Kitabı oku: «Sozialraumorientierung 4.0», sayfa 4

Yazı tipi:

5.Mangelware sozialräumliches Vorstellungsvermögen?

Ausgehend von dieser Crux der Sozialen Arbeit in ihrem Tripelmandat sowie Schopenhauers o. a. Unterscheidung von Wille und Willkür (Schopenhauer 1996) wird deutlich, welche Unruhe der Begriff „Wille“ aktuell im Diskurs Sozialer Arbeit nach wie vor stiften muss und warum es eines besonderen „sozialräumlichen Vorstellungsvermögens“ bedarf, damit die Soziale Arbeit die notwendige Transition zu einer tatsächlich sozialraumorientierten Ausgestaltung ihrer Funktion im 21. Jahrhundert zu bewältigen vermag.

Diese Ausgestaltung ist de facto auch eine willkürliche Entscheidung des Willensträgers, des politischen Souveräns. Und dieser muss von der Leistung an sich und der Leistungsfähigkeit der Akteure/innen überzeugt sein. Wenn aber nun in sozialraumorientierter Arbeit endlich im besten Sinne von „Vox Populi Vox Dei“ die Nutzer/innen Sozialer Arbeit als Teil des demokratischen Souveräns ihre Forderungen und ihren Willen einbringen, verstört dies gegenwärtig die Wahrnehmung auch der sozialpolitischen Expertokrat/innen und Statistiker/innen eher, als dass ein ehrlicher (hermeneutischer) Versuch unternommen wird, diese Botschaften aus dem Sozialraum zu verstehen, das sozialräumliche Vorstellungsvermögen zu erweitern und so auch für die Weiterentwicklung der Profession zu nutzen.

Um jedoch einem allzu handlichen Missverständnis vorzubeugen: Der normative Rahmen des Auftrags der Sozialen Arbeit im Abklärungs- und Gefährdungsbereich darf und soll natürlich nicht unerwähnt bleiben, da unweigerlich die Kritik folgen muss, dass die Willensfreiheit etwa eines/einer Erziehungsberechtigten sich dem gesetzlichen Gewaltverbot unterzuordnen hat.

Es ist unbestritten, dass hier und auch in anderen Zwangskontexten die Soziale Arbeit vielfach für die Regel im Sinne eines impliziten Anpassungsauftrags an gesellschaftliche Normative steht. Es stellt jedoch eine Wende im sozialräumlichen Vorstellungsvermögen der Akteure/innen der Kinder- und Jugendhilfe dar, gemeinsam mit den betroffenen Menschen Arrangements für ihren manifesten Willen – ja, auch der schlagende Vater WILL etwas grundsätzlich Positives für sich, nämlich vielleicht Ruhe, Ordnung, Entlastung im Konflikt – zu entwickeln. In diesen ausgehandelten Rahmungen darf und wird sich der manifeste Wille der Person verwirklichen, ohne mit staatlichen Gesetzen zu kollidieren und genau jene Energie, die sich hier destruktiv nach außen kanalisiert, positiv bzw. innerhalb des Korsetts existierender oder allenfalls zu ändernder Normen in neuen Arrangements zur Entfaltung kommen.

Ein im permanenten Mehr-Augen-Prinzip stattfindendes sozialraumorientiertes Case Management mit dem klaren Ziel eines vom Nutzerwillen getragenen Arrangements (vgl. Budde/Früchtel 2004) mit gesellschaftlichnormativen, aber auch – in systemtheoretischem Verständnis – im Einzelfall durchaus veränderlichen Rahmenbedingungen als oberstes Navigationsinstrument in der professionellen Arbeitsbeziehung, ist also in gewohnten Konstellationen der Leistungserbringung ein massiver Störfall.

6.Sozialraumorientierung braucht, aber ist nicht Sozialmonitoring – „Fiant statisticae et pereat mundus!“

Wo der manifeste Wille sich eines sozialen Raums bemächtigt und diesen einnimmt, kommt es natürlich zu Konflikten in verschiedensten Formen. Diese Räume wurden historisch ja bereits quasi feudalistisch zugeteilt und – das Ausmaß der Überwachbarkeit im realen und virtuellen Raum spottet Orwells 1984 mittlerweile – werden von etablierten Stakeholdern behütet. Diese bedienen sich nach Möglichkeit und Zivilisierungsgrad in ihrem jeweiligen „struggle for existence“ mit dem Kampfruf „Unsere Studien belegen…“ mehr oder weniger profunder Ergebnisse der Sozialwissenschaften.

Auch in der – meist von der öffentlichen Hand direkt oder indirekt beauftragten – Forschung herrscht Angst davor, den manifesten Willen der Beforschten tatsächlich mit den Beforschten zu ergründen. Dies führt zu einem Habitus scheinwissenschaftlich quantitativ-objektiver Methodik, der eine sterile Distanz zum Forschungsobjekt herzustellen versucht. Fiant statisticae et pereat mundus – es mögen Statistiken erstellt werden, auch wenn die Welt untergeht. Eine passende Statistik erlaubt den politischen Obrigkeiten bisweilen ohne Rücksicht auf die sozialräumlichen Gegebenheiten, ihre Apriori-Entscheidungen zu objektivieren und zu legitimieren.

Sozialmonitoring anhand bestimmter Indikatoren kann jedoch als Basis für eine Planung in bestimmten Beobachtungsräumen durchaus dienlich sein, wenn es darum geht, die strukturellen Rahmungen und Benachteiligungen von Quartieren und Regionen statistisch zu belegen. Die Skepsis gegenüber derart gestalteten „objektiv-wissenschaftlichen“ Zugängen speist sich meist aus augenscheinlichen und fühlbaren Widersprüchen der „ge-/erfundenen“ Forschungsergebnisse und den Alltagsvollzügen der Adressat/innen in den Sozialräumen bzw. der Akzeptanz der anhand bestehender (wessen?) Normierungsaufträge vorgefertigten bzw. existierenden Angebote.

Als die FH Burgenland 2019 beauftragt wurde, die Situation von jungen Menschen zu beforschen, die von der gesetzlichen Ausbildungspflicht bis 18 erfasst werden, waren die Expert/innen aus der lokalen Sozialpädagogik und Sozialarbeit in der Präsentation der Zwischenergebnisse peinlich berührt, zu hören, dass diese Maßnahme zur Verhinderung von NEETs-Karrieren im Jugendalter (Not in Employment Education or Training) greift und die Anzahl dieser Klient/innen tatsächlich binnen kurzer Zeit drastisch gesunken ist. Wenn das Ziel der Ausbildung und beruflichen Integration gelingt, so ist dies fraglos ein persönlicher Erfolg in der Entwicklung eines jungen Menschen und gesamtgesellschaftlich ein bemerkenswerter sozialer Fortschritt. Natürlich bedeutet dies jedoch auch, dass sich mit der gesellschaftlichen evolutionären Weiterentwicklung die Angebote der Sozialen Arbeit weiterentwickeln müssen.

Salopp evolutionsbiologisch formuliert: 99% aller Spezies sind – die meisten auch ohne Zutun des Menschen – in der Evolution ausgestorben, warum sollte dies nicht auch für die diversen Spezies „Sozialer Problemlagen“ gelten? Wenn eine spezielle, als soziales Problem markierte Konstellation zu existieren aufhört, so bedroht dies zwar die konkrete Nische eines Dienstes und erfordert Anpassung. Aber es bedeutet nicht eo ipso das „Aussterben der Sozialen Arbeit“. Auch hier bedarf es einer Weiterentwicklung und einer evolutionären Anpassung der Leistungserbringer. Soziale Arbeit, die sich hinter einem pessimistischen Optimismus verbarrikadiert, steht dabei dem gesellschaftlichen Fortschritt im Weg: Es ist zwar alles heilbar, aber nichts ist heil (vgl. Marcuse 1994).

Conclusio

V. a. das Prinzip der Willensorientierung in der Praxis Sozialer Arbeit im Sinne der SRO wird nach wie vor vielfach missdeutet. Auch müssen die nach wie vor aktuellen Auseinandersetzungen zwischen eingesessenen Konzepten und Theorieüberbauten Sozialer Arbeit und der Sozialraumorientierung als ein evolutionärer Prozess verstanden werden, in dem sich der „Wille“ der Agierenden sowohl auf Seiten der Protagonist/innen als auch der Kritiker/innen manifestiert. Eine produktive Skepsis gegenüber dem innovativen Konzept der SRO darf und soll sich daher nicht einer naiv eigenmächtigen Deutungs- und Erlaubnishoheit bedienen. Die Beförderung einer konstruktiven Streitbarkeit bedarf daher in den Welten der Beteiligten einer Erweiterung des sozialräumlichen Vorstellungsvermögens. Eine Weiterentwicklung des Konzeptes der Sozialraumorientierung wird auch im Austausch mit ähnlich progressiven Strömungen außerhalb des deutschsprachigen Raums gelingen, wo sich bereits willensorientierter Pragmatismus etabliert hat. Ein englischsprachiger Fachartikel aus der authentischen Feder Wolfgang Hintes, der voraussichtlich im kommenden Frühsommer im angloamerikanischen Raum veröffentlicht wird, kann hier als weiterer Brückenschlag dienen.

Literatur

Bettinger, Frank (2012): Soziale Arbeit und Sozialpolitik. In: Thole, Werner (Hg.): Grundriss Soziale Arbeit. Ein einführendes Handbuch, 4. Auflage, S. 345-354. Wiesbaden

Budde, Wolfgang/Früchtel, Frank (2004): Flexibilisierung geht! Ein Plädoyer für maßgeschneiderte Arrangements. In: Blätter der Wohlfahrtspflege Nr.3/2004, S. 92-96

Diebäcker, Marc (2008): Sozialraum und Governance. In: Bakic, Josef/Diebäcker, Marc/Hammer, Elisabeth (Hg.): Aktuelle Leitbegriffe der Sozialen Arbeit. Ein kritisches Handbuch, S. 233-249. Wien

Fürst, Roland/Hinte, Wolfgang (2017): Sozialraumorientierung. Ein Studienbuch zu fachlichen, institutionellen und finanziellen Aspekten, 2., aktualisierte Auflage. Wien

Fehren, Oliver/Kalter, Birgit (2012): Zur Debatte um Sozialraumorientierung in Wissenschaft und Forschung. In: Sozialarbeit in Österreich (SiO), Sondernummer 1/2012: Sozialraumorientierung. Zwischen fachlicher Innovation und institutionellen Bedingungen, S. 28-32

Hollmüller, Hubert (2014): Modell Graz. Organisationstheoretische und entscheidungstheoretische Aspekte einer top-down Reform des Jugendamtes Graz. In: soziales_kapital, Nr.11/2014, S.1-16

Kessl, Fabian/Reutlinger, Christian (Hg.) (2010): Sozialraum. Eine Einführung, 2. Auflage. Wiesbaden

Marcuse, Ludwig (1994): Amerikanisches Philosophieren. Pragmatisten, Polytheisten, Tragiker. Zürich

Otto, Hans-Uwe/Ziegler, Holger (2008): Sozialraum und sozialer Ausschluss. Die analytische Ordnung neo-sozialer Integrationsrationalitäten in der Sozialen Arbeit. In: Anhorn, Roland/Bettinger, Frank/Stehr, Johannes (Hg.) (2008): Sozialer Ausschluss und Soziale Arbeit. Positionsbestimmungen einer kritischen Theorie und Praxis sozialer Arbeit, 3. Auflage. Wiesbaden

Richardt, Vincent (2013): Sozialraumorientierung in der Stadt Graz im Bereich Jugendwohlfahrt, Einführung eines Sozialraumbudgets. Evaluation des Pilotprojekts des Amtes für Jugend und Familie. Abschlussbericht. Graz

Schreier, Maren/Reutlinger, Christian (2013): Sozialraumorientierung Sozialer Arbeit; Folge Österreich. Wer drückt die Stopp-Taste? In: soziales_kapital, Nr. 10/2013. Graz

Schopenhauer, Arthur (1986): Parerga und Paralipomena, Sämtliche Werke in fünf Bänden Band IV. Berlin

Schopenhauer, Arthur (1986): Die Welt als Wille und Vorstellung I u. II, Sämtliche Werke in fünf Bänden. Berlin

Zach, Barbara (2014): Sozialraumorientierung in Graz. Eine Gegenüberstellung von Programmatik und Praxis. In: soziales_kapital, Nr. 12/2014

Fußnoten

1 Im Jahr 2014 wurde an der Fachhochschule das Department Soziales gegründet, wo das Fachkonzept Sozialraumorientierung als Lehr- und Forschungsschwerpunkt dient.

Bernhard Demmel
Die Orientierung am Willen in der Praxis – einfach, aber nicht leicht

Das Prinzip der Orientierung am Willen gilt gemeinhin als das Kernstück des Fachkonzepts Sozialraumorientierung (SRO). Für mich ist es das fachliche Herzstück. Mein persönliches Herzstück ist jedoch ein anderes: Meine Tochter. Sie ist zwei Jahre jung und das schönste Mädchen der Welt. Von ihr lerne ich die wirklich wichtigen Dinge im Leben und interessanterweise auch viel über meinen beruflichen Schwerpunkt, die Sozialraumorientierung. So habe ich durch sie erfahren, wie sich eine Veränderung der Lebenssituation auf den eigenen Sozialraum auswirkt (plötzlich weiß ich, wie viele Spielplätze es bei mir um die Ecke gibt), und auch, wie Lebenswelt und Sozialraum in ständiger Rückkoppelung sind (wir zaubern jeden Tag der Verkäuferin beim Bäcker ein Lächeln aufs Gesicht). Aber das wäre Stoff für andere Beiträge. Hier geht es um die Orientierung am Willen in der Sozialen Arbeit. Und auch da durfte ich von meiner Tochter lernen. Genau genommen sind es drei Dinge, die ich für besonders erwähnenswert halte:

A.Unterscheidung zwischen Bedarf und Wille: Wenn wir nach Bedarfen fragen, suchen wir nach Antworten auf die Frage, was ein Mensch braucht. Meine Tochter braucht z. B. regelmäßig eine frische Windel. Ihr Wille ist ein ganz anderer. Sie will z. B. zum blauen Ball, unbedingt und unaufhaltsam. Oder sie möchte unbedingt auf der kleinen Bank sitzen. In diesem Zusammenhang ist es interessant, wie unterschiedlich Bedarfe interpretiert werden können: Wenn meine Tochter eine frische Windel braucht, also einen Bedarf hat, dann scheiden sich die Geister darüber, ob sie sofort oder jetzt dann eine frische Windel benötigt. Willensäußerungen lassen diesen Interpretationsrahmen deutlich weniger zu. „Wer sich […] darüber Gedanken macht, was Kinder brauchen, offenbart schon in der Art der Fragestellung seine (patriarchale) Haltung.“ (Hinte/Treeß 2014, S. 38/39). Wenn ich stattdessen versuche, herauszufinden, was meine Tochter will, nehme ich sie als aktives Subjekt wahr, das eine eigene Sicht auf die Welt hat. Ihr Wille ist ihr dabei bestimmt nicht reflexiv bewusst, aber wenn ich ihr mit einer offenen Haltung begegne, kann sie ihren Willen entdecken und ausdrücken – und sei es, dass es ihr nur darum geht, den blauen Ball in ihren kleinen Kinderhänden zu halten.

B.Jeder Mensch hat einen Willen: Ich weiß nicht genau, wann es begonnen hat, dass meine Tochter wollte. Ich habe den Eindruck, dass es schon immer da war. Manchmal hat sie einen sehr starken Willen, der mir gar nicht gefällt, manchmal hat sie einen Willen, der mir gut passt. Berechnen lässt er sich nicht und manchmal fordert er mich heraus. An anderer Stelle erfreut er mein Herz und macht mich richtig stolz.

C.Wille und Wunsch sind miteinander verwoben: Meine Tochter hat viele Willen. Und sie hat viele Wünsche. Abhängig von ihren Möglichkeiten gerät so mancher Wunsch in Bewegung und wird zum Willen. Manchmal mache ich mich aber auch zum verlängerten Arm ihres Selbst und sorge dafür, dass ein Wunsch realisiert wird (sie will unbedingt vom Erdgeschoss in den ersten Stock, und das Treppengitter versperrt ihr den Weg – sie will unbedingt, sie tut alles dafür, kann es aber nicht alleine schaffen). Ich bin mir nicht sicher, ob ich mich dadurch zum Wunscherfüller mache, oder ob ich ihr dabei helfe, dass ihr Wille realisiert wird. Bei meiner zweijährigen Tochter erkenne ich deutlich, dass auch der Wille Grenzen hat. Begrenzt wird er zum einen von dem, „was die Wirklichkeit zulässt und was nicht“, und zum anderen von der „Begrenztheit unserer Fähigkeiten“ (Bieri 2001, S. 38). Es gibt also Wünsche, die nicht zum Willen werden können. Entweder, weil der Möglichkeitsraum der Welt oder die Fähigkeiten und individuellen Möglichkeiten der Person das (noch) nicht zulassen. Übertragen auf die Soziale Arbeit etwa im Kontext der Behindertenhilfe ergibt sich daraus wiederkehrend eine spannende Diskussion in Trainings zu der am Willen orientierten Arbeit. Ich frage die Seminarteilnehmer/innen gerne, ob ein Mensch mit eingeschränkten Ressourcen tatsächlich einen Willen hat oder ob es da nicht vielmehr um die Orientierung am Wunsch gehen muss, weil der Wille eben genau diese Begrenztheit erfährt. Die Antwort der Teilnehmenden fällt immer eindeutig aus: Jeder Mensch hat einen Willen. Niemand würde einem Menschen, selbst wenn er komplexe Beeinträchtigungen hat und sich kaum regen und äußern kann, den Willen absprechen. Auch bei eingeschränkten Möglichkeiten und Fähigkeiten äußern Menschen ihren Willen. Unsere große Kunst ist es dann, den Ausdruck des Willens zu verstehen, und nicht, ihn zu interpretieren.

1.Willensorientierung zwischen Theorie und Praxis

In der Theorie hat das Prinzip der Willensorientierung einen philosophischen Charakter (Raspel 2019, S. 67 ff.), es wirkt für Praktiker/innen faszinierend und es macht vielen Lust, mit dem Willen als „Ausdruck eigensinniger Individualität“ (Fehren/Hinte 2013, S. 14) zu arbeiten, denn „er führt oft zu den psychischen Kraftquellen des Menschen, aus denen er Energie und Würde schöpft“ (ebd). In der Praxis zeigt sich die Orientierung am Willen allerdings als äußerst anspruchsvoller Grundsatz. Die damit verbundene Haltung beschreibt Wolfgang Hinte wie folgt:

„Letztendlich geht es darum, wegzukommen von der auf die Klientin bzw. den Klienten bezogenen Haltung des ,Ich weiß, was gut ist und das tun wir jetzt‘ über das Eigentlich weiß ich schon, was für Dich gut ist, aber ich höre Dir erstmal zu‘ hin zum konsequenten ,Dein Wille wird ernst genommen – er ist mir nicht Befehl, aber ich will mich ihm mit meinen fachlichen und den leistungsgesetzlichen Möglichkeiten stellen‘.“ (Hinte 2019, S. 13/14).

Daran orientiert zu arbeiten, setzt in der Sozialen Arbeit zunächst eine Klärung darüber voraus, ob der Kontext der Zusammenarbeit zwischen Klient/innensystem und Helfer/innensystem im Bereich der Freiwilligkeit verortet ist oder ob es sich um eine Zusammenarbeit im Zwangskontext (etwa Kinderschutz) handelt. Im ersten Fall stellt sich die Frage, was Menschen wollen. Im zweiten Fall geht es um die Frage, ob Menschen bereit sind, zu kooperieren. Im ersten Fall können Klient/innen, wenn sie nicht mehr wollen, jederzeit aus der Zusammenarbeit aussteigen. Im zweiten Fall hat es Konsequenzen zur Folge, auch wenn sie das überhaupt nicht möchten. Ich konzentriere mich in diesem Beitrag auf den ersten Bereich: Orientierung am Willen im Kontext der Freiwilligkeit. Selbstverständlich haben Menschen auch im Zwangskontext einen Willen. Das die Zusammenarbeit begründende Anliegen ist allerdings die Abwendung der Gefährdung, etwa die Sicherung des Kindeswohls, und das unabhängig davon, welchen Willen die Betroffenen, etwa Eltern, Betreuer/innen oder wer auch immer gerade in anderen Angelegenheiten verfolgen. Klar ist, dass die am Willen orientierte Arbeit genau diese Trennschärfe braucht.

Für die am Willen orientierte Zusammenarbeit des Helfersystems mit dem Klient/innensystem ergibt sich daraus folgernd oft ein einleitender Schritt: Die Klärung der Falleinordnung bezogen auf potentielle Gefährdungslagen. Wird Fremd- oder Selbstgefährdung vermutet, ist sie vorhanden oder kann eine Gefährdung ausgeschlossen werden?

Im nächsten Schritt wird das Problem erfasst und gewürdigt. Hier zeigt sich wieder die Haltung: Probleme werden durch eine gute Beobachtung, gutes Zuhören ergründet und eingekreist. Die Fachkraft ist hier in der Rolle eines/einer Prozessbegleiters/Prozessbegleiterin und zu keiner Zeit in der Rolle des/der Experten/Expertin, der/die weiß, was „richtig“ ist und wo der Hase im Pfeffer liegt. Ausgehend von Problemlagen, dem häufigsten Anlass für das Auftreten Sozialer Arbeit1, ist die Willenserkundung im Grunde ein einfacher Perspektivenwechsel vom Problem hin zum Ziel, und zwar in drei Prozessschritten:

1.„Was genau ist das Problem?“ Und: „Habe ich Sie richtig verstanden, dass … Ihr Problem ist?“

2.„Stört Sie dieses Problem so sehr, dass SIE das ändern wollen?“

3.„Wie wäre es dann? Wie wäre es, wenn es geändert wäre? Was wäre dann anders?“

Dieser dreischrittige Prozess der Willenserkundung mündet in der Zielerarbeitung. Er wirkt sehr einfach und ist sehr wirkungsvoll. Manchen Fachkräften scheint der Prozess zu einfach zu sein. Meine Beobachtung ist, dass nicht selten eine etwas zu komplizierte Gesprächsführung angeboten wird, die hier und da im Chaos endet. Einfach ist es, aber nicht leicht!

2.Stolpersteine bei der Willenserkundung

Nun treffen Fachkräfte hin und wieder auf schwierige Fälle, die einen dazu verleiten, aus der Willensorientierung auszusteigen. Doch sind es wirklich die Fälle, die „schwierig“ sind, oder sind es nicht eher komplexe Kontexte und für die Willenserkundung mehr oder weniger herausfordernde Gegebenheiten? Letztere können in der Praxis zu dem Eindruck führen, dass Klient/innen keinen Willen haben. Eine Einschätzung, die oft zu schnell und zu wenig fundiert getroffen wird. Betrachtet man die Vielzahl an herausfordernden Momenten bei der Willenserkundung, findet man wiederkehrend folgende Stolpersteine vor:

•Klient/in steckt in tiefer (generalisierter) Problemtrance: Klient/ innen können nur darüber berichten, was gerade alles schlimm und tragisch ist und finden auf Fragen zum Willen, in Richtung Ziel oder bezogen auf mögliche Lösungen keine Antwort. Festzustellen, sie hätten keinen Willen, wäre zu schnell und ungenau. „Wenn jemand ein Problem erlebt, drückt sich darin für ihn eine oft sehr schlimme Leidenserfahrung aus. Dennoch kann die Aussage aufrechterhalten werden, dass die Probleme von den Problemerlebenden konstruiert werden“ (Schmidt 2004, S. 102). Interventionen in diese Muster haben immer etwas damit zu tun, Unterscheidungen in die als Problem definierte Wirklichkeitskonstruktion einzuführen. Hier müssten die Fachkräfte ihr ganzes handwerkliches Geschick auspacken, kognitive Verzerrungen (Burns 2011, S. 44 ff.), z. B. Generalisierungen (Bandler/Grinder 2011, S. 94 ff.), hinterfragen und auf konkrete und dann auch veränderbare Verhaltensbeschreibungen herunterbrechen.

•Klient/in fehlen Ressourcen: Da ein Veränderungswille, in Abgrenzung zum Wunsch, mit Engagement und Eigeninitiative verbunden ist, braucht es für Willenskraft ein Gefühl der Selbstwirksamkeit. Fehlt der Zugang zu persönlichen Ressourcen, erlebt sich ein Mensch nicht in der Lage, wirklich wollen zu können. Georg Theunissen spricht, bezogen auf die Arbeit mit Menschen mit Behinderung, von einer „erlernten Bedürfnislosigkeit“ (Theunissen 2000, S. 39), Martin Seligmann von der „erlernten Hilflosigkeit“ (Seligmann 2016). Damit werden wir in allen Feldern Sozialer Arbeit konfrontiert, und es braucht Zeit und Methodenkompetenz im helfenden System, persönliche, soziale und sozialräumliche Ressourcen, etwa durch ein ressourcenorientiertes/lösungsfokussiertes Interview und in der Sozialraumorientierung gängige Instrumente, wie z. B. Ressourcenkarte, Ressourcencheck, Eco-Mapping oder Netzwerkkarten, zu mobilisieren. (In der Praxis geht das oft über die Möglichkeiten des Leistungsträgers hinaus. Daher sind an dieser Stelle häufig die Leistungserbringer im Boot, die dafür in der Regel deutlich mehr Zeit und Flexibilität aufbringen können.)

•Klient/in hat keine Referenzerfahrung für Lösung/Zielzustand: Die Situation ergibt sich in der Zusammenarbeit mit Menschen in äußerst schwierigen Lebenslagen, gerade, wenn diese seit Jahren, Jahrzehnten oder auch Generationen in dieser oder einer ähnlich misslichen Lage leben. Ist es überhaupt denkbar, dass es eines Tages anders sein könnte? Und wie sieht das dann aus? „If you can dream it – you can do it!“, sagen die Mentaltrainer/innen. Aber was, wenn ich es nicht mal träumen kann? Steve de Shazer und Insoo Kim Berg haben die Wunderfrage vorgestellt (DeShazer/Dolan 2008, S. 70 ff.), die sich hier in bestimmten Fällen platzieren ließe. Andere Fachkräfte machen gute Erfahrung damit, positive Gegenbilder (Biene 2017) als Kontrast zum Problem anzubieten. Aber auch ganz pragmatische Ansätze, Gelegenheiten zu schaffen (Früchtel u. a. 2013, S. 63) oder neue Dinge auszuprobieren, können zu realen Referenzerfahrungen führen, die das Repertoire an Wahlmöglichkeiten erweitern.

•Klient/in empfindet den Willen oder die Zielvorstellung als nicht ökologisch (und verhält sich ambivalent): Ziele und der Weg zur Zielerreichung sind in der Regel mit Risiken und Nebenwirkungen versehen. So könnte ein Mensch mit einer Suchterkrankung zwar einen neuen gesunden Lebensstil leben wollen, müsste aber, um dahin zu kommen, seinen Freundes- und Bekanntenkreis wechseln. Dieser Nebeneffekt kann so gewichtig sein, dass das Ziel nicht mehr ökologisch2 für ihn ist und ihn regelrecht bei der Arbeit am Ziel behindert. Auf manche Helfer/innen wirkt ein Mensch, der nichts dafür macht, der passiv bleibt und nichts umsetzt, willenlos. Häufig werden der mit der Zielerreichung verbundene Aufwand, der Sekundärgewinn durch ein Problem und die Kosten und Konsequenzen einer Zielerreichung (Risiken und Nebenwirkungen) von Fachkräften unterschätzt oder übersehen. Durch eine Überprüfung der Willens- und Zielökologie im Rahmen der Willenserkundung („Wollen Sie das wirklich – auch wenn das für SIE harte Arbeit bedeutet?“) und Zielerarbeitung („Welche Konsequenzen hat es für Sie und andere, wenn Sie Ihr Ziel erreichen?“; „Was verlieren Sie, wenn Sie am Ziel arbeiten?“; „Was verlieren Sie, wenn Sie das Ziel erreichen?“ usw.) kann dies überprüft werden. Keine Veränderung kann jedoch so perfekt geplant werden, dass alles von Anfang an bedacht ist. Daher ist die Überprüfung der Ökologie in aller Regel bei den durchführungsverantwortlichen Organisationen angesiedelt, die diese Friktionen reflektieren und auf den Tisch bringen müssen.

Im Ansatz des Motivational Interviewing findet man hier ebenfalls hilfreiche Anregungen: „Wenn Menschen sich – von außen betrachtet – selbstschädigend, unvernünftig und unmotiviert zeigen, haben sie dafür subjektiv gute Gründe. Das offensichtliche Fehlen von Motivation wird als ‚Feststecken in der Ambivalenz‘ interpretiert. Ambivalenz bedeutet hier, dass aus Sicht des ‚veränderungsunwilligen‘ Patienten gute Gründe für eine Veränderung […] und gute Gründe dagegensprechen. In einem motivationssteigernden Beratungsgespräch würden beide Seiten […] erfragt, gewürdigt und abgewogen.“ (Gehring/Straub 2019, S. 77 ff.). Neben der Arbeit mit dem offensichtlichen Dilemma ließe sich auch eine Erweiterung ins Tri- oder gar Tetralemma (von Kibet/Sparrer 2018, S. 85 ff.) vollziehen. Der Möglichkeitsraum des Entweder-oder wird dann ergänzt durch ein Sowohl-als-auch („Wie wäre es denn, wenn Sie einen gesunden Lebensstil führen und gleichzeitig Freunde haben?“) oder ein Keines-von-beiden. In dieser vierten Position gelingt es, den inneren Konflikt sozusagen in ruhiger Distanz von außen zu sehen, eine Kontexterweiterung, die den Willen hinter dem Willen beleuchten könnte.

•Klient/in verspricht sich von Hilfe etwas anderes: Soziale Arbeit ist durch ein untypisches Dienstleistungsverständnis gekennzeichnet. Bringt man ein Auto in die Autowerkstatt, erwartet man Expert/innen, die Probleme durch fachkundiges Geschick lösen (Lüttringhaus/Streich 2006, S. 304). Geht man zum Jugendamt, begegnen einem komische Fragen danach, wie man es selbst angehen könnte, was man schon alles versucht habe oder wie einen der Rest der Familie noch mehr unterstützen könne. Was Fachkräfte Sozialer Arbeit als hochgradig professionell bewerten, wirkt auf Menschen, die Unterstützung suchen, möglicherweise fremd bis hin zu inkompetent. Neben dem zweiten Prinzip des Fachkonzepts Sozialraumorientierung (Unterstützung von Selbsthilfekräften und Eigeninitiative), das darauf verweist, Menschen dabei zu begleiten, Soziale Arbeit möglichst schnell und effektiv wieder loszuwerden, ist in diesem Kontext die Unterscheidung von Wunsch und Wille von Bedeutung.

„Wenn Menschen mit der Formulierung eines Bedarfs die Verantwortung für die dafür notwendigen Handlungsschritte an die fragende Instanz delegieren, haben sie – nach unserem Verständnis – keinen Willen artikuliert, sondern mehr oder weniger offen einen Wunsch zu Gehör gebracht, für dessen Erfüllung andere zuständig sind.“ (Hinte/Treeß 2014, S. 46).

Diese Irritation gilt es in jedem Fall aufzuklären. Manchmal mit der Konsequenz, dass Menschen dann doch nicht mehr wollen. Auf die Klärung folgt also ein Prozess der Entscheidungsfindung.

„Will ich das wirklich?“ „Bin ich wirklich bereit, in die Veränderung zu gehen und an mir zu arbeiten (und möglicherweise ist das richtig harte Arbeit!)?“

•Klient/in will tatsächlich nicht, sondern meint, zu müssen: Im Gefährdungsbereich muss ein/e Klient/in. Im Bereich der Freiwilligkeit muss er/sie nicht. Er/sie hat einen Anspruch darauf, Unterstützung zu erfahren, aber auch das Recht, auszusteigen oder gar nicht erst mitzumachen. Hierüber gilt es aufzuklären und mit denjenigen Institutionen zu arbeiten (rechtliche Grundlagen erklären, Haltung kommunizieren, Kooperationen gestalten…), die solche Klient/innen schicken und meinen, dass die geschickten Menschen durch soziale Arbeit belehrt, bekehrt oder geheilt werden müssten.

•Klient/in hat unterschiedliche und zum Teil gegensätzliche Willen: Eine Königsdisziplin der Willenserkundung und Auftragsklärung ist hier angesagt – der Aushandlungsprozess.

₺647,81