debatte in der Sozialen Arbeit. In: Fürst, Roland/Hinte, Wolfgang (2019): Sozialraumorientierung. Ein Studienbuch zu fachlichen, institutionellen und finanziellen Aspekten, 3. Auflage, S. 67-84. Wien

Schmidt, Gunther (2004): Liebesaffären zwischen Problem und Lösung. Hypnosystemisches Arbeiten in schwierigen Kontexten. Heidelberg

Seligmann, Martin (2016): Erlernte Hilflosigkeit, 5., neu ausgestattete Auflage. Weinheim/Basel

Theunissen, Georg (2000): Verhaltensauffälligkeiten – Ausdruck von Selbstbestimmung? Bad Heilbrunn

Von Kibet, Matthias Varga/Sparrer, Insa (2018): Ganz im Gegenteil. Tetralemmaarbeit und andere Grundformen Systemischer Strukturaufstellungen – für Querdenker und solche, die es werden wollen, 10. Auflage. Heidelberg

Fußnoten

1 In manchen Kontexten Sozialer Arbeit braucht die Willenserkundung den Zugang über das Problem nicht. So ist es etwa bei der Teilhabeplanung denkbar, dass sich am Willen orientierte Ziele lediglich über den in die Zukunft gerichteten Blick entwickeln lassen.

2 Das innere Gleichgewicht ist nicht mehr vorhanden.

3 Ich habe noch nie erlebt, dass jemand behauptet, er/sie würde nicht ressourcenorientiert arbeiten.

Frank Dieckbreder/Sarah Dieckbreder-Vedder
„Uns wird der Arsch nicht mehr hinterhergetragen.“ – Behinderte Menschen und die Umsetzung des BTHG1 in Deutschland
1.Verortung des zweiten Prinzips in den fünf Prinzipien

Es ist gute wissenschaftliche Tradition, Themen aus einem Gesamtspektrum in ihrem Kontext zu belassen und von dort in die Tiefe zu treiben. An dieser Stelle wird eine solche „Tiefenbohrung“ anhand des zweiten Prinzips der Sozialraumorientierung vorgenommen. Der Wortlaut dieses Prinzips bietet hierbei die Möglichkeit, mehrperspektivisch vorzugehen. Dies wird in diesem Kapitel geschehen. Somit zunächst zum Wortlaut:

„Aktivierende Arbeit hat grundsätzlich Vorrang vor betreuender Tätigkeit: ‚Arbeite nie härter als Dein Klient‘“ (Hinte 2014, S. 15).

Den angesprochenen Kontext bilden die anderen vier Prinzipien des Fachkonzepts, die in dieser Publikation ausführlich besprochen werden. Um jedoch den Ort zu beschreiben, an dem die Analyse beginnt, muss an dieser Stelle kurz auf die anderen Prinzipien eingegangen werden, ohne diese explizit benennen zu müssen.

Bei dieser Gesamtschau fällt auf, dass die Prinzipien eins, zwei und vier Imperative darstellen, deren Inhalte als Axiome, also unbestrittene Grundannahmen gesetzt werden. Infolgedessen: „Wille vor Wunsch“ (1. Prinzip), „Aktivierung vor Betreuung“ (2. Prinzip) und „Übergreifende Aktivität vor Singularität“ (4. Prinzip). Die Prinzipien drei und fünf hingegen implizieren mehr den „Befehl“, da sie weniger auf einem Axiom, denn auf Behauptungen beruhen, die Raum für Weiteres lassen: „Ressourcen spielen eine Rolle“ (3. Prinzip) und „… Kooperation und Koordination“ (5. Prinzip).2

Das zweite Prinzip ist nach dieser semantischen Analyse von einem axiomatischen und einem behauptenden Imperativ flankiert. Als Rangordnung verstanden folgt das zweite Prinzip dem Kern sozialraumorientierten Handelns, nämlich dem axiomatischen Ansatz, dass der Wille eines Menschen der Ausgangspunkt der (sozialen) Arbeit ist. Da dieser Wille immer einer Person zuzuordnen ist, entsteht in der sozialräumlichen Arbeit mit den Prinzipien ein Narrativ aus verschiedenen Erzählperspektiven.

Die Geschichte beginnt damit, dass ein allwissender Erzähler jemandem für die Ausübung der Profession der Sozialen Arbeit mit auf den Weg gibt: „Geh los und mache Dich auf die Suche nach dem, was der Wille Deines Gegenübers ist“. Darin enthalten ist ein Richtungshinweis, der ausschließlich auf die Person des Gegenübers zeigt. Denn das „Finden“ des Willens ist immer der erste Schritt. Und damit folgt aus dem Richtungshinweis, auf die Person zuzugehen. Nun ist aber eine Person kein starres Gebilde, das nicht zurück- oder sogar ausweicht, wenn jemand, wenn auch in bester professioneller Absicht, auf sie zugeht. Und so wirkt das zweite Prinzip bereits im ersten. Jemand wird unterstützt, respektive aktiviert, seinen/ihren eigenen Willen zu entdecken und zum Ausdruck zu bringen.

Eine Besonderheit des zweiten Prinzips ändert nun die Erzählperspektive. Der allwissende Erzähler gibt die Faustregel „Arbeite nie härter als Dein Klient“ der sozialraumorientiert handelnden Fachkraft mit auf den Weg. Damit überlässt der Erzähler die beiden Protagonist/innen vorübergehend sich selbst. Ein Aushandlungsprozess beginnt. Denn wer weiß schon vom anderen, wie viel er/sie arbeitet, respektive zu leisten imstande ist? Das gilt es zu klären, damit die Fachkraft nicht mit dem ständigen (vielleicht unerklärlichen) Gefühl „arbeitet“, der/die Klient/in strenge sich nicht an, während der/die Klient/in wahrnimmt, bevormundet oder überfordert zu sein3.

Im weiteren Verlauf der Geschichte wirkt nun das zweite Prinzip mit seiner Faustregel ins dritte Prinzip hinein, wenn es darum geht, dass die Klient/ innen „durch eigene Kraft erreichbare […] Ziele“ (ebd.) formulieren, um diese dann ressourcenorientiert sukzessive zu erreichen. Sowas braucht Zeit. Deshalb schaltet sich der allwissende Erzähler mit dem vierten Prinzip wieder ein. Er erinnert daran, dass der/die Klient/in nicht isoliert ist, sondern immer in sozialen Bezügen steht. Und so kommt dann auch das fünfte Prinzip zum Tragen, mit dem deutlich wird, dass sich auch Träger sozialer Dienstleistungen vernetzen müssen, damit der sozialräumlichen Öffnung des Klienten/ der Klientin nicht die Verschlossenheit von Organisation entgegensteht.

Wir werden auf diese Geschichte zurückkommen. Doch zunächst wird das zweite Prinzip in seiner Tiefe weiter betrachtet.

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